Carolin windet sich aus seiner Umarmung und macht einen Schritt zurück.
»Weißt du, Marc, das war heute eine sehr unangenehme Situation für mich. Ich möchte wirklich, dass das mit uns funktioniert. Aber das habe ich nicht allein in der Hand, du musst dich genauso einbringen.«
»Aber das mache ich doch!«
»Nein, das finde ich nicht. Wenn ich dich in letzter Zeit gefragt habe, ob bei dir alles in Ordnung ist, weil ich eben das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmt, hast du sofort dichtgemacht. Du bist nicht offen mit mir.«
»Ich weiß jetzt wirklich nicht, wovon du redest.«
»Nein? Dann denk mal drüber nach. So, Herkules, kommst du rein mit mir? Oder bleibst du lieber bei Marc?«
Äh, ich, äh … hallo? Nicht streiten! Was soll denn das?! Gut, die Sache mit der Rose war anscheinend nicht die Idee des Jahrhunderts, aber es war immerhin eine Idee. Eine ganz nette, wie ich mittlerweile finde. Carolin ist zu streng mit Marc. Wenn jemand einen Fehler einsieht, sollte man nicht noch mit ihm schimpfen.
Ich denke daran, wie ich einmal auf dem weißen, flauschigen Teppich im Salon von Schloss Eschersbach ein dringendes Geschäft verrichtet hatte. In dem Moment, in dem es passiert war, wusste ich schon, dass das ein Fehler war. Und als der alte von Eschersbach dann auf mich zuschoss, um mit mir zu schimpfen, habe ich mich gleich in einer Geste der Unterwerfung vor seine Füße gerollt und meinen Hals angeboten. Trotzdem hat er mich geschnappt und meine empfindliche Nase mitten in die Bescherung gedrückt. Obwohl ich mich gewissermaßen entschuldigt hatte. Das habe ich mir gemerkt. Wenn ich danach etwas ausgefressen hatte, habe ich mich nie wieder freiwillig gemeldet, sondern immer zugesehen, dass ich ganz schnell Land gewinne.
Auch Marc guckt Carolin nun so finster an, als hätte er gerade beschlossen, nie wieder irgendeinen Fehler zuzugeben. Das allerdings kann Carolin nicht sehen, weil sie sich schon umgedreht hat und wieder auf dem Weg in die Werkstatt befindet. Ich überlege kurz, mit Marc zu gehen. Immerhin erholt sich Cherie in der Praxis noch von ihrem Unfall. Andererseits soll sie über Nacht bleiben, wird also später auch noch da sein, und vielleicht kann ich bei Carolin ein bisschen gut Wetter für Marc machen. Schweren Herzens trotte ich deshalb hinter ihr in die Werkstatt.
Drinnen angekommen, legt Carolin die Rose achtlos auf den kleinen Tisch im Flur, auf dem auch das Telefon steht. Dann schnappt sie sich selbiges und geht ins nächste Zimmer, um zu telefonieren. Nicht einmal Wasser für die arme Blume holt sie. Pfui, wie gemein! Ich beschließe, ein Zeichen zu setzen. Carolin soll wissen, dass ich ihr Verhalten nicht gutheiße. Einer muss ja hier zu Marc halten. Stichwort Solidarität unter Männern.
Das Telefontischchen ist so niedrig, dass ich mit den Vorderpfoten leicht daraufspringen kann. Kaum habe ich das getan, komme ich auch mit der Schnauze an den Rosenstiel. Ich fasse zu und habe die Rose im Maul. Dann ziehe ich sie vorsichtig vom Tisch herunter. Noch einmal fest nachfassen – passt! Ich trabe mit der Rose im Maul zu Carolin, setze mich vor sie und gucke sie möglichst vorwurfsvoll an. Leider telefoniert Carolin und bemerkt mich nicht gleich.
»Ja, Herr Lemke, ich habe mir die Instrumente bereits angesehen. Sie sind wirklich sehr schön. Das ist natürlich ein sehr großer Auftrag, der einige Zeit in Anspruch nehmen wird.«
Sie horcht auf die Stimme aus dem Telefon. »Hm, aber Herr Carini arbeitet nicht mehr in Hamburg. Ja. Sie haben Recht, wir waren ein tolles Team. Ihn gewissermaßen einkaufen für diesen Auftrag? Ich weiß nicht, aber ich kann ihn natürlich fragen.«
Der Mensch am anderen Ende der Leitung redet jetzt sehr eindringlich auf Carolin ein, ich kann seine Stimme ab und zu hören. Carolin hört ihm aufmerksam zu, dann nickt sie.
»Ja, ja. Das stimmt. Vielleicht hat er Zeit und Lust. Ja, versprochen, ich werde mit ihm sprechen. Danke, Herr Lemke, ich melde mich dann.«
Sie beendet das Gespräch und schaut den Telefonhörer eine Zeitlang versonnen an.
»Daniel Carini, wird das wieder etwas mit uns?«
Sie lächelt, macht einen Schritt nach vorne – und tritt mir auf den Schwanz. Aber richtig! JAUL, aua, geht’s noch? Ich bin doch wohl nicht unsichtbar!
»O Gott, Herkules, das tut mir leid! Ich habe dich gar nicht gesehen! Mein Armer – und hattest du etwa noch mal Marcs Rose angeschleppt? Und ich beachte dich gar nicht? O je, komm mal auf meinen Arm.«
Sie hebt mich hoch, geht mit mir zu dem Korbsessel, der neben ihrer Werkbank steht, und setzt sich mit mir. Dann beginnt sie, mich hinter den Ohren zu kraulen. Recht so! Ein bisschen Zärtlichkeit ist jetzt wohl das mindeste, was ich als Wiedergutmachung erwarten kann. Vielleicht auch noch einen Zipfel Fleischwurst.
»Ein verrückter Tag heute, nicht wahr? Ich weiß langsam gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Erst der Unfall heute früh, mein erster Einsatz als OP-Schwester, der Auftritt von dieser blöden Kuh, der Streit mit Marc – puh, mir reicht’s so langsam.« Zärtlich streicht sie mir über den Kopf. Mhm, wenn ich Herr Beck wäre, würde ich jetzt schnurren.
»Aber der letzte Anruf war nett. Herr Lemke, ein sehr guter Kunde. Er handelt mit Instrumenten und hat vielleicht einen Großauftrag. Den schaffe ich allein gar nicht, und er hat sich deshalb gleich nach Daniel erkundigt. Du erinnerst dich doch noch an Daniel, oder?«
WUFF! Natürlich erinnere ich mich an Daniel! Was für eine Frage, Daniel ist schließlich einer der nettesten Menschen überhaupt. Früher hat er zusammen mit Carolin in der Werkstatt gearbeitet, er baut nämlich auch Geigen. Als wir endlich Carolins blöden Freund Thomas los waren, hatte ich lange Zeit gehofft, dass Daniel mein neues Herrchen werden würde. Daraus wurde aber nichts, obwohl Daniel in Carolin verliebt war. Am Ende blieb mit Marc noch genau ein Kandidat übrig, auf den Carolin und ich uns einigen konnten – und trotzdem musste ich gaaanz tief in die Trickkiste greifen, damit aus den beiden etwas wurde. Purer Stress war das damals! Aber wo war ich stehengeblieben ? Richtig. Daniel. Der setzte sich dann kurzerhand mit Aurora ab, einer sehr attraktiven Stargeigerin. Also, dass sie attraktiv war, hat Daniel behauptet. Ich persönlich fand ihre Eigenart, sich im Gesicht mit Farbe anzumalen, höchst suspekt.
Die Aussicht, dass Daniel nun vielleicht zurück in die Werkstatt kommt, finde ich allerdings klasse. Tagsüber mal ein Gespräch unter Männern, noch dazu mit einem so netten Hundefreund wie Daniel, ist doch eine willkommene Abwechslung nach den ganzen menschlichen Problemgesprächen, die ich mir hier in letzter Zeit anhören muss. Ich bin dafür!
»Jedenfalls muss ich Daniel mal anrufen und ihn fragen, ob er Zeit und Lust hätte, sich für ein paar Wochen von Aurora loszueisen und mir zu helfen.«
Als Zeichen meiner Zustimmung wedele ich begeistert mit dem Schwanz, was gar nicht so einfach ist, weil ich noch auf Carolins Schoß sitze.
»Hey!« Carolin kichert. »Das kitzelt, Herkules! Komm, ich setz dich wieder runter.«
Auf dem Boden lande ich direkt neben der Rose, die von dem ganzen Hin und Her schon ein bisschen mitgenommen aussieht. Carolin hebt sie auf und schaut sie nachdenklich an. Dann geht sie zum Waschbecken in ihrem Werkraum, nimmt ein Glas vom Regal darüber, füllt es mit Wasser und stellt die arme Rose hinein. So versorgt, landet diese schließlich auf Carolins Werkbank.
Die nächste Stunde verbringt Carolin damit, Holzstücke zu hobeln. Immer wieder setzt sie den Hobel ab und betrachtet das Holz, setzt wieder an, arbeitet ein wenig, setzt ab, guckt. Sie sieht sehr konzentriert dabei aus, fast habe ich das Gefühl, dass sie gerade ganz froh ist, sich endlich wieder mit Holz beschäftigen zu können.
Das Klingeln an der Werkstatttür reißt sie schließlich aus der Arbeit. Sie seufzt und geht nach vorne – es ist Nina, die einigermaßen aufgeregt aussieht.