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Marc rollt mit den Augen, zieht die Hose wieder aus und schleudert sie zur Seite. Dabei wirft er sie mir direkt auf die Nase, ich jaule überrascht auf und springe zurück.

»Ups, tschuldige, Herkules. Ich habe dich gar nicht gesehen. Aber du kommst gerade recht. Du kannst hier etwas lernen, was auch für dich als Haustier interessant sein dürfte: die Domestizierung des Mannes. Will sagen: vom Mann zum Milchbrötchen.«

Hä? Milchbrötchen? Wovon spricht Marc? Und was hat das mit Haustieren zu tun. Carolin holt Luft.

»Also echt, Marc. Was soll denn das? Wir waren uns einig, dass Nina meinen Kleiderschrank behalten sollte, weil in deinem angeblich genug Platz für uns beide sei und mein Schrank auch gar nicht in dieses Zimmer passt. Und wenn du schon dieses olle Teil, das dir noch dazu viel zu eng ist, behalten willst, dann sehe ich für den Rest wirklich schwarz.«

»Ist ja gut, ist ja gut. Reg dich nicht auf. Es ist eben nur so, dass ich mit dieser Hose viele Erinnerungen verbinde. Ich habe sie mir gleich im ersten Semester in München gekauft, und sie war damals schweineteuer und supersexy. Auf Partys kam ich damit sensationell an.«

»Tja, das war dann doch wohl eindeutig noch zu D-Mark-Zeiten. Ich finde, du solltest kleidungstechnisch langsam mal in der Eurozone ankommen. Aber ich habe auch gar keine Lust, mich hier mit dir über deine alten Hosen zu streiten. Ich schlage vor, ich gehe eine Runde mit Herkules einkaufen, und du sortierst deinen Schrank selbst neu. Und wenn es dann eben doch keinen Platz für meine Sachen gibt, dann fahre ich nachher zu Ikea und kaufe einen neuen Schrank für mich. Ich habe jedenfalls keine Lust, noch die ganze Woche aus dem Koffer zu leben.«

Spricht’s, dreht sich um und geht aus dem Zimmer. Hoppla, das klang schärfer, als Carolin sonst mit Marc spricht. Offensichtlich scheint diese Kleiderschranknummer irgendwie wichtig zu sein. Ich folge Carolin, die sich ihre Jacke schnappt und Richtung Treppenhaus steuert. Marc guckt noch einmal aus dem Schlafzimmer.

»He, bist du jetzt sauer?«

Carolin bleibt stehen.

»Nein. Na ja. Vielleicht ein bisschen.«

Marc kommt uns hinterher, nimmt sie kurz in den Arm und küsst sie.

»Ich gelobe hiermit feierlich: Wenn ihr vom Einkaufen zurückkommt, hast du mindestens die Hälfte des Kleiderschranks für dich. Und wenn ich dafür alle Hosen, die ich vor 1975 gekauft habe, rituell verbrennen muss. Ehrenwort.«

Carolin kichert und erwidert seinen Kuss.

»Ich bin gespannt.«

Nach dem Einkaufen treffen wir einen alten Bekannten: Willi. Er steht direkt am Eingang vom Supermarkt und baut gerade einen Stapel mit Zeitungen neben sich auf. Willi ist ein älterer Herr, der auf einer Bank in unserem Park wohnt und mich einmal aus einem Kaninchenbau gerettet hat. In letzter Zeit habe ich ihn allerdings kaum noch gesehen, umso mehr freue ich mich, ihn hier zu treffen.

»Grüße Sie, Willi!« Auch Carolin scheint sich zu freuen.

»Hallo, Frau Neumann!«

»Wie geht es Ihnen denn?«

»Prächtig! Ich habe endlich wieder eine Wohnung – und auch einen Job! Sehen Sie mal«, er hält Caro eine Zeitung unter die Nase, »ich bin jetzt Zeitungsverkäufer. Ist ein Projekt extra für Obdachlose, von jedem verkauften Exemplar bekomme ich auch Geld.«

»Klasse, da kaufe ich Ihnen gleich mal eine ab.«

»Danke.« Dann beugt er sich zu mir hinunter. »Und du, Kleiner? Hast du mich schon vermisst?«

Ich wedele mit dem Schwanz. Na klar!

»Weißt du, dem Willi geht’s jetzt wieder richtig gut. Deswegen bin ich so selten in eurer Ecke. Aber ich komm dich mal besuchen.«

Ich schlecke ihm die Hände ab, er lacht, und Caro verabschiedet sich. Sie will unserer alten Wohnung noch einen Besuch abstatten. Oder besser gesagt: Nina, die in Carolins Wohnung gezogen ist. Nina ist ihre beste Freundin und ganz anders als Carolin: Groß und dunkelhaarig – und während Carolin für mich die Sanftmut in Person darstellt, ist Nina meist sehr bestimmt und energisch.

Sie öffnet die Tür, sieht uns und strahlt.

»Mensch, das ist ja eine nette Überraschung! Komm rein, ich bin mal gespannt, wie es dir gefällt.«

Sie winkt uns ins Wohnzimmer, das nun mit Ninas Sofa und einem einzigen Bücherregal sehr mager bestückt und so kaum wiederzuerkennen ist. Nina und Carolin setzen sich, und ich lege mich auf mein ehemaliges Lieblingsfleckchen vors Sofa. Schon komisch, der Raum ist natürlich derselbe geblieben, aber er riecht schon ganz anders. Eben deutlich nach Nina, auch wenn ich noch eine leichte Note Carolin erschnuppere.

»Willst du vielleicht etwas trinken?«

Carolin schüttelt den Kopf.

»Nee, danke. Ich war einfach nur neugierig, wie meine Wohnung aussieht, wenn sie deine ist.«

»Tja, so richtig viel kann man noch nicht erkennen. Ich hatte zwar längst nicht so viele Kartons wie du, trotzdem habe ich sie noch nicht alle ausgepackt. Wahrscheinlich brauche ich auch noch jede Menge neuer Möbel, meine alte Wohnung war deutlich kleiner als deine. Gut, dass ich deinen Kleiderschrank behalten konnte.«

Carolin lacht.

»Du wirst es nicht glauben. Über das Thema Kleiderschrank hatten wir eben unsere erste kleine Kabbelei.«

»Wirklich? Ich hoffe doch, nicht meinetwegen?«

»Nein, nein. Marc ist nur der Ansicht, dass er sämtliche Klamotten horten muss, die er seit seinem Eintritt in den Stimmbruch angeschafft hat. Also, da sind Sachen dabei – unglaublich. Aber wir haben im Schlafzimmer keinen Platz für einen weiteren Schrank, und deswegen muss er jetzt mal ausmisten, sonst passen meine Sachen da definitiv nicht rein.«

»Aha. Also zeigt Marc eindeutiges Revierverhalten.«

»Ist das die Diagnose der Psychologin?«

»Gewissermaßen.«

Revierverhalten. Das klingt für mich endlich mal nachvollziehbar, und jetzt verstehe ich auch, warum die Stimmung im Schlafzimmer eben so angespannt war. Sein Revier muss man natürlich verteidigen, das leuchtet jedem Hund sofort ein. Nicht umsonst habe ich vor noch nicht allzu langer Zeit als Welpe eifrig das Beinchenheben geübt. Das ist nämlich gar nicht so einfach, wie es aussieht. Aber sehr, sehr wichtig. Eine eindrucksvolle Duftmarke zu setzen ist eben die effektivste Methode, das eigene Revier zu kennzeichnen. So weit, so gut. Eine Sache gibt mir dennoch zu denken: Warum verteidigt Marc das gemeinsame Schlafzimmer gegen Carolin? Also gewissermaßen gegen sein eigenes Weibchen? Das macht aus Hundesicht nun überhaupt keinen Sinn. Es gilt zwar, das Revier von lästiger Konkurrenz freizuhalten, die Mitglieder des eigenen Rudels sind aber willkommen. Insbesondere die Weibchen. Im Grunde genommen veranstaltet der Rüde den ganzen Zirkus doch nur für die Hündin. Ob bei Menschen auch Paare miteinander konkurrieren können? Und falls ja, um was? Es ist und bleibt rätselhaft mit diesen Zweibeinern.

Während ich noch darüber sinniere, ob Marc Carolin demnächst auch den Zugang zum Kühlschrank erschweren könnte – denn schließlich geht es da ums Futter! –, gibt Nina ein paar praktische Tipps, um das Kleiderschrank-Problem aus der Welt zu räumen.

»Vielleicht schmeißt du seine Sachen einfach heimlich weg oder spendest sie der Kleiderkammer, wenn er in der Praxis ist?«

Für meinen Geschmack ein etwas simpler Plan. Dass Marc das nicht merkt, halte ich für geradezu ausgeschlossen. Auch Carolin scheint nicht überzeugt.

»Also, das klingt doch etwas rabiat. Ich setze lieber erst einmal auf Freiwilligkeit. Marc hat versprochen, radikal aufzuräumen, bis ich wieder zu Hause bin.«

»Dann lass dir lieber ein bisschen Zeit. Musst du heute nochmal in die Werkstatt?«

»Wo ich gerade hier bin, schau ich mal kurz nach der Post. Ansonsten hatte ich mir die Tage für den Umzug eigentlich freigehalten.«

Wenn Carolin in die Werkstatt möchte, kann ich bestimmt noch ein Weilchen im Garten verbringen. Nicht, dass sich da nun fremde Hunde aus dem Park breitmachen, Stichwort Revierverteidigung. Direkt an den Garten hinterm Haus grenzt nämlich ein Park, und manchmal verirrt sich der ein oder andere Artgenosse auf die falsche Seite des Tors, das unseren Garten vom Park trennt. Da kann ich gleich mal nach dem Rechten sehen und Besuchern nötigenfalls freundlich, aber bestimmt, klarmachen, wer hier Herr im Haus beziehungsweise Hund im Garten ist. Außerdem schwirrt Herr Beck bei dem schönen Wetter bestimmt auch irgendwo durch die Gegend, und mich würde interessieren, wie er die letzten beiden Tage so verbracht hat. Mit Sicherheit ist ihm ohne mich entsetzlich langweilig.