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Von der Werkstatt aus führt eine Terrassentür direkt in den Garten, es sind nur drei Stufen nach oben, schon sitzt man im Gras. Das ist natürlich enorm praktisch, denn manchmal arbeitet Carolin stundenlang an einer Geige und hat keine Zeit, mit mir spazieren zu gehen. Meist ist mir das ganz recht, denn ohne Frauchen durch den Park zu stromern ist eindeutig spannender, als an der Leine hinter ihr herzulaufen. Ich erschnüffele Kaninchen, jage Eichhörnchen oder Amseln – kurz: Ich bin ganz ich. Eigentlich ist das total verboten, und wenn Carolin mich dabei erwischt, schimpft sie. Aber als Dackel bin ich nun einmal ein Jagdhund – geboren für das große Abenteuer, nicht für das Leben auf der Etage.

Im Garten riecht es wie immer im Sommer: nach Gras, den großen Blumen im Beet und eben nach mir. Der Duft von Herrn Beck schwebt über dem Rasen, allerdings nur so schwach, dass er wohl schon länger nicht mehr hier war. Komisch, normalerweise ist Herr Beck im Sommer fast immer hier unterwegs. Ich muss spontan daran denken, wie wir uns kennengelernt haben. Dieses denkwürdige Ereignis fand nämlich genau vor dem großen Baum direkt am Haus statt. Kaum zu glauben, dass der Kater und ich uns bei unserem ersten Treffen fast geprügelt hätten. Er hatte mich beim Pinkeln beobachtet und sich über mein noch relativ wackeliges Beinchenheben lustig gemacht. Was natürlich eine Frechheit war. Dass ich ihm dann versehentlich in den Schwanz biss, war natürlich auch nicht so nett. Schon erstaunlich, dass wir trotzdem noch die besten Freunde geworden sind. Aber wo steckt der fette Kater jetzt?

Ich suche hinter dem großen Blumenbeet, auf der Wiese vor dem Zaun zum Park, beim Komposthaufen, laufe in den Vorgarten – selbst die Nische mit den Mülltonnen lasse ich nicht aus. Aber nirgends eine Spur von Herrn Beck, ich kann überhaupt keine Witterung aufnehmen. Betrübt schleiche ich zurück und trolle mich mit hängenden Öhrchen in die Werkstatt. Schade, ich hätte Beck so gerne von meinem neuen Zuhause berichtet.

»Nanu, Herkules, was ist los? Keine Lust mehr auf Garten ?«

Carolin hebt mich hoch und setzt mich auf den Tisch, vor dem sie gerade steht.

»Oder bekommst du Heimweh nach deinem alten Zuhause? Du guckst irgendwie so traurig. Aber mach dir nichts draus, ich fand es eben auch ein bisschen seltsam, in meiner Wohnung auf Ninas Couch zu sitzen. Ich denke, wir werden uns schon dran gewöhnen, oder?«

Ich lege mich hin und lasse den Kopf auf meine Vorderläufe sinken. Tja, werden wir uns daran gewöhnen? Vermutlich schon, auch wenn es sich gerade anders anfühlt. Schließlich haben wir uns wirklich nicht verschlechtert. Marcs Wohnung ist viel größer als die von Carolin, es gibt ebenfalls einen tollen Garten und, auch nicht ganz unwichtig: Da im Erdgeschoss gleichzeitig Marcs Tierarztpraxis ist, fühle ich mich seinen Patienten gegenüber wie der Chefdackel. Es ist ja nun auch mein Haus, und all die anderen Hunde, Katzen, Meerschweinchen und was sonst noch so zu Marc gekarrt wird, sind eindeutig nur von mir geduldete Gäste. Ein sehr erhabenes Gefühl.

Auch die ganze Hin- und Her-Schlepperei unseres halben Hausstands entfällt zukünftig. In den letzten Wochen und Monaten haben Carolin und ich zwar schon fast jede Nacht bei Marc und Luisa geschlafen, aber meist hatten wir irgendwas in unserer eigentlichen Wohnung vergessen: Mal Carolins Haarspange, ein bestimmtes Buch oder – noch viel schlimmer – meinen neuen Kauknochen. Das kann nun nicht mehr passieren. Und es wohnt auch kein Fremder in unserer alten Wohnung, sondern Nina. Wir können also jederzeit zu Besuch kommen.

»Weißt du, ich bin hier gleich fertig, und dann machen wir etwas Schönes zusammen. Wir könnten zum Beispiel eine Runde durch den Park drehen. Wie findest du das?«

Natürlich großartig! Meine schlechte Laune ist sofort wie weggeblasen, ich springe auf und wedele mit dem Schwanz.

»Siehst du, wusste ich es doch. Also, abgemacht: Wir gehen spazieren, sobald ich alles auf meinem Tisch wegsortiert habe. Die Einkäufe lassen wir einfach hier, die können wir auch noch später nach Hause bringen.«

Sie kichert.

»Dann hat Marc auch wenigstens genug Zeit für das Projekt Kleiderschrank.«

Als wir am frühen Abend wieder nach Hause kommen, duftet es schon im Flur verführerisch nach Essen. Hm! Verheißungsvoll! Hoffentlich hat der Koch auch an mich gedacht. Es klappert hinter der Küchentür, und einen kurzen Moment später erscheint Luisa mit einem Stapel Teller in den Händen.

»Hallo ihr beiden! Papa hat euch schon vermisst. Wir haben nämlich für euch gekocht.«

Carolin lächelt und stellt die Einkaufstüten ab.

»Wie nett! Es riecht auch schon sehr lecker. Was gibt es denn?«

»Rahmgeschnetzeltes mit Reis. Ein Rezept von Oma. Das schmeckt immer.«

Das glaube ich nur zu gerne. Ob ich etwas davon abbekomme? Marc ist da leider immer ein wenig streng und behauptet, menschliches Essen sei für Dackel gänzlich ungeeignet.

»Wir haben sogar eine kleine Portion für Herkules zubereitet. Ohne Gewürze oder so. Zur Feier des Tages wollte Papa ihm auch etwas gönnen.«

Juchhu! Eine echte Spitzenidee vom Herrn Doktor! Der biegt in diesem Moment selbst um die Ecke.

»Hallo, Süße! Ihr wart ja ganz schön lange weg. Hattest du Angst, ich hätte sonst nicht genug Zeit zum Entrümpeln?« Er grinst.

»Nee, aber ich war noch in der Werkstatt und habe bei Nina vorbeigeschaut.«

»Aha. Schon Sehnsucht nach der alten Wohnung?«

»Tja, ein bisschen komisch war es schon. Ich hatte auch den Eindruck, dass Herkules etwas wehmütig war. Falls Tiere so etwas sein können.«

Marc nickt.

»Klar können sie das. Gerade Hunde binden sich meist sehr an den Ort, an dem sie leben. Es gibt immer wieder Berichte von Tieren, die erstaunliche Distanzen überwinden, um in ihre alte Heimat zurückzukehren. Aber nachdem Hunger ja bekanntlich schlimmer ist als Heimweh, haben Luisa und ich jetzt das perfekte Mittel gegen beides parat. Ich bin gespannt, wie es euch schmeckt.«

Im Esszimmer füllt Marc die Teller auf, Luisa stellt mir ein Schälchen mit besagtem Geschnetzelten neben den Tisch. Ich probiere und bin begeistert! Das Fleisch ist ganz zart und saftig, der Bratensaft ist längst nicht so salzig wie das, was Carolin immer in der Pfanne zaubert. Wenn Marc von nun an jeden Abend für mich kocht, ist die Sehnsucht nach unserer alten Heimat bestimmt schnell Geschichte. Oder ich lade Herrn Beck mal zum Essen ein? Vielleicht zieht er dann auch noch bei uns ein.

Auch Carolin scheint es zu schmecken.

»Hm, köstlich. Deine Mutter scheint ja eine gute Köchin zu sein.«

»Meine Mutter? Wie kommst du denn da drauf?«

»Luisa sagte, es sei ein Rezept deiner Mutter.«

Luisa lacht.

»Nee, nicht von Oma Hilde. Das ist ein Rezept von Oma Burgel.«

»Oma Burgel?«

Carolin schaut Marc fragend an.

»Äh, das ist ein Rezept von Burgel, Sabines Mutter. Also quasi meine Ex-Schwiegermutter. Und die kann in der Tat ausgezeichnet kochen. Sie hat mir das Rahmgeschnetzelte mal gezeigt, weil ich es so gerne bei ihr gegessen habe.«