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Nein. Sie steht immer noch an ihrer Werkbank, scheinbar konzentriert auf ihre Arbeit. Daniel lehnt neben ihr an der Wand und mustert sie nachdenklich.

»Willst du ihn denn nicht wenigstens mal zurückrufen?«

»Nein.«

»Er hat schon dreimal angerufen. Beim vierten Mal verleugne ich dich nicht mehr.«

Schweigen. Daniel zieht sich seine Jacke an. »Ich fahre jetzt noch mal zu Lemke und komme heute nicht mehr rein. Und ich glaube, du machst einen Fehler. Marc weiß doch gar nicht, was eigentlich los ist.« Dann schnappt er sich die Schlüssel, die auf seiner Werkbank liegen, und geht los.

Als die Tür ins Schloss fällt, nimmt sich Caro das Telefon und tippt eine Nummer ein.

»Hallo, Nina. Bist du an der Uni? Und noch mit deinem Experiment beschäftigt? Ach so … na, ich dachte, wir könnten vielleicht einen Kaffee zusammen trinken.« Nina scheint etwas länger auszuholen, jedenfalls sagt Caro eine ganze Weile gar nichts. »Aha. Na gut, dann komme ich später auf ein Glas Wein vorbei … nee, muss ich dir persönlich erzählen. Bis dann.« Klick.

Sie hat aufgelegt. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, geht Caro in die kleine Küche und holt sich ein Glas Wasser. Aus ihrer Handtasche kramt sie ein kleines Pappschächtelchen, holt zwei kleine weiße Bonbons daraus hervor und schluckt diese. Dann stapft sie wieder zu ihrer Werkbank zurück.

Wenn Carolin in dieser Stimmung ist, mag ich sie gar nicht. Gut, so grimmig wie heute ist sie selten, und es ist überdeutlich, dass es ihr nicht gut geht. Aber ist das ein Grund, seinen treuen vierbeinigen Freund zu ignorieren? Ich laufe hinter ihr her, springe dann auf den Korbsessel neben ihrer Werkbank und belle einmal laut und kräftig. Hallo, Caro! Nun guck mich doch wenigstens mal an! Endlich dreht sie sich zu mir um.

»Mann, Herkules! Jetzt nerv du nicht auch noch!«

Bitte? So eine Unverschämtheit! Ich, der immer nur ihr Bestes im Sinn hat. Undank ist der Welten Lohn. Ach, Quatsch: Undank ist der Menschen, insbesondere der Frauen Lohn. Beleidigt igle ich mich im Kissen des Sessels ein und starre böse zu Caro hinüber. Aber sie beachtet mich schon nicht mehr, sondern blättert wieder in dem unseligen Buch von Sabine. Von wegen du bist der einzige Mann, auf den ich mich wirklich verlassen kann. Wenn du alle anderen Männer auch so behandelst wie mich, dann bist du bald verlassen. Du wirst schon sehen, was du davon hast.

Genau – das ist überhaupt die Idee! Verlassen! Warum bin ich nicht schon eher darauf gekommen? Ich werde sie verlassen. Ich haue ab! Und zwar noch heute. Vielleicht kommt Caro dann wieder zur Besinnung. Ha, ein Spitzenplan! Wenn sie nachher mit Nina ein Glas Wein trinkt, mache ich mich davon. Ich weiß auch schon genau, wohin ich flüchten werde. Zu einem Leidensgenossen. Und ich bringe ihm etwas mit. Etwas, das ihm gehört.

FÜNFUNDZWANZIG

Herkules, was machst du denn hier? Und was hast du da im Maul?«

Marc beugt sich zu mir hinunter und zieht vorsichtig an dem Buch, das ich immer noch im Fang halte. Langsam lasse ich los und hoffe, dass es meine Flucht aus der Werkstatt heil überstanden hat. Na ja, es ist ein bisschen vollgesabbert, aber insgesamt sieht es doch noch anständig aus. Marc wischt mit seinem Ärmel über den Buchdeckel und betrachtet ihn eingehend.

»Die zweite Chance. Hm.« Dann schlägt er das Buch auf und liest. »Lieber Marc … auweia!« Irritiert starrt er mich an. »Woher hast du das, Herkules?« Er steht auf und geht kurz aus dem Behandlungszimmer. Ich höre ihn mit seiner Mutter sprechen.

»Sag mal, und sonst war niemand vor der Haustür?«

»Nein. Nur Herkules mit dem Teil im Maul. Wollte er mir übrigens nicht geben, hat gleich geknurrt. Ich habe mich auch gewundert. Aber er wird ausgebüxt sein. Typisch Jagdhund. Erinnerst du dich noch an unseren Terrier Trudi? Die ist doch auch immer …«

»Ja, Mutti«, unterbricht Marc sie, »ich weiß. Ich dachte nur, dass Carolin vielleicht mit ihm unterwegs war, und er schon mal vorgelaufen ist.«

»Aber Junge, Carolin hat doch einen Schlüssel. Die würde einfach reinkommen. Und falls sie ihn vergessen hätte, hätte sie längst geklingelt. Nein, als ich eben zur Post wollte, saß nur Herkules vor dem Hauseingang. Sonst niemand.«

»Hm.«

»Sag mal, wo steckt Carolin denn? Ich habe sie heute Morgen gar nicht gesehen.«

»Äh … sie hat doch gerade diesen Riesenauftrag. Musste zu einem Auswärtstermin.«

»Na, und lässt dich hier einfach allein? Ja, ja, diese berufstätigen Frauen.« Sie lacht.

»Ach, Mutter, wo du gerade davon sprichst – wenn du mit der Post fertig bist, würde ich mich gerne mal in Ruhe mit dir unterhalten.«

»Worüber denn?«

»Wie wir hier weitermachen. Sag einfach Bescheid, wenn du wieder da bist.« Er kommt zurück zu mir ins Behandlungszimmer.

»Herkules, ich wünschte, du könntest sprechen. Wie bist du nur an dieses Buch gekommen? Und was ist gestern passiert? Weißt du, ich mache mir wirklich Sorgen.«

Da sagt er was! Auch ich würde ihm zu gerne erzählen, was es mit dem Buch auf sich hat und warum Carolin sich so schrecklich verhält. Aber stattdessen kann ich nur die Ohren hängen lassen und ihn traurig angucken. Marc seufzt.

»Tja, Kumpel. Hoffen wir einfach mal, dass sich alles wieder einrenkt. Ich schlage vor, du vergnügst dich ein bisschen im Garten. Und wenn ich das unangenehme Gespräch mit meiner Mutter hinter mich gebracht habe, machen wir beide etwas Schönes: Wir holen Luisa vom Hort ab und gehen gemeinsam ein Eis essen. Was hältst du davon? Ich finde, das haben wir uns als kleinen Lichtblick verdient.«

Ich wedele mit dem Schwanz. Solche positiven Ansätze müssen unbedingt verstärkt werden! Bis es so weit ist, werde ich mich ein bisschen in der Sonne entspannen. Schließlich waren die letzten Tage auch für mich sehr anstrengend – da muss ein kleines Schläfchen drin sein.

Als wir vor der Schule ankommen, wartet Luisa schon auf uns.

»Mensch, Papa, du bist zu spät!«

»Tut mir leid, mein Schatz. Ich musste noch etwas mit der Oma besprechen, und das hat länger gedauert. Aber dafür habe ich Herkules mitgebracht.«

»Oh, klasse! Ist Carolin denn auch wieder da?«

»Äh, nein, die ist noch unterwegs. Kommt aber bestimmt bald nach Hause. Ich finde, wir gehen jetzt mal ein Eis essen.«

»Superidee!«

»Wie war es denn sonst so?«

»Och, ganz gut. Greta vom Tussi-Club feiert Geburtstag, und ich bin auch eingeladen. Sie macht eine Rollschuh-Rallye, und du, Herkules, sollst auch mitkommen. Toll, nicht? Ich gehöre jetzt richtig dazu. Und alles wegen Herkules!«

Stolz recke ich mich und mache Männchen. Genau, alles wegen mir! Endlich mal eine Frau, die das erkennt und zu würdigen weiß. Luisa nimmt Marc die Leine aus der Hand und läuft mit mir los.

»Kommt, wer als Erster an der Eisdiele ist!«

»Auch das noch! Dein armer, alter Vater!«

Auch Marc beginnt zu laufen, und schon kurz darauf biegen wir um die Ecke zur Eisdiele.

»Erster!«, ruft Luisa und stellt sich mit mir an die lange Schlange vor dem Eingang.

»Ja, aber du hast geschummelt. Herkules hat dich gezogen. Das zählt nicht.«

»Nee, Papa, du bist einfach zu langsam.«

Sie gibt Marc einen Kuss, und ich merke, wie mir wohlig warm wird. Nicht vom Rennen, sondern von dem schönen Gefühl, dass hier endlich mal zwei Menschen miteinander glücklich sind. Hach, wenn Carolin nicht mehr auftaucht, bleibe ich einfach bei Marc und Luisa. Die kann mich gernhaben.

Offenbar kann Marc meine Gedanken lesen.