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Für Harry James Hosier

Danksagung

Dem Kommandeur G. S. Stavert - MBE, MA, Königliche Marine (i.R.) - dem Ehrenwerten Sekretär der Sherlock-Holmes-Gesellschaft, England.

Ebenso dem Andenken an Sir Arthur Conan Doyle, ohne dessen geniale Schöpfung der ursprünglichen Figuren dieses Buch nicht möglich gewesen wäre.

Sydney Hosier.

Vorwort

Die Hudson-Sammlung

Mrs. Emma Hudsons erster Schritt in die Welt der Morde, Geheimnisse und Intrigen des 19. Jahrhunderts begann, scheinbar harmlos, mit einem Telegramm, adressiert an sie in der Baker Street 221B in London. Ihre Reaktion darauf und die damit verbundenen Folgen führten zu einer Karriere als Detektivin, die in vielerlei Hinsicht mit der ihres berühmten und extravaganten Mieters Sherlock Holmes konkurrieren konnte.

Obwohl Mrs. Hudson später eine Reihe von Büchern über ihre Aktivitäten verfaßte, habe ich keinen Hinweis darauf finden können, daß sie je eines ihrer Manuskripte einem Verlag vorlegte. Ob sie dies unterließ, damit sich das öffentliche Interesse nicht in dem Maße auf sie richtete, wie es im Fall von Holmes geschehen war, läßt sich heute nicht mehr sagen.

Nach ihrem Tode im Jahre 1917 wurde ihre persönliche Habe, wie in ihrem Testament festgelegt, ihrer einzigen lebenden Verwandten zugeschickt: Mrs. Maude Havelock aus Harrowsbridge, Sussex, einer entfernten Cousine mütterlicherseits.

Ich habe keine Ahnung, was mit dem Großteil ihrer Habe geschehen ist, aber ich weiß, daß die Manuskripte ebenso wie einige Erinnerungsstücke in Kartons auf Mrs. Havelocks Dachboden verstaut wurden.

1945 vermählte sich Mrs. Havelocks Enkelin Diana mit Harold Thompson, einem Sergeanten der kanadischen Armee, welcher zu dem Zeitpunkt in England stationiert war. Nach dem Tod ihrer Großmutter im Juli desselben Jahres entdeckte Diana die Schriften von Mrs. Hudson - die Hudson-Sammlung - auf dem Dachboden der alten Dame. Mit der Erkenntnis, daß die vergilbten Seiten mehr als nur Erinnerungen an vergangene Zeiten enthielten, beschloß Diana, sie aufzubewahren.

Als sie im folgenden Jahr per Schiff den Atlantik überquerte, um ihren Mann in seine Heimat zu begleiten, nahm sie die HudsonSammlung mit. In dem neuen Land war Diana Thompson überwiegend mit ihrem Eheleben beschäftigt. Deshalb verstaute sie die Kartons in dem Keller ihres Vorstadt-Bungalows. Und dort blieben sie.

Vor etwas mehr als zwei Jahren erfuhr ich durch die Thompsons, die ich über gemeinsame Freunde kennengelernt hatte, von der Sammlung. Als sie ihrerseits erfuhren, daß ich Schriftstellerin war, fragten sie mich, ob ich daran interessiert wäre, das Material durchzusehen, in der Hoffnung, es irgendwie zu ordnen und so eventuell eine Veröffentlichung zu ermöglichen. Da ich eine Liebhaberin von Detektivromanen bin, nahm ich die Aufgabe gerne an.

Zu den Manuskripten, die sich mit den Fällen beschäftigten, in die Mrs. Hudson verwickelt war, fand ich persönliche Briefe, Postkarten, verblichene Fotografien, einige kleine Ölgemälde ländlicher Gegenden und das erwähnte Telegramm, welches von ihrer guten Freundin Mrs. Violet Warner an sie geschickt worden war. Leider existierten keine Briefe zwischen Mrs. Hudson und Sherlock Holmes.

In der Bearbeitung und erneuten Niederschrift des ersten Falles von Mrs. Hudson habe ich besondere Sorgfalt darauf verwendet, den Verlauf der Geschichte, wie sie ihn in ihrem reinlichen und ausführlichen Manuskript dargestellt hat, wahrheitsgetreu wiederzugeben. Die einzige Änderung von Bedeutung habe ich in bezug auf den Titel vorgenommen. Ich änderte Die Morde auf Haddley Hall in Kein Fall für Mr. Holmes. Ich bin sicher, Mrs. Hudson und auch Mr. Holmes selbst wären damit einverstanden gewesen.

J. Sydney Hosier Toronto, Ontario Kanada.

1. Mein Leben und meine Zeit

Mein Name ist Emma Hudson. Meine Verwicklung in die tragischen und geheimnisvollen Ereignisse, die ich nun niederschreibe, begann mit einem Telegramm aus Surrey, das zu meinem Wohnhaus in der Baker Street 221B in London geschickt wurde, und zwar am 8. Oktober 1898 - ein Datum, welches mir noch gut in Erinnerung ist.

Hätte mir jemand prophezeit, daß ich meinen Lebensabend mit der Verfolgung und Ergreifung krimineller Elemente unserer Gesellschaft verbringen würde, so hätte ich ihn - gelinde gesagt - für verrückt erklärt. Und dennoch ging ich genau dieser Beschäftigung nach, bis mich eine Krankheit zu Ruhestand und Abgeschiedenheit zwang.

Was meine Jugend und meine anschließende Heirat betrifft, so bringe ich die folgenden Informationen dar, wobei es mir der Leser sicher verzeihen wird, wenn ich aus Eitelkeit das Geburtsdatum auslasse. Es möge genügen zu sagen, daß ich in Portsmouth als einziges Kind von Captain Roger Abernathy und seiner Frau geboren wurde. Mein Vater war Kapitän bei der Blackwell Schiffahrtsgesellschaft und starb den Seemannstod, wie auch alle anderen Mitglieder seiner Mannschaft außer einem, als sein Schiff, die Albatros, irgendwo vor der Küste Westmalaysias sank. Meine Mutter verschied nur wenige Monate, nachdem uns die Nachricht vom Schicksal meines Vaters ereilt hatte.

Obwohl Angehörige der medizinischen Zunft (und damit auch ein gewisser Dr. Watson, auf den ich später noch zu sprechen komme) meine Diagnose sicher rasch verspotten werden, so bin ich bis zum heutigen Tage davon überzeugt, daß ihr Ableben auf nichts anderes als auf ein gebrochenes Herz zurückzuführen war.

Zum Zeitpunkt dieses äußerst unglücklichen Ereignisses in meinem Leben war ich erst 18 Jahre alt, und wäre William Hudson, der einzige Überlebende der vom Schicksal getroffenen Albatros, nicht gewesen, ich wüßte nicht, was aus mir geworden wäre.

Ich kannte Mr. Hudson seit meiner Kindheit, denn er war nicht nur der erste Schiffsoffizier und Freund meines Vaters, er verbrachte auch die Zeiten zwischen den Reisen in unserem Hause.

Er war ein Mann mit einem sowohl angenehmen als auch aufrichtigen Wesen. Und ich täte unrecht, wenn ich nicht selbst zu diesem späten Zeitpunkt zugäbe, daß ich schon als Mädchen für ihn geschwärmt hatte.

Obwohl er gut fünfzehn Jahre älter war als ich, erwiderte er meine Gefühle (auf sehr diskrete Art und Weise, das kann ich Ihnen versichern). Ein vielsagender Blick, ein wohlwissendes Lächeln oder das beiläufige Berühren meiner Hand - es war ein beiden Seiten bewußtes, unausgesprochenes Werben, und ich bin sicher, daß es meiner lieben Mutter viel Kummer bereitete. Oh ja, sie wußte es, wie jede Frau es gewußt hätte. Ich glaube, daß die Frau, ungleich dem Manne, ein Gespür für das Subtile der menschlichen Psyche besitzt, eine Sensibilität, die der des Telegrafendrahtes ähnelt: eine angeborene Fähigkeit, die gesendeten geräuschlosen Signale zu empfangen und zu entziffern.

Geldbeträge, die meine Eltern für ihr eigenes Wohl hätten verwenden können, kamen den besten Lehrer für mich zu, wodurch ich eine Bildung genoß, die weit über meinem gesellschaftlichen Stand lag, und obwohl meine Mutter William selbst sehr mochte, so hätte sie sich ihn doch nicht als Ehepartner für mich gewünscht. Auch wenn ich ihren Wunsch nach einer Verbesserung meines gesellschaftlichen Ranges heute sehr gut verstehen kann, fürchte ich dennoch, daß meine Sicht der Zukunft - so jung und so leicht zu beeindrucken, wie ich damals war - durch die von Liebe geblendeten Augen beschränkt war.

Mein armer Papa hatte natürlich nicht die geringste Ahnung von meinen Gefühlen. Es ist durchaus gerechtfertigt, wenn ich sage, daß ich meine Beobachtungsgabe - wie ausgeprägt sie auch sein mag -von der Familie mütterlicherseits geerbt habe. Ein kaum merkliches Schwanken in der Stimme, eine allzu schnelle Handbewegung, das unruhige Scharren mit den Füßen oder ein Zucken der Augenbrauen, all dies und noch viel mehr war für mich wie ein »Sesam-öffne-dich« zu der hinter dem Gesagten verborgenen Wahrheit.