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»Verdammt noch mal, ich hab’ einfach nur geschrien. Und als ich sah, wie sie mit den Armen fuchtelte und versuchte, sich freizukämpfen, hab’ ich mich selbst auf ihn gestürzt. Hat allerdings verflixt wenig genützt. Ich hatte nämlich vergessen, mußt du wissen, wenn ich geistig unterwegs bin, kann man mich nicht sehen, hören oder fühlen. Schoß geradewegs durch ihn durch, echt, wie ein verfluchtes Gespenst!«

»Du redest über diese Person, als sei es ein Mann gewesen. Bist du dir da sicher?«

»Hm, weiß nicht. Hab’ ich jedenfalls angenommen.«

»Ach, meine liebe Violet«, antwortete ich schulmeisterlich, wie es sich für meine neue Rolle als Privatdetektivin gehörte, »man darf nie etwas annehmen. Eine Annahme hat überhaupt keine Grundlage, da sie höchstens auf Intuition beruht. Wir brauchen Fakten, Mädchen. Fakten.«

»Zu dem Zeitpunkt war ich aber nicht an verflixten Fakten interessiert!« lautete die wütende Replik. »Ich wußte nur, daß ich Ihrer Ladyschaft nicht helfen konnte, wenn ich weiter wie so ‘n blöder Schmetterling durch das Zimmer flog! Also schwebte ich zurück, und«, fuhr sie fort und ergriff meine Hand, »frag mich nicht, woher ich die Nerven dazu hatte, aber sobald ich wieder in meinem Körper war, hab’ ich mir den Hausmantel übergeworfen und bin den Flur entlang zum Schlafzimmer des alten Mädchens gestürmt.«

»Vi!« rief ich aus. »Das hätte überaus gefährlich sein können. Du hast niemanden informiert?«

»Oh, doch. Das ganze verdammte Haus, so wie ich geschrien und an die Tür gehämmert habe. >Hey<, hab’ ich gerufen, >ich weiß, daß Sie da drin sind!<«

»Die Tür war also verschlossen?«

»Ja. Das hat mich um so mehr aufgeregt, denn Ihre Ladyschaft hatte die Regel aufgestellt, sie nie abzuschließen. Hatte Angst vor Feuer, verstehst du. Wollte in dem Fall nicht krampfhaft versuchen, sie aufzukriegen. Da stand ich also und keifte wie eine Todesfee, bis der alte Hogarth mit einer Kerze und seinem Schlüsselring herbeikam.«

»Ist es dir nicht merkwürdig erschienen, daß er zu dem Zeitpunkt dort auftauchte?« fragte ich.

»Nein, eigentlich nicht«, lautete ihre arglose Antwort. »Der alte Junge macht jeden Abend seine Runde, um zu sehen, ob alles so ist, wie es sein sollte.«

»Aha.«

Ich war von ihrer Antwort enttäuscht, tröstete mich aber mit dem Gedanken, daß seine Ankunft vielleicht wirklich auf eine Routine zurückzuführen sei, es aber durchaus richtig gewesen war, den Punkt anzusprechen. Nach dem Motto: »Nichts unversucht lassen.« Ich bat sie fortzufahren.

»Wir gehen also hinein, Hogarth hält die Kerze hoch, um mehr Licht zu haben, und ich warte darauf, daß jeden Augenblick jemand aus dem Dunkel hervorspringt. Und als ich mich umschaue, da war er weg!«

»Da war er - weg? Also wirklich, Vi!«

»Na, du weißt schon, was ich meine.« Sie fuchtelte verzweifelt mit den Armen, weil ich den Anker an dieser Stelle geworfen hatte, während sie anscheinend mit voller Kraft voraus wollte. Nachdem sie mir einen Blick zugeworfen hatte, den sie für angemessen verärgert hielt, fuhr sie fort.

»Zu diesem Zeitpunkt kam die ganze verfluchte Familie, die das Spektakel, das ich im Flur veranstaltet hatte, gehört hatte, in das Zimmer gerannt und sah mich am Bett stehen und Hogarth mit der Kerze über dem Gesicht der alten Lady. Dann schritt Lady Margaret herbei, und so ruhig wie nur irgendwas verkündet sie: >Ich fürchte, Ihre Ladyschaft ist tot.< Also kämpft sich der Doktor durch die Menge vor und untersucht sie. >Ja<, sagt er, >es scheint, ihr Herz habe sie im Stich gelassen. Zumindest können wir dankbar sein, daß sie in Ruhe verstorben ist.< >In Ruhe!< schrei’ ich. Oh, ich war so sauer. >Vor nicht einmal einer Minute sah ich einen Kerl hier drinnen<, sag’ ich. >Der hat sie umgebracht. Das war kein verflixtes Herzversagen!< >Die Frau hat sich offensichtlich von ihrem Verstand verabschiedet^ sagt da Lady Arrogant. Der Squire fragt Hogarth, was er von all dem weiß, und Hogarth.«

»Einen Moment, Vi«, sagte ich. »Bevor du mit deiner Geschichte weitermachst, halte ich es für das beste, wenn du mich mit den im Zimmer Anwesenden vertraut machst. Ich hätte dann ein besseres Verständnis.«

»Oh, richtig, du kennst sie ja nicht, nicht wahr, Liebes? Also, paß auf. Da waren Sir Charles, natürlich, und Lady Margaret, die hast du kennengelernt. Dann noch Dr. Morley, er ist der Hausarzt der Familie, und der Squire, das ist Henry St. Clair, der Bruder von Sir Charles. Und wer sonst noch? Ach ja, der Colonel.«

»Der Colonel?«

»Colonel Wyndgate, obwohl ich schon mehrmals gehört habe, wie die Bediensteten ihn hinter seinem Rücken Colonel Windbeutel nennen - zu recht, wenn du mich fragst. Er war ein alter Freund Seiner Lordschaft aus der Militärzeit. Wohnt immer noch hier auf Haddley.«

»Und dieser Henry St. Clair, der Squire, was weißt du über ihn?«

»Der muß ungefähr ein oder zwei Jahre jünger als Sir Charles sein. Leitet das Gut, auch wenn man’s nicht merkt. Verbringt die meiste Zeit in London am Spieltisch. So wie auch Sir Charles. Nicht am Tisch, mein’ ich, aber in London. Der ist im Vorstand irgendeiner großen Bank. Ich weiß nicht, welcher. Die erzählen mir nie viel. Und das war’s.«

»Außer Hogarth«, erinnerte ich sie.

»Oh ja, Hogarth. Nun, den vergißt man schnell, oder? Gehört fast zur Einrichtung, könnte man sagen. Den gibt’s länger als Stonehenge. Man kann wohl sagen, daß er mehr über die Familie weiß als sonst jemand.«

Ich machte über die Information eine geistige Notiz und ermahnte mich stumm, sie morgen früh auf Papier festzuhalten.

»Gut, erzähl weiter, Vi.« Da ich merkte, daß sie etwas müde wurde, verpaßte ich ihrem Arm einen kleinen Stupser. »Du erzähltest gerade, daß der Squire Hogarth fragte.?«

»Ja, richtig«, sagte sie und versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken. »Hogarth erzählt ihm, daß er mich an die Tür Ihrer Ladyschaft hatte hämmern sehen, daß er die Tür aufgeschlossen und mir hineingefolgt war. >Haben Sie in dem Zimmer außer Lady St. Clair jemanden gese-hen?< fragt ihn der Squire. >Nein, Sir<, antwortet er. Dann meldet sich Sir Charles zu Wort: >Warum, um Himmels willen<, fragt er mich, >haben Sie gesagt, Sie sahen jemanden im Zimmer, wenn das, was Hogarth uns gerade erzählt hat, ganz deutlich macht, daß Sie draußen vor der Tür standen, als er hier eintraf?<

Nun, da hatte er mich, oder? Ich mein’, ich konnte denen doch nicht erzählen, daß. du weißt schon. Die hätten mich nach Bedlam in die Irrenanstalt verfrachtet, ohne auch nur zu fragen. Das ging mir in aller Schnelle durch den Kopf, und so sag’ ich, ich hätt’ einfach so’n Gefühl gehabt. So was wie weibliche Intuition, wenn man will. Das beeindruckte die Lady Wichtig nicht allzusehr. >Mrs. Warner<, sagt sie auf ihre schnippische Art, >es scheint, als hätten Sie entweder einen schlechten Traum gehabt oder als bauten ihre geistigen Fähigkeiten mit zunehmendem Alter extrem ab. In jedem Fall wäre es besser, Sie ließen uns nun allein. <«

»Was hast du darauf geantwortet?«

»Nichts. Ich hab’ sie ignoriert, wie immer. Und so bestürzt wie ich war, wegen dem Tod meiner Herrin und so, hab’ ich mich zu ihr runtergebeugt, um Ihrer Ladyschaft einen letzten Kuß auf die Wange zu geben. Also, meine Nase ist ja nun nicht allzugut. Kann nicht mehr so gut riechen wie früher. Aber, oh, als ich mich über sie beugte, roch ich etwas ziemlich Komisches. >Hier<, sag’ ich, >riecht das nicht merk-würdig?< Nun, die stellten sich alle drumherum, und nicht einer von ihnen wollte zugeben, etwas zu riechen. Kein einziger!«

»Äußerst rätselhaft. Nicht einmal der Doktor?«

»>Dies ist ein altes muffiges Zimmer, Mrs. Warner. Das könnte alles Mögliche sein.< Das war alles, was ich von ihm zu hören bekam.«

»Und Hogarth?«

»Er war da schon fort. Ich glaube, Sir Charles hatte ihn gebeten, sich darum zu kümmern, daß einer der Bediensteten sich gleich am nächsten Morgen auf den Weg zu einem Bestatter machte.«