Buschige Augenbrauen zogen sich zusammen, während sich seine Augen für eine, wie es schien, ewige Zeit in die meinen bohrten. Ein kurzes »Schönen Tag noch, Madam« wurde mir entgegengebracht, ebenso wie ein anschließendes kurzes Tippen an seine Melone, woraufhin er sich entschlossenen Schrittes zum Karren begab. Der Constable hatte schon die Zügel in der Hand, und Will saß niedergeschlagen hinten, während der Inspektor mühsam auf das Gefährt kletterte. Als sie ihre Reise nach Twillings begannen, schrie der junge Kerl flehend zu mir herüber: »Helfen Sie mir, Mrs. Hudson. Sie glauben mir doch, das weiß ich!«
Ihm helfen? Ich wünschte, ich könnte es. »Ich versuche es, Will Tadlock. Ich versuche es«, rief ich mit einem Lächeln, das meine Zweifel verriet.
Während sie in der Ferne verschwanden, unternahm ich noch eine letzte ausführliche Suche nach dem fehlenden Ohrring, indem ich sorgfältig den Boden in Augenschein nahm, auf dem die Leiche gelegen hatte. Unglücklicherweise fand ich nichts. Mit einem Seufzer erhob ich mich, und da ich bemerkte, daß sich der zuvor sanft prasselnde Regen nun zu einem ausgereiften stürmischen Guß entwickelte, legte ich mir rasch den Schal um den Kopf und zog mich geschwind zum Gutshaus zurück.
9. Ein Gespräch unter vier Augen
»Die anderen sind also fort, Hogarth?« fragte ich, als ich den alten Herrn sah, der gerade die Tür zum Musikzimmer hinter sich schloß.
»Vor knapp fünf Minuten, Mrs. Hudson.«
»Mrs. Warner ebenfalls?«
Er nickte bestätigend und fügte hinzu: »Sie bat mich, Ihnen zu sagen, Sie würden sich spätestens zum Dinner sehen.«
Ich legte einen Zeigefinger auf mein Kinn und starrte auf den Boden
- eine Geste, so sagt man, die ich gewöhnlich mache, wenn ich verwirrt oder in Gedanken versunken bin.
»Vergeben Sie mir, Hogarth«, sagte ich und wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem alten Herrn zu, »aber ich bin etwas überrascht, daß Sie die Familie und das Personal nicht zu dem Beerdigungsgottesdienst begleitet haben.«
»Ich hielt es für das beste, Madam, daß jemand während der Abwesenheit der Familie auf Haddley bleibt.« Er hielt inne, fragte sich zweifellos, ob ich Anspruch auf eine weitergehende Erklärung hatte, und bemerkte dann: »Ich werde ohnehin das Grab aufsuchen, um Ihrer Ladyschaft persönlich zu einem geeigneteren Zeitpunkt die letzte Ehre zu erweisen.«
Ich war erleichtert, daß er ausführlicher geworden war, denn ich glaubte, es wies darauf hin, daß er nichts dagegen hatte, mir gegenüber etwas offener zu sein, als er oder seine Position es normalerweise zuließen. Ein gutes Zeichen. Ich brauchte sein Vertrauen.
Ich machte es mir auf einem reichlich gepolsterten und äußerst komfortablen Ledersofa bequem. Während ich auf den Platz neben mir klopfte, fragte ich: »Würde ich gegen irgendeine Regel des gesellschaftlichen Anstandes verstoßen, wenn ich Sie bäte, sich zu mir zu setzen, damit wir ein wenig miteinander plaudern könnten?« Meine Bitte schien den alten Herrn ziemlich zu verblüffen. Nach einem kurzen nervösen Zögern setzte er sich jedoch neben mich.
»Sie haben sich also entschieden zurückzubleiben, nicht wahr - wie ein Kapitän, der sich weigert, sein Schiff zu verlassen«, begann ich das Gespräch unbeschwert.
»Madam benutzt den Jargon eines Menschen, der mit der See vertraut ist«, lautete die steife und formelle Antwort.
Ich erwiderte, daß sowohl mein Gatte als auch mein Vater den Großteil ihres Lebens zur See gefahren waren und fügte hinzu, daß mein Vater und sein Schiff auf einer Fahrt vor der Küste von Westmalaysia in einem Sturm verunglückt waren.
Das alte Gesicht nahm vor Mitgefühl sanfte Züge an, als er die Geschichte hörte. »Es tut mir leid, dies zu hören, Mrs. Hudson. Für welche Gesellschaft fuhr er?«
Die Frage nach der Gesellschaft zeigte seinerseits eine Kenntnis der Seefahrt, die mich überraschte.
»Blackwell«, antwortete ich.
Der alte Kopf nickte wissend. »Blackwell«, wiederholte er gedankenverloren. »Ja, eine gute Gesellschaft. Ich selbst gehörte zur Besatzung der Thomas B. Henly, ein Windjammer der Blackwell-Gesellschaft - zu den Westindischen Inseln und zurück. Wir hatten, soweit ich mich erinnere, Rum und Zuckerrohr geladen.«
Er hatte mich vollkommen überrascht. Wer hätte gedacht, daß dieser nette, zerbrechliche alte Mann neben mir einst in der Takelage geklettert, Segel losgemacht und die Gischt des Ozeans gespürt hatte? Wie schnell wir doch die Menschen mit unser Vorstellung davon, was sie sind, waren oder sein sollten, in Kategorien einordneten!
»Und dennoch«, erwiderte ich, »sind Sie jetzt hier auf Haddley.«
Während er es sich etwas bequemer machte, antwortete er: »Bevor Sie mich nun für einen alten Seebären halten, Mrs. Hudson, muß ich gestehen, daß ich nur eine einzige Reise auf hoher See gemacht habe. Mein Vater, müssen Sie wissen«, fügte er etwas entspannter hinzu, »diente sein ganzes Leben lang auf Haddley, so wie auch schon sein Vater vor ihm. Aber in der Ausgelassenheit der Jugend beschloß ich, wenn ich schon dienen sollte, dann auf See. Es erschien mir als ein weitaus faszinierenderes und abenteuerlicheres Leben, als für immer lautlos über Teppiche zu trotten.«
Ich nickte verständnisvoll, sagte nichts und ließ ihn fortfahren.
»Aber ich fürchte«, redete er weiter, »daß ich nur allzu schnell merkte, daß das Leben eines Seemannes nichts für mich war. Seekrank, Madam. Die ganze Reise über war ich seekrank. Ich schwor, wenn ich England jemals wiedersehen sollte, würde ich die heiligen Hallen von Haddley nie mehr verlassen.«
Ich tätschelte sanft die mit weißen Handschuhen bekleideten Finger. »Dennoch, alles in allem.«, sagte ich mit einer sich verlierenden Stimme.
»Ja, dennoch, alles in allem«, lautete die leise Antwort, »hätte ich das für nichts auf der Welt versäumen mögen.«
»Es scheint«, lächelte ich, »als hätten wir beide eine besondere Beziehung zur See, Sie und ich.«
Er wandte sich mir zu, und zum ersten Mal, so dachte ich, sah er nicht einfach nur eine Besucherin auf Haddley vor sich, sondern das Gesicht einer Freundin. In dem Moment spürte ich, daß ein Band zwischen uns geknüpft worden war. Ich hielt nun den Zeitpunkt für gekommen, etwas direkter zu werden. »Hogarth«, fragte ich, »liege ich falsch in der Annahme, daß Sie nicht an der Beerdigung Ihrer Ladyschaft teilgenommen haben, da Sie, sagen wir mal, eine persönliche Abneigung gegen die Familie hegen?«
Seine Reaktion bestand aus einer gehobenen Augenbraue, einem Lächeln und eine unverbindliche Antwort: »In Ihnen steckt mehr, als man denkt, Mrs. Hudson.«
Ich erwiderte sein Lächeln.
Langsam lehnte sich der dünne Körper auf dem Sofa zurück, während nachdenkliche Augen tief in den Raum und die Zeit starrten, bevor ich letztendlich mit einer Antwort belohnt wurde.
»Oh, ich hege keine Abneigung gegen die Jungen, ich meine, Sir Charles und den Squire. Du meine Güte, ich erinnere mich noch daran, als sie geboren wurden! Das waren in der Tat glückliche Zeiten«, ergänzte er wohl mehr für sich selbst.
»Und als Herren, heute?«
»Von meinem eigenen, persönlichen Standpunkt aus gesehen würde ich sagen, >enttäuscht< wäre das geeignete Wort.«
»Enttäuscht? Inwiefern?«
»Das Trinken des einen und das Spielen des anderen«, antwortete er leise, während er systematisch eingebildete Fussel von seinem Revers entfernte. Eine Geste, von der er sich wohl erhoffte, daß sie eine gewisse Lässigkeit zeigte und über seine Verlegenheit hinwegtäuschte, welche ihn erfaßte, da er über die Charakterschwächen seiner Arbeitgeber plauderte.