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»Vi«, sagte ich, »wir sollten vielleicht.«

»Ja, da hast du recht«, antwortete sie, stützte sich mit den Händen auf den Armlehnen des Sessel ab und erhob sich. »Wir ziehen uns am besten für heute abend zurück. Du hast doch schon gegessen, nicht wahr, meine Liebe?«

»Ja, in der Tat. Ich war in einer Teestube im Dorf.«

»Gut. Sie brauchen die Diener nicht zu bemühen, Sir Charles; ich kümmere mich um das Gepäck von Mrs. Hudson.«

Ich teilte Vi mit, daß ich lediglich mit einem kleinen Koffer gekommen wäre, da ich keine Ahnung von der Dauer meines Aufenthaltes gehabt hätte. »Sie entschuldigen uns also, Lady Margaret?« fragte ich.

Keine Antwort.

»Sir Charles?«

»Ja, ähm, gute Nacht, Mrs. Hudson, Mrs. Warner«, antwortete er und stellte sein Glas auf den Teewagen, ohne auch nur eine von uns anzuschauen.

Draußen in der Eingangshalle war Violet so freundlich und holte meinen Koffer von dort hervor, wohin er gestellt worden war. Ich hielt am Fuße der Treppe inne, faßte an das dunkle Geländer aus Walnuß und schaute nach oben: Für jemanden in meinem Alter erschien es mir als ein so gewaltiger Aufstieg wie die Spanische Treppe von Rom.

Violet bemerkte mein Zögern, als ich mich tief durchatmend auf den Versuch des Erklimmens vorbereitete.

»Na komm«, verkündete sie kichernd, »so schlimm, wie es aussieht, ist es nicht.«

Sie reichte mir ihren Arm.

»Warte«, sagte ich. »Hör mal.«

In unserer Eile, den Raum zu verlassen, hatte ich die Tür etwas offen gelassen. Wir standen schweigend auf der untersten Stufe und hörten der kaum vernehmbaren, aber äußerst lebhaften Unterhaltung der St. Clairs zu - lebhaft zumindest, was Lady Margaret betraf.

»Warte hier«, befahl ich Vi und schlich auf Zehenspitzen zurück zum Arbeitszimmer.

»Was soll denn das werden? Heimlich lauschen, hä? Oh, das würde ich an deiner Stelle nicht tun.«

Doch trotz ihrer Einwände folgte Vi mir rasch und lautlos. Gemeinsam lauschten wir an der Tür.

»Und noch etwas, Charles. Du sprichst mit diesen Leuten, als wären sie unseresgleichen!«

Wir sahen schweigend zu, wie seine Frau auf und ab ging und dadurch in unterschiedlichen Abständen immer wieder aus unserem Sichtfeld verschwand. Mir kam der Gedanke, die Tür noch ein klein wenig weiter aufzuschieben, was ich dann aber doch lieber unterließ.

»Es ist schon schlimm genug«, fuhr sie fort, »daß wir diese Warner jeden Abend beim Dinner erdulden müssen. Ich gehe davon aus, daß wir jetzt sogar noch einen Stuhl für diese Person - Hodgeson, oder wie immer sie heißt - dazustellen müssen.«

»Wie bitte?« stieß Violet hervor. »Sie muß mich erdulden? Pah, das gefällt mir!«

Ich legte einen Finger auf die Lippen und hoffte, sie zum Schweigen veranlassen zu können, während ich beobachtete, wie Sir Charles den temperamentvollen Ausbruch seiner Frau anscheinend amüsiert hinnahm.

»Hudson.« Er lächelte.

»Was?«

»Hudson«, antwortete er und ging zur Bar hinüber. »Die Frau heißt Hudson. Und was Mrs. Warner betrifft«, fügte er hinzu und füllte sein Glas erneut, bevor er weiterredete, »du weißt sehr wohl, daß es Mut-ters Wunsch war, sie wie ein Familienmitglied zu behandeln.«

Er stürzte seinen Drink hinunter, als wolle er sich gegen den nächsten Angriff wappnen. Und der ließ nicht lange auf sich warten.

»Aber deine Mutter weilt nicht mehr unter uns, nicht wahr?« Sie schleuderte ihm die Worte entgegen. »Und jetzt haben wir diese. diese Hudson hier. Wer weiß, wer morgen an unsere Tür klopft!«

Der Baronet blieb nun in unserem Blickfeld stehen.

»Wirklich, Margaret«, antwortete er besänftigend, »es gibt keinen Grund, daß du dich so aufregst. Immerhin sind sie bis Ende der Woche fort. Wenn ich mich recht entsinne, hast du den beiden das sehr deutlich zu verstehen gegeben.«

»Und das war auch verdammt gut so!« rief sie wütend aus. »Was genau hat diese Mrs. Hudson eigentlich hier verloren? Das gefällt mir nicht, Charles. Du erinnerst dich doch an den Aufstand, den Mrs. Warner machte, als sie herausfand, daß deine Mutter. äh.«

»Dahingeschieden war?«

Sie griff seine Worte auf. »Ja, genau, dahingeschieden war.«

»Dahingeschieden, daß ich nicht lache!« stieß meine Freundin hervor und verpaßte mir einen wütenden Ellbogenstoß in die Rippen.

»Und jetzt«, fuhr die Dame des Hauses fort, »steht diese Frau aus London bei uns auf der Schwelle. Warum?«

»Komm schon, Liebling. Du hörst dich an, als sei sie eine Geheimagentin für Scotland Yard.«

Sie drehte sich abrupt um und starrte ihn an. »Warum erwähnst du Scotland Yard?«

»Ich hatte den Eindruck«, antwortete er lässig, »daß sich dein Gedankengang auch in diese Richtung bewegte.«

»Nein, warum sollte er?« Sie schien recht beunruhigt, und zum ersten Mal, seit wir unsere Stellung draußen an der Tür bezogen hatten, verfiel die Stimme von Lady Margaret in ein Flüstern. Sie ließ sich in einen Sessel fallen und enthielt uns so ihren Anblick teilweise vor. »Charles, wir müssen uns einfach einmal vernünftig darüber unterhalten, was genau im Schlafzimmer deiner Mutter passiert ist.«

Bei dieser Bemerkung erhielt ich einen weiteren Rippenstoß.

»Wenn du es wirklich für notwendig hältst, Liebling. Aber heute abend bitte nicht. Du siehst müde aus. Warum gehen wir nicht zu Bett? Außerdem müssen wir morgen Mutters Begräbnis beiwohnen. Aber.!«

»Was ist? Was ist los?«

»Die Tür zum Arbeitszimmer. Sie ist gar nicht richtig zu.«

»Diese Hudson hat sie wahrscheinlich offen gelassen«, antwortete sie verärgert. »Du schließt sie besser, Charles.«

Es war an der Zeit, eilig das Feld zu räumen. Die Treppe erschien nun nicht mehr unüberwindbar. Ich erklomm die Stufen wie beflügelt, und Violet folgte dicht hinter mir.

Wir liefen den Flur entlang und erreichten die Schlafzimmertür, die Vi, nachdem wir eilig den Raum betreten hatten, schnell von innen abschloß.

5. Komplizinnen

Nachdem wir wie zwei abtrünnige Schulmädchen die Treppe hinauf in das sichere Schlafzimmer gerannt waren, gönnten wir uns etwas Zeit, um wieder zur Ruhe zu kommen, bevor Vi so nett war, mir beim Auspacken meiner wenigen Sachen zu helfen.

»Viel hast du ja nicht gerade dabei, was?« meinte sie und hängte mein marineblaues Kleid mit dem gekräuselten Spitzenkragen in den Schrank.

»Ursprünglich hatte ich nicht mehr als eine Übernachtung eingeplant«, antwortete ich. »Nun scheint es allerdings doch ein etwas längerer Aufenthalt zu werden.«

»Ja, aber nur bis zum Wochenende, und das gilt auch für mich. Ich meine, du hast ja gehört, was Lady Gernegroß gesagt hat. Kannst du dir das vorstellen: Sie erlaubt mir, zu dem verflixten Begräbnis zu gehen! Also wirklich! Außer dem alten Hogarth.«

»Hogarth?«

»Ja, der Butler. Also, ich wollte sagen, ich war die einzige, die sich je aus dem alten Mädchen etwas gemacht hat.«

Sie ging durch das Zimmer zu einer großen, reichverzierten Kommode. »Du hältst doch sicher auch was von einem kleinen Schluck zum Anfeuchten der Kehle, oder, Liebes?« fragte sie und öffnete die zweite Schublade von oben.

»Also wirklich, Violet Warner!« rief ich mit gespieltem Entsetzen aus. »Sag nur nicht, daß du schon Alkohol in deinem Schlafzimmer versteckst!«

»Nur zu medizinischen Zwecken, du verstehst«, antwortete sie mit einem frechen Augenzwinkern und brachte eine Flasche Sherry zum Vorschein.

Während sich meine Kameradin der Aufgabe widmete, die Gläser zu füllen, machte ich es mir auf einem leicht abgenutzten, kleinen blauen Samtsofa bequem, welches gegenüber einem Bett von unermeßlichem Alter und Gemütlichkeit stand. Am anderen Ende des Raumes starrte mich ein Foto von Violet und Albert vom Kaminsims herunter an.