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»Ich erinnere mich noch an den Tag, als du und Albert das Foto habt machen lassen«, sagte ich mit einem Lächeln.

Sie schaute das Bild für einen Augenblick sehnsüchtig an, bevor sie antwortete, daß es das einzige sei, was sie aus jenen Tagen behalten habe.

»Im Gegensatz zu mir«, antwortete ich kichernd. »Ich kann mich nie dazu durchringen, etwas wegzuwerfen. Mach keinen Fehler, Mädchen, irgend jemand wird sich köstlich amüsieren, wenn ich mal nicht mehr bin und alles geordnet werden muß.«

Nachdem sie mir mein Glas gegeben hatte, zog sie sich einen Korbsessel aus der Ecke und setzte sich mir gegenüber.

»Weißt du, Vi«, sagte ich und beugte mich vor, »als du das erste Mal andeutetest, daß deine Arbeitgeberin ermordet worden sei, nun, da dachte ich offen gestanden, daß du.« Ich suchte nach dem treffenden Ausdruck.

»Daß ich übergeschnappt bin, richtig?«

Violet war schon immer sehr direkt gewesen.

Ich wand mich verlegen. »Es scheint so«, ging ich das Thema von einer anderen Seite aus an, »als bestätige das Gespräch, welches wir im Arbeitszimmer belauschen konnten, deine Geschichte bis zu einem gewissen Punkt. Nämlich insofern, als sich etwas Merkwürdiges, oder zumindest Ungewöhnliches, in der fraglichen Nacht im Schlafgemach Ihrer Ladyschaft zugetragen hat.«

»Oh ja, ich würde auch sagen, daß Mord irgendwie etwas Ungewöhnliches ist«, meinte sie und genehmigte sich einen recht großen Schluck Sherry. »Und dein Mr. Holmes«, erkundigte sie sich, während sie die verbliebene Flüssigkeit in ihrem Glas unter die Lupe nahm, »was sagtest du, wann kommt er zurück?«

Sie stellte ihre Frage fast zu beiläufig, und obwohl sie ziemlich unschuldig dreinblickte, konnte ich spüren, daß sie sich durch das, was sie als einen Mangel an Glauben meinerseits empfunden hatte, verletzt fühlte und ihr daran lag, daß sich der berühmte Sherlock Holmes des Falles annahm.

»Meine liebe Violet«, antwortete ich matt, »weder Mr. Holmes noch Dr. Watson werden vor Ablauf von mindestens zwei Wochen aus Schottland zurückkehren. Bis dahin werden die Spur kalt und die Hinweise vernichtet sein. Nachdem ich die Angelegenheit also gründlich durchdacht habe« - dies war eine kleine Notlüge, denn in Wahrheit hatte ich über meine weiteren Schritte gerade erst in dem Moment entschieden -, »habe ich mich dazu entschlossen, meine eigenen Nachforschungen hinsichtlich des Mordes auf Haddley Hall durchzuführen. Der Mord auf Haddley Hall«, wiederholte ich mit einem Lächeln. Das hörte sich wie ein Buchtitel an, den Dr. Watson erfunden haben könnte.

»Du hast vollkommen recht«, rief sie und nahm meinen erneut bestätigten Glauben an sie zum Anlaß, ihr Glas aufzufüllen. »Aber«, fügte sie mit einem fragenden Blick hinzu, »wie, um Himmels willen, glaubst du einen Mord aufklären zu können, hä? Verflixt noch mal, du bist doch keine Detektivin - jedenfalls nicht soweit ich weiß.«

Meine Antwort kam ohne Zögern. »Meine liebe Violet, ich habe nicht all die Jahre mit Sherlock Holmes gelebt, um nicht wenigstens.« Ich hielt inne, da mich die mögliche Folgerung aus dem Gesagten in Verlegenheit brachte. »Ich meine«, fuhr ich fort, »die Tatsache, daß Mr. Holmes viele Jahre als zahlender Mieter in meinem Hause gewohnt hat, verschaffte mir die Gelegenheit, verschiedene Ermittlungsmethoden aus nächster Nähe zu beobachten. Außerdem«, fügte ich hinzu, wobei ich die Stimme senkte, um die Vertraulichkeit des Augenblicks zu betonen, »habe ich gelegentlich bei verschiedenen Kriminalfällen, mit denen der Herr betraut war, eine nicht unbedeutende Rolle gespielt.«

»Was? Was sagst du da? Daß all diese Verbrechen von dir und Mr. Holmes zusammen gelöst wurden?«

»Ganz und gar nicht«, antwortete ich und richtete mich auf. »Nur daß ich das eine oder andere Mal gewisse Vorschläge gemacht habe.

Vorschläge, die - wenn ich das hinzufügen darf, meine liebe Mrs. Warner - sich des öfteren als hilfreich erwiesen haben.«

»Es ist doch aber merkwürdig, oder«, lautete ihre verwirrte und gleichzeitig spöttische Antwort, »daß ich in all den Fällen, über die der Doktor geschrieben hat, nie etwas über diese, wie du sie nennst, >Vorschläge< gelesen habe.«

»Nein, und das wirst du auch nie! Aufgeblasener alter Narr!« platzte ich heraus und machte so der Unzufriedenheit Luft, die ich allzu viele Jahre in mir verborgen hatte.

»Also wirklich, vielen herzlichen Dank!« Meine Kameradin war im Begriff, sich aus ihrem Sessel zu erheben.

»Nein, nein, du doch nicht, Vi«, antwortete ich eilig. »Dich meinte ich nicht. Ich habe von Dr. Watson gesprochen.«

Sie lehnte sich zurück, während ich ihr beruhigend die Hand tätschelte und ihr anvertraute, daß ich es immer für äußerst unhöflich von dem guten Doktor hielt, daß er mich auf wenige unwesentliche Zeilen verwies, ohne auch nur einmal zu Papier zu bringen, wieviel Hilfe ich im Laufe der Jahre geleistet hatte - wie gering oder unwichtig er sie auch einschätzen mochte. »Oder, wo wir gerade davon sprechen«, fuhr ich immer noch gereizt fort, »hat er mich je um Erlaubnis gebeten, meinen Namen erwähnen zu dürfen? Würdest du denken, nachdem du seine Geschichten gelesen hast, daß ich je etwas anderes getan habe, als Mahlzeiten zu servieren oder Besucher anzukündigen?«

Ich fürchte, Vi war angesichts meiner Offenheit sehr betroffen. »Dr. Watson? Aber er scheint mir doch ein recht anständiger Kerl zu sein. Jedenfalls nach dem, was ich über ihn gelesen habe.«

»Wenn du dich da mal nicht irrst, Mädchen«, erwiderte ich. »Dr. Watson ist der Inbegriff eines echten viktorianischen Gentlemans. Und als solcher ist er davon überzeugt, daß Frauen - wie auch kleine Kinder und Haustiere - zwar zu sehen, aber nicht zu vernehmen sein sollten. In solchen Zeiten leben wir nun mal.«

»Das ist wohl wahr«, lautete Violets nachdenkliche Antwort. »Aber das war ja schon immer so. Trotzdem, Dr. Watson. ich meine.«

Sie wußte nicht so recht, wie sie es sagen - und denken - sollte.

»Ach, ich weiß, was du denkst. Ja, vielleicht bin ich einfach nur eine eitle und alberne alte Frau.« Ich hielt inne und entschied, einen weiteren wortlos angebotenen Drink nicht abzulehnen. »Und ich nehme an, um dem Doktor Gebühr zu zollen«, fuhr ich fort und hielt Violet mein Glas hin, »sollte ich erwähnen, daß auch er nicht nur einmal - in medizinischer Hinsicht - äußerst hilfsbereit gewesen ist.«

»Dann hast du gesundheitliche Probleme, Liebes?«

»Ach, nur die üblichen Wehwehchen, die man in unserem Alter so bekommt.«

Meine alte Freundin nickte schweigend und dachte wohl an die verschiedenen Beschwerden aus vergangenen und gegenwärtigen Tagen.

»Nichtsdestotrotz«, verkündete ich mit einem energischen Schlag auf die Oberschenkel, »ich liege noch lange nicht unter der Erde. Und wenn es einen Mord aufzuklären gibt, dann werde ich ihn auch aufklären!«

Zur Bekräftigung des Gesagten erhob ich mich und ließ recht melodramatisch - könnte es möglich gewesen sein, daß ich die Wirkung des Sherrys spürte? - verlauten: »Daher, meine liebe Violet Elizabeth Warner, werde ich in der Tat dein Sherlock Holmes sein!«

Mir wurde ein verwirrter Blick und dann ein immer breiter werdendes Lächeln zuteil. »Und ich werde dein Dr. Watson sein!« lautete Violets triumphierende Antwort, während sie sich ebenfalls erhob.

Ich stöhnte innerlich auf und bemühte mich gleichzeitig, ihr ebenfalls so etwas wie ein Lächeln zukommen zu lassen. Ich hatte nicht das Bedürfnis, mich von einer zweiten Person behindern zu lassen, da ich der Ansicht war, daß sich die Ermittlungen am ehesten durchführen ließen, wenn ich allein vorginge. Aber da Violet ebenso mit den auf dem Gut wohnenden Personen wie auch mit den Umständen des Mordes selbst vertraut war, würde sie mir sicherlich sehr wertvolle Dienste erweisen.