Auf seinen ungleich besser gestimmten, eine Marlboro nach der anderen rauchenden und dabei ins Grüne hinausschauenden Gesprächspartner schien dies jedoch nicht die geringste Wirkung zu haben. »So unbedarft, wie Sie ihn einschätzen, scheint der Oberbefehlshaber unserer Streitkräfte nun wirklich nicht zu sein.«
»Und was jetzt?«
»Um diesen Friedensapostel aus der Reserve zu locken, müssen wir uns etwas einfallen lassen. Jedenfalls mehr als das Kaspertheater gestern Abend. Wundert mich ohnehin, dass dieser Blaschkowitz auf uns reingefallen ist.«
Drauf und dran, Ross eine Lektion in Sachen Benehmen gegenüber Vorgesetzten zu erteilen, holte Calabrese tief Luft, ließ dann aber von seinem Vorhaben ab und fragte: »Was ist eigentlich mit unserem Lockvogel?«
»Unterwegs Richtung Heimat.«
»Der College-Boy, von dem Sie anscheinend so viel halten?«
»Ebenso.«
»Der Leichnam von Blaschkowitz?«
»Im Kofferraum eines ausrangierten Opel Rekord verstaut.«
»Heißt das, Sie haben ihn …«
»Auf einem Schrottplatz verschwinden lassen, genau. Und eine falsche Spur gelegt, damit nichts schiefgeht. Falls doch, habe ich mir vor einer Viertelstunde erlaubt, unseren verlängerten Arm bei der Berliner Kripo entsprechend zu instruieren. Keine Sorge, Chief Executive, ich selbst habe den Mann rekrutiert. Auf ihn können wir uns verlassen.«
Calabrese rümpfte die Nase. »Das will ich hoffen.«
»Immer mit der Ruhe, Mister –«, beruhigte ihn sein pockennarbiger und so gut wie nie ohne Sonnenbrille in Erscheinung tretender Mann fürs Grobe und BOB-Chef27 auf eine Weise, die Außenstehende vermutlich als Gleichgültigkeit aufgefasst hätten. »Wir werden das Kind schon schaukeln.«
»Ich weiß nicht, woher Sie Ihren Optimismus nehmen, Ross«, polterte Calabrese, erhob sich aus seinem Sessel und warf dem Porträt, das die Stirnseite des schäbigen Büros zierte, einen verächtlichen Blick zu. »Um diesen Appeaser auf Trab zu bringen, müsste schon etwas Außergewöhnliches … was zum Teufel – könnten Sie vielleicht nächstes Mal anklopfen, Gonzales?«
»Entschuldigung, Sir, ich dachte …«, keuchte der Offizier vom Dienst, gebürtiger Puerto Ricaner, Kettenraucher und wohl nicht zuletzt deswegen völlig außer Puste, »ich …«
»Nun geben Sie schon her!«, grollte Calabrese und riss ihm den Funkspruch, der gerade erst dechiffriert worden war, mit unwirschem Blick aus der Hand. »Was ist denn jetzt schon wieder los!«
Nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal am heutigen Tag war Luciano Calabrese so perplex, dass ihm nichts mehr, nicht einmal ein einziges Wort, über die fest aufeinandergepressten Lippen kam. Um das, worum es sich in dem Funkspruch drehte, auch nur annähernd zu verdauen, musste er erst einmal nachdenken. Dann jedoch, etwa eine halbe Minute später, hellte sich sein bis dahin entgeisterter Blick plötzlich auf. Mehr noch, von jetzt auf nachher schien die graue Eminenz der CIA wieder bei bester Laune zu sein.
Am Ende war es Ross, der das Schweigen brach, zur Abwechslung einmal alles andere als entspannt. »Darf man fragen, worum es geht, Sir?«, forschte er und gab sich die Antwort gleich selbst: »Gute Nachrichten, stimmt’s?«
»Und was für welche!«, frohlockte Bissel und reichte den Funkspruch über die Schulter hinweg an ihn weiter. »Na endlich, wurde auch langsam Zeit.«
Bass erstaunt, las Ross den Funkspruch erst einmal, dann zum zweiten und wenig später sogar zum dritten Mal. Von seiner Überheblichkeit, die nicht einmal vor Calabrese haltgemacht hatte, war am Ende seiner Lektüre allerdings so gut wie nichts mehr zu spüren. »Nichts für ungut, Sir –«, warf er geraume Zeit später ein, begleitet von einem amüsierten Glucksen des Mannes, auf dessen Stuhl er es insgeheim abgesehen hatte, »umfangreiche Truppenbewegungen von Roter Armee und NVA28 in und um Berlin, darüber hinaus Verstärkung der DDR-Bereitschaftspolizei, Stasi-Einheiten und Betriebskampfgruppen. Mit einem Wort: das übliche Säbelrasseln. Ich wüsste nicht, was es hier zu frohlocken gibt.«
»Keine Sorge, mein Bester, das wird es – und wissen Sie auch, wieso?«
Ross zuckte die Achseln.
»Weil uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts Besseres passieren kann.« Calabrese öffnete die Schreibtischschublade, entnahm ihr eine echte Havanna und ließ es sich nicht nehmen, in aller Ruhe daran zu riechen. »Wissen Sie was, Ross? Es wird Zeit, dass wir für unseren Kontaktmann an der sowjetischen Botschaft in Ostberlin einer Orden lockermachen. Anzahl der Einheiten, Gesamtstärke und detaillierte Angaben über die Bewaffnung der beteiligten Verbände – Herz, was begehrst du mehr?«
»Fragt sich nur, wozu dieser Fetzen hier gut sein soll«, bemängelte Ross und gab Calabrese den Funkspruch zurück. »Vorausgesetzt, dieser Kuragin hat die richtigen Quellen angezapft und die Russen plustern sich nur auf – was wird dann aus unseren Plänen? Kennedy wird einen Teufel tun und sich mit Chruschtschow anlegen, der doch nicht!«
Calabrese entzündete seine Havanna, steckte sie in den Mund und nebelte sich und seine Umgebung komplett ein. »Ganz einfach, Sie Schlauberger: weil wir daraus Kapital schlagen werden. Und das auf höchst effektive Art und Weise.«
»Darf man fragen, wie?«
»Indem wir unsere Erkenntnisse an die Presse weitergeben. Mit der gebotenen Diskretion, versteht sich.«
»Und dann? Außer einem bisschen Getöse vonseiten der Berliner, einiger Politiker oder des RIAS wird nicht allzu viel passieren – da müsste ich mich schon sehr täuschen.« Wieder ganz der Alte, schlug der CIA-Agent den gewohnten Tonfall an und ergänzte: »Deshalb frage ich mich, was an der Tatsache, dass Chruschtschow und Ulbricht offenbar nicht daran denken, in die Offensive zu gehen und uns lediglich provozieren wollen, erfreulich sein soll.«
»Alles zu seiner Zeit, mein Lieber«, wiegelte Calabrese ab und ließ sich in einem cremefarbenen Polstersessel in unmittelbarer Nähe des Fensters nieder. »Sie werden es noch früh genug erfahren.«
»Bevor oder nachdem wir den Zarewitsch dingfest gemacht haben?«
Scheinbar die Ruhe selbst, schlug Calabrese die Beine übereinander und lehnte sich entspannt zurück. »Alles nur ein Frage der Zeit, mein Bester«, versicherte er, seinem Gesprächspartner in puncto Überheblichkeit durchaus ebenbürtig. »Wie heißt es doch so schön: You can run, but you cannot hide.
»Ihr Optimismus in Ehren, Sir – darf man fragen, wie Sie Kuragin auf die Spur kommen wollen? In einer Millionenstadt?« Jermaine Ross machte ein hochnäsiges Gesicht. »Der Mann ist brandgefährlich, gerissener als ein Dutzend KGB-Agenten zusammen. Und in der Regel mindestens ebenso gut informiert. Wenn uns jemand einen Strich durch die Rechnung machen kann, dann er.«
»Es sei denn, es gelingt uns, ihn rechtzeitig zu eliminieren«, gab Calabrese seelenruhig zurück, erhob sich und flüsterte Gonzales etwas ins Ohr. Kurz darauf, als dieser den Raum verlassen hatte, wandte er sich erneut an Ross und prahlte: »Was das angeht, stehen unsere Chancen nicht schlecht.«