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Klimowitz legte die Ellbogen auf den Tisch, beugte sich nach vorn und schien über etwas nachzudenken. Sydow tat so, als nehme er keine Notiz davon. »Und Sie wollen mir weismachen, von dem Tohuwabohu, das der mutmaßliche Mörder veranstaltet hat, nichts mitgekriegt zu haben. Mal ehrlich, Herr Lokführer: Halten Sie mich für so dämlich, dass ich Ihnen das abkaufe? Ich verstehe ja nicht viel von Technik und noch weniger vom S-Bahn-Fahren, aber eins weiß ich genau: Wenn eine Tür gewaltsam geöffnet worden ist, kann das dem Lokführer, also Ihnen, ganz bestimmt nicht verborgen geblieben sein. Wissen Sie was, Klimowitz? Wir beide machen jetzt einen kleinen Spaziergang, rüber in die Lokführerkabine. Dort dürfen Sie mir dann ihre Armaturen und diverse Knöpfe, Schalter und Lampen erklären. Vor allem, was passiert, wenn eine der Türen nicht richtig schließt. Und woran man das merkt, wenn man vorne im Führerhaus …«

»Schon gut, Herr Hauptkommissar, schon gut.« Klimowitz hob beschwichtigend die Hände und richtete sich im Zeitlupentempo auf. »Es war genauso, wie Sie sagen. Die Tür wurde aufgebrochen. Mit Gewalt.«

»Und wo?«

»Am Bahnhof Zoo. Kurz vor der Weiterfahrt.«

»Genauer Zeitpunkt?«

»Um fünf.«

»Auf die Minute genau?«

»So ziemlich.«

»So ziemlich, aha«, flüchtete sich Sydow in Ironie, wie sooft, wenn er nach langem Hin und Her der Wahrheit auf die Spur gekommen war. »Und das von einem Lokführer.« Schweigen, ein gestrenger Blick und die Reaktion im Form eines Verlegenheitsräusperns. Dann jedoch, etliche Sekunden später, die alles entscheidende Frage: »Und von wem?«

Zum ersten Mal während des mittlerweile gut eineinviertel Stunden währenden Gesprächs hob Klimowitz den Kopf, nahm seine Uniformmütze ab und kratzte sich so lange und hingebungsvoll, dass der Eindruck entstand, er habe Flöhe. Am Ende der Prozedur, die Sydow wie eine Ewigkeit vorkam, setzte er die Mütze wieder auf und stierte trübsinnig vor sich hin. Der Lokführer schien unsicher, von der Richtigkeit seines Entschlusses alles andere als überzeugt. »Von einem Ami, Herr Hauptkommissar«, gestand er schließlich mit einem Höchstmaß an Selbstüberwindung ein. »Und von was für einem.«

»Und woher wollen Sie wissen, dass es ein …«

»Ich kenne mich da aus, Herr Kommissar«, warf Paul Klimowitz, auf einen Schlag wie verwandelt, mit trotziger Miene ein. »Keine Bange! So viel Hirnschmalz kann ich gerade noch auftreiben.«

»… es ein Ami war?«

»Wie gesagt – ich will gerade weiterfahren, da merke ich, dass eine der Türen blockiert. Ich also nichts wie raus aus meinem Kabuff und wie eine gesengte Sau in den hintersten Waggon. Mann, war ich sauer, Herr Kommissar – kann Ihnen gar nicht sagen, wie. So fuchtig, dass ich die Nutte, die gerade am Aussteigen war, beinahe über den Haufen gerannt hätte. Kurz und gut, ich sause also mit Karacho durch den Waggon, da steht plötzlich dieser Kerl vor mir und glotzt durch die offene Tür. Ich denke, mich tritt ein Gaul und lasse einen Brüller fahren, der sich gewaschen hat. Das Brüllen ist mir aber ziemlich schnell vergangen.«

»Wieso?«

»Weil mit dem Kerl, dem ich an die Gurgel wollte, nicht zu spaßen war.«

»Das müssen Sie mir erklären.«

»Da gibt’s nichts zu erklären. Sich mit dem Kerl anzulegen wäre glatter Selbstmord gewesen.« Klimowitz holte tief Luft. »Ich weiß, was Sie jetzt denken, Herr Kommissar, der Klimowitz hatte einfach Schiss. Stimmt aber nicht. Mit so einem hätte ich es gerade noch aufnehmen können.«

»Sicher?«

»Knapp fünfzig, mittelgroß, verlebt und nicht mehr gut bei Fuß – klingt nicht gerade Furcht einflößend, oder?«

»Heißt das, er hat einen Gehstock benutzt?«

»Genau. Und er hat eine Fahne gehabt. Aber gut Kirschen essen war mit dem Strolch trotzdem nicht.«

»Wieso?«

Klimowitz fingerte nervös an seiner Uniform herum. »Er hat mir seine Dienstmarke vor den Riechkolben gehalten, Herr Hauptkommissar«, entgegnete der S-Bahn-Bedienstete und trat bis auf Armlänge an Sydow heran. »Das hat mir gereicht.«

Sydow zog die Stirne kraus und erwiderte seinen Blick. »Ehrlich gesagt ist mir nicht bekannt, ob einer meiner Kollegen von der Kripo …«

»Was heißt hier Kollege, guter Mann«, tönte Klimowitz und sah Sydow, dem die Verwunderung ins Gesicht geschrieben stand, mit mitleidigem Augenaufschlag an. »So einfach, wie Sie sich das denken, ist die Chose nicht. Alles, was recht ist – aber in Ihrer Haut wollte ich nicht stecken.«

»Danke für Ihr Mitgefühl.«

»Keine Ursache«, entgegnete Klimowitz, der es auf einmal ziemlich eilig zu haben schien, erhob sich und strebte der Tür des Aufenthaltsraumes zu. Dort angekommen, hielt er zögernd inne, wandte sich schließlich um und sagte: »Und viel Glück bei Ihren Ermittlungen gegen die CIA!«

13

Berlin-Grunewald, Schlosshotel Gerhus | 18.20 h

An der Sache war verdammt noch mal etwas faul. Oberfaul sogar.

Die Frage war nur, was.

Schon auf der Fahrt ins piekfeine Schlosshotel unweit des Grunewalds waren Jim Brannigan ernsthafte Zweifel gekommen, ob sein ehemaliger Schützling auch wirklich auf die Finte mit dem Peilsender hereingefallen war. Nicht umsonst galt der Zarewitsch als einer der abgezocktesten Agenten der CIA, als ein Alleskönner, der in ihren Reihen seinesgleichen suchte. Schwer vorstellbar, dass ihm ein derartiger Fehler unterlaufen würde. Dafür wie für vieles andere, was mit seiner Mission zusammenhing, musste es eine Erklärung geben.

Die Frage war nur, welche.

Während er auf den Torbogen zusteuerte, der das ehemals hochherrschaftliche Domizil derer von Pannwitz mit der Außenwelt verband, nahm Brannigan seine Kippe aus dem Mund, schnippte sie in den Rinnstein und kam aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Der Zarewitsch – ein Doppelagent? Nie und nimmer. Diesbezüglich kannte er ihn viel zu gut. So gut, dass er für seinen einstigen Musterschüler die Hände ins Feuer gelegt hätte. Ausgeschlossen, dass er für beide Seiten tätig gewesen oder von den Russen umgedreht worden war. Er hatte volle acht Jahre mit diesem Mann zusammengearbeitet, ihn beinahe täglich gesehen, ihn ausgebildet, sich sogar mit ihm angefreundet. Und ausgerechnet dieser Agent, der begabteste Schüler, den er jemals gehabt hatte, sollte ein Verräter sein? Nie im Leben. Für ihn, Special Agent Brannigan, stand dies unverrückbar fest.

Warum aber die Order von Calabrese, den Zarewitsch wie einen räudigen Köter zu exekutieren? Seit seinem Verschwinden vor knapp zwei Monaten hatte die Zentrale Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um herauszubekommen, ob ihm etwas zugestoßen war. Und dann, von einem Moment auf den anderen, diese Kehrtwendung. Um sage und schreibe 180 Grad. Wanted – dead or alive. So lautete anscheinend die Parole. James Stuart Brannigan, Sohn irischer Einwanderer, hochdekorierter Marineinfanterist und Spezialist für Operationen hinter den feindlichen Linien, umklammerte seinen Gehstock und kratzte sich gedankenverloren am Kinn. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, Teil eines perfiden Komplotts zu sein, wenngleich er keinen blassen Schimmer hatte, was hier eigentlich gespielt wurde. An seinem Auftrag, so schwer ihm dessen Durchführung auch fiel, änderte dies jedoch nichts. Wenn er von Calabrese einen Befehl bekam, bedeutete dies, dass er ihn auszuführen hatte. Ganz gleich, ob ihm das in den Kram passte oder nicht. Befehl war nun einmal Befehl. Wer sich darüber hinwegsetzte, würde jede Menge Ärger bekommen. Oder eine Kugel in den Kopf.