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»Dreimal kurz gelacht.« Brannigan schnitt eine Grimasse und knurrte: »Wozu eigentlich dieses Theater? Dieses dämliche Versteckspiel, das du zu meinen Ehren inszenierst? Kannst du mir das verraten?«

»Später, Jim. Eins kann ich dir aber jetzt schon versprechen. Du wirst voll und ganz auf deine Kosten kommen.«

»Anders ausgedrückt, du bist einer Riesensauerei auf der Spur.«

»So könnte man es umschreiben, Jimmy-Boy. Wenn meine Karten auf dem Tisch liegen, werden in Washington Köpfe rollen. Und nicht zu knapp.«

»Du steckst in der Klemme, weißt du das, Juri?«

»Fragt sich, wer hier mehr in der Klemme steckt, mein Freund – du oder ich.« Kuragin pausierte, schlug dann aber einen versöhnlicheren Tonfall an und sagte: »Offen gestanden, Jim, ich brauche deine Hilfe. Ja, du hast richtig gehört. Dein einstiger Musterschüler bittet dich um einen Gefallen.«

»Und um welchen, wenn man fragen darf?«

»Das, großer Bruder, wirst du noch früh genug erfahren«, erklärte die Stimme am anderen Ende der Leitung, womit sich Brannigan allerdings nicht zufriedengab. »Falls es bis dahin nicht zu spät ist, Jimmy-Boy. Für Berlin, meine ich.«

»Spuck’s aus, Juri. Was hast du vor?«

»Nur keine unziemliche Hast, Jim. Alles, worum ich dich bitte, ist, dass du deine Beziehungen spielen lässt und mir einen kleinen Gefallen erweist.«

»Gefallen?«

»Jetzt tu doch nicht so, Jim. Oder glaubst du im Ernst, ich würde dir alles haarklein auseinanderdividieren? Am Telefon? Also wirklich – so gut müsstest du mich inzwischen kennen.« Kuragins Tonfall wurde eisig. »Bist du nun Verbindungsoffizier zum MI6 – ja oder nein? Na also. Da wird es dir bestimmt schwerfallen, deine Beziehungen spielen zu lassen. ›Wenn du Probleme hast, frag den alten Jim.‹ Waren das nicht immer deine Worte? Zu deiner Information – ich habe Probleme, mehr als genug.«

»Wäre es da nicht besser, du würdest mir sagen, was hinter der Sache …«

»Es bleibt dabei, Special Agent Brannigan. Meine Instruktionen befinden sich in dem Umschlag. Und die wirst du genauestens befolgen. Bis später, alter Freund – und einen schönen Gruß an Calabrese!«

14

Gästehaus der DDR-Regierung am Großen Döllnsee in der Uckermark | 18.25 h

Es war Samstagabend und alles andere als ungewöhnlich, dass sich die distinguierten und zumeist älteren Herren am Großen Döllnsee zu einer Besprechung trafen. In Zeiten wie diesen gab es eben eine Menge zu beratschlagen. Wenn es sein musste, auch am Wochenende. Daher schöpften die Politbüromitglieder, Minister und hohen Funktionäre, die zum Haus zu den Birken chauffiert wurden, zunächst keinerlei Verdacht. Erst, als sie auf einen gut gelaunten Walter Ulbricht trafen, fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen.

Ulbricht bei guter Laune. Das bedeutete Alarmstufe eins.

Eine durchaus berechtigte Schlussfolgerung, wie der weitere Verlauf des Abends zeigen sollte. Walter Ulbricht, Erster Sekretär des ZK der SED, war nämlich nicht gerade das, was man einen geselligen Menschen nannte. Lustbarkeiten jeglicher Art waren dem Kommunisten alter Schule ein Gräuel. Es sei denn, er fand Gelegenheit, über Lenin, sein Vorbild Stalin oder den Sozialismus zu dozieren. In einem derartigen Fall pflegte der 68-jährige Apparatschik, zu dessen hervorstechendsten Merkmalen Kinnbart, Halbglatze und Fistelstimme gehörten, zur Hochform aufzulaufen. Nicht selten zum Verdruss seiner Entourage, die jedoch nichts unversucht ließ, dem bierernsten, Frühsport treibenden und vorzugsweise Rohkost mit Eiern verzehrenden starken Mann der DDR nach dem Mund zu reden. Kaum einer, der sich die Freiheit nahm, ihm zu widersprechen, der nicht wusste, aus welchem Holz der gelernte Tischler geschnitzt war. Für gewöhnlich war Ulbricht nämlich reserviert, schroff und nachtragend.

Und häufig schlecht gelaunt.

In diesem Punkt waren sich die Parteikader, welche durch das idyllische Birkenwäldchen am Rande der Schorfheide spazierten, durchaus einig. Worüber allerdings keine Einigkeit herrschte, war die Frage, was es mit den zahlreichen Militärfahrzeugen, Soldaten und NVA-Panzern in den benachbarten Wäldern auf sich hatte.

Irgendetwas, so der allgemeine Tenor, war hier im Busch. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Doch Ulbricht ließ sich nicht in die Karten schauen. Noch nicht. Bis die Parteibonzen, Regierungsmitglieder und Führungskader erfahren würden, was gespielt wurde, sollten mehr als zweieinhalb Stunden vergehen. Stunden des Wartens, Herumrätselns und der vagen Vermutungen hinter vorgehaltener Hand. Stunden, in denen jeder auf seine Weise versuchte, die Zeit totzuschlagen. Die einen hatten es vorgezogen, sich einen Spielfilm anzuschauen, die anderen standen herum und rissen Witze, wiederum andere zog es hinunter ans Ufer, von wo aus man einen herrlichen Blick auf den Döllnsee genoss.

Unter denen, die dem abendlichen Naturpanorama den Vorzug gaben, befand sich ein unscheinbarer, gerade einmal 29 Jahre alter Schlacks aus Berlin. Keins von den hohen Tieren, die im Garten um Ulbrichts Gunst wetteiferten, sondern einer seiner Leibwächter, der sich die Zeit damit vertrieb, Kieselsteine in den purpurrot schimmernden Döllnsee zu schleudern. Kaum jemand nahm Notiz von ihm, schon gar nicht, als er zum Bootshaus schlenderte, die Hände auf die Brüstung legte und stillvergnügt lächelnd auf den See hinausstarrte. In den Wäldern und der angrenzenden Schorfheide wimmelte es von Soldaten, Sondereinheiten der Staatssicherheit und zum Schutz der illustren Versammlung abkommandierten Vopos, weshalb kein Mensch etwas daran auszusetzen hatte, wenn sich einer von Ulbrichts Leibwächtern eine Ruhepause gönnte.

Dass es sich bei dem hageren, eine Idee zu blassen und in sich gekehrten Blondschopf um den gefährlichsten Mann weit und breit handelte, wäre niemandem in den Sinn gekommen. Gefährlich vor allem deshalb, weil er längst darüber Bescheid wusste, was der versammelten Parteiprominenz demnächst eröffnet werden würde. Gefährlich aber auch, weil er Ulbricht, den Kommunismus und überhaupt alles, was damit zusammenhing, abgrundtief hasste. Nicht zuletzt deswegen war er zum Verräter geworden, an einer Sache, die vor noch nicht allzu langer Zeit sein Lebensinhalt gewesen war. Jens-Uwe Trebitsch, in Moskau geborener Sohn einer deutschen Emigrantin aus den Reihen der KPD, umklammerte das Geländer, welches ihn von der sanft gewellten Oberfläche des Döllnsees trennte, und blickte sich belustigt um. Nur noch ein paar Stunden, allenfalls Tage, dann war es so weit. Dann würde es diesen Salon-Kommunisten an den Kragen gehen.

Schwer vorstellbar, dass er selbst einmal an diese Möchtegern-Wohltäter geglaubt hatte. Kaum zu fassen, aber dennoch wahr. Schuld daran war vor allem seine Mutter gewesen, die nichts unversucht gelassen hatte, ihn auf die Leninschule in Moskau zu schicken. Damals, unmittelbar nach dem deutschen Einmarsch, war das schon ein kleines Kunststück gewesen, wobei er sich im Nachhinein fragte, wie so etwas überhaupt möglich war. Vor gut einem Jahr, als seine Mutter im Sterben lag, hatte er schließlich die Antwort bekommen. Gerade sie, Kommunistin durch und durch, hatte ihn belogen. Sein ganzes verdammtes Leben lang. Ausgerechnet sie, die ihm stets eingetrichtert hatte, wie wichtig Aufrichtigkeit war. Das Eingeständnis, sein Vater sei gar kein Deutscher und schon gar nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen, hatte seine ganze Welt zum Einsturz gebracht. Erst recht, als er erfahren hatte, wer er wirklich war. Nämlich irgendein hohes Tier aus dem ZK, dessen Name ihm seine Mutter nicht einmal auf dem Sterbebett hatte preisgeben wollen. Nach Bekanntwerden ihrer Schwangerschaft habe er nichts mehr von ihr wissen wollen, hatte sie ihm unter Tränen gebeichtet, weder von ihr, seiner Geliebten, noch von ihm, dem leiblichen Sohn. Kurz darauf war seine Mutter gestorben, linientreu bis in den Tod.