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»Oder die Amis – kommt ganz drauf an. Deine Ruhe wollte ich haben, Dicker.«

»Anders kann man diesen Job ja nicht ertragen!«, setzte sich Peters zur Wehr, knetete sein Genick und warf einen Blick auf den demolierten Opel Rekord, der soeben aus der Schrottpresse gehievt wurde. »Besonders, wenn man es mit jemandem wie dir zu tun hat.«

»Danke für die Blumen«, witzelte Sydow, der seine Pappenheimer bestens kannte, und bot Peters einen Glimmstängel an. »Hier, als Wiedergutmachung.«

Wie nicht anders zu erwarten, ließ der Gerichtsmediziner seinen Freund eine Weile zappeln, griff dann aber doch gierig zu. »Wie gesagt –«, fuhr er nach den ersten Lungenzügen fort, während denen er verzückt die Augen geschlossen und sich der tief stehenden Sonne zugewandt hatte, »alles deutet darauf hin, dass unser unbekannter Casanova kurz vor dem Ableben noch eine Nummer geschoben hat. Oder mehrere hintereinander.«

»So genau will ich’s gar nicht wissen.« Sydow nahm seine Sonnenbrille ab und rieb sich die Augen. »Fragt sich nur, wieso er sich anschließend die Kugel gegeben hat.«

»Weil die Rechnung zu hoch war – was hast du denn gedacht.«

»Hahaha, selten so gelacht.« Sydow schnitt eine Grimasse, mit der er jedem Zirkusclown hätte Konkurrenz machen können, und drosch eine herumliegende Bierdose in den nächstbesten Schrotthaufen. »Manchmal kannst du einem wirklich auf den Wecker gehen.«

»Und was ist mit dir, hm?« Peters rauchte seine HB zu Ende, ließ sie auf den Boden fallen und drückte sie mit der Schuhspitze aus. »Aber im Ernst: Woher willst du eigentlich wissen, dass wir es hier mit einem Selbstmörder zu tun haben?«

»Eine klaffende Wunde an der rechten Schläfe, Schmauchspuren und das großkalibrige Projektil, welches ein gewisser Heribert Peters, von Beruf Gerichtsmediziner, bei seiner Obduktion vermutlich zutage fördern wird. Eindeutiger geht’s ja wohl nicht, oder?«

»Unter die Hellseher gegangen, was?«, gab die Zielscheibe von Sydows Frotzeleien zurück, mittlerweile absolut immun dagegen. Und setzte sogar noch eins drauf: »Und was, wenn deine Kristallkugel nicht richtig funktioniert?«

»Mit anderen Worten – du hältst es für möglich, dass unser neuester Kunde ermordet worden ist.«

Peters spendete demonstrativ Applaus. »Da capo, Maestro!«, rief er mit verzückter Miene aus. »So viel Einfühlungsvermögen hätte ich Ihnen wirklich nicht zugetraut!«

Längst an derlei Kapriolen gewöhnt, gab sich Sydow betont locker, wartete, bis sich der Gerichtsmediziner ausgetobt hatte, und fuhr durch das rotblonde, hie und da bereits von grauen Strähnen durchzogene Haar. »Und aus welchem Grund?«

»Warum er um die Ecke gebracht worden ist, meinst du?« Von einem Moment auf den anderen war Peters das Lachen vergangen. »Woher soll ich denn das wissen?«

»Aber über andere herziehen, so haben wir’s gern.« Sydow verpasste Peters einen Rempler, woraufhin Naujocks, der gerade dabei war, den Opel Rekord auf den Kopf zu stellen, belustigt den Daumen hob. »Fazit: Es gibt noch eine Menge zu tun. Wobei wir ja wohl davon ausgehen können, dass Tatort und Fundort der Leiche nicht identisch sind.«

»Stattgegeben.«

»Das heißt, der oder die Täter haben diesen Ort mit Bedacht gewählt.« Sydow legte den Zeigefinger auf die Unterlippe und ließ ihn im Zeitlupentempo über sein stoppeliges Kinn gleiten. »Wie heißt es doch so schön: Not macht erfinderisch.«

»Sag du noch mal was gegen meinen Humor.«

Sydow kehrte die Handflächen nach außen und grinste. »Summa summarum – als Erstes müssen wir rauskriegen, wie unser feuriger Liebhaber heißt. Dann sehen wir … und wer sind Sie, wenn man fragen darf?«

Sydow und Peters waren so sehr in ihr Gespräch vertieft, dass sie den Bär von einem Mann, der sich auf leisen Sohlen genähert hatte, zunächst nicht bemerkten. Erst sein Schatten machte die beiden auf ihn aufmerksam, wobei es Sydow war, der am schnellsten reagierte, eine Kehrtwendung machte und das Muskelpaket, welches ihn um Haupteslänge überragte, näher in Augenschein nahm.

»Juskowiak«, antwortete der tapsige Hüne und wies mit der Kinnspitze auf die Baracke, wo sich der Aufenthaltsraum für das Personal, das Büro und die Privaträume des Besitzers befanden, an dem sich Krokowski gerade die Zähne ausbiss. »Alfred Juskowiak. Ihr Assistent hat gesagt, ich soll mich bei Ihnen melden.«

»So, hat er.« Sydow war es nicht gewohnt, dass es noch größere Zeitgenossen gab als ihn, weshalb seine Erwiderung ein wenig zurückhaltend ausfiel. »Na, dann schießen Sie mal los, Herr …«

»Jumbo. Sie können mich ruhig Jumbo nennen, Herr Kommissar.« Das Kraftpaket mit dem treffenden Spitznamen, auf dem Sydows prüfender Blick ruhte, nahm seine Schirmmütze ab und lächelte ihn treuherzig an. »Nichts für ungut – aber ich glaube, ich kann Ihnen ein wenig weiterhelfen.«

»Und wie?«

»Ganz einfach, Herr Kommissar. Mir ist wieder eingefallen, woher ich den armen Teufel kenne.« Juskowiak platzte beinahe vor Stolz. »Das interessiert Sie doch, oder?«

*

»Ick will Ihnen mal wat flüstern, Herr Kommissar – und det schreimse sich jefälligst hinter die Lauscher! Anstatt auf meenem Schrottplatz rumzuschnüffeln, sollten Se lieber zusehn, dat anständige Bürger wie ick besser beschützt werden, klar? Det is’ nämlich allemal besser, als die Finger in anderer Leute Anjelegenheiten zu stecken, wenn Se verstehn, wat ick meene.« Gerd Lenuweit, Inhaber, Geschäftsführer und unumschränkter Herrscher über das halbe Dutzend Mitarbeiter von Lenuweit und Co., war ein Zeitgenosse, mit dem definitiv nicht gut Kirschen essen war. Ihn als Choleriker zu bezeichnen wäre untertrieben gewesen, das Prädikat ›Giftzwerg‹ traf es da schon eher. Lenuweit war kleinwüchsig, unflätig und so agil, dass er es keine drei Sekunden an ein und derselben Stelle, geschweige denn längere Zeit auf einem Stuhl aushielt. Und er war laut, unfassbar laut. Seit er zur Kripo gegangen war, hatte sich Eduard Krokowski, ein wahrer Dulder vor dem Herrn, noch nie so sehr zusammennehmen müssen. Und das sagte eigentlich schon alles. »Hamse mir verstanden, oder wollnse det, wat ick Ihnen jeflötet hab, schriftlich?«

»Ihre Aussage, meinen Sie?«, gab Krokowski zurück, kurz davor, aus der Haut zu fahren und seinem Gesprächspartner den verdienten Denkzettel zu verpassen. »Kommt ganz drauf an, wie kooperativ Sie sich mir gegenüber zeigen.«

»Ko… wat?«

»Ob Sie Ihre Inszenierung von Rumpelstilzchen … na schön, einfacher ausgedrückt: Wenn Sie hier weiter so rumtoben wie bisher, mich anbrüllen oder verarschen wollen, nehmen wir Sie mit aufs Revier, klar? So, und jetzt setzen Sie sich gefälligst hin und beantworten meine Fragen, sonst kriegen Sie es mit mir zu tun.« Krokowski war derart in Rage, dass er über sich selbst erschrak. Ausgerechnet er, der auf Etikette und zivilisierte Umgangsformen größten Wert legte. Der von den Kollegen hinter vorgehaltener Hand Knigge genannt wurde. Eine peinliche, durch nichts zu entschuldigende Entgleisung.

Na ja, aber wenigstens eine, welche die gewünschte Wirkung erzielte.

»Schon jut, junger Mann, schon jut – wer wird denn gleich in die Luft jehn.« Gerd Lenuweit alias Rumpelstilzchen wich mehrere Schritte zurück und ließ sich in den abgenutzten Ledersessel fallen, der sich hinter seinem mit Kfz-Papieren, leeren Bierflaschen und überquellenden Aschenbechern übersäten Schreibtisch befand. Hier wie auch in den übrigen Räumen, in denen es penetrant nach Hund, Schweiß, Nikotin und Doppelkorn roch, herrschte eine derartige Unordnung, dass Krokowski die Haare zu Berge standen. Gegen das Chaos, das hier ausgebrochen war, sah eine Müllhalde noch halbwegs ordentlich aus, verdreckter ging es wirklich nicht. »Wat wollense von mir wissen?«

»Gegenfrage. Haben Sie eigentlich ein Alibi, Lenuweit?«

»Ein …?«

»Sehen Sie, so kommen wir der Sache schon näher.« Von seinem Naturell her war es ihm zuwider, Verhörmethoden à la Stasi anzuwenden, aber da diesem Widerling nicht anders beizukommen war, sprang Krokowski über seinen Schatten und verkündete: »Nach einer vorläufigen Schätzung unseres Gerichtsmediziners ist der Unbekannte, den einer ihrer Angestellten per Zufall entdeckt hat, seit mindestens 15 Stunden tot. Das bedeutet, er muss unmittelbar nach Mitternacht oder in den frühen Morgenstunden ums Leben gekommen sein.«