In diesem Fall, so sein fester Entschluss, würden sie es mit einem gewissen Tom Sydow, von Beruf Kriminalhauptkommissar, zu tun bekommen. Komme, was wolle. »Eins gebe ich euch schriftlich, Jungs.«
»Was denn?«
»Wenn die Amis denken, sie können machen, was sie wollen, haben sie sich geschnitten. Darauf gebe ich dir mein Wort, Kroko. Und dir auch, Waldi.«
»Und was, bitte schön, gedenkst du nun zu tun?«, fragte Naujocks, auf den die bevorstehenden Ermittlungen nicht gerade ermutigend zu wirken schienen. »Dir ist doch wohl klar, auf was wir uns eingelassen haben, oder?«
»Heißt das, du bist der gleichen Meinung wie ich?«, fragte Sydow spitz.
»Natürlich ist er der gleichen Meinung wie du, Tom!«, beeilte sich Krokowski zu antworten, in seinem Tatendrang wie immer nicht zu bremsen. »Was im Übrigen auch für meine Wenigkeit gilt. So etwas kann und darf man nicht tolerieren, selbst wenn wir dabei Kopf und Kragen riskieren.«
»Das hast du aber schön gesagt, Kroko!«, pflichtete Sydow seinem Assistenten bei, der es offenbar nicht abwarten konnte, mit dem gefährlichsten Gegner weit und breit die Klingen zu kreuzen. »Dann wollen wir drei der CIA mal ordentlich auf die Pelle …«
»Gar nichts werden Sie, Sydow. Und Sie beide auch nicht.« Es gab Leute, deren Namen er sich nicht merken konnte. Und es gab diejenigen, deren Aussehen er sich erst wieder ins Gedächtnis rufen musste. Und es gab seinen Vorgesetzten, Kriminalrat Oelßner. Ihn erkannte Sydow mit verbundenen Augen, ohne auch nur aufblicken oder den Blick zur Tür richten zu müssen. »Merken Sie sich das!«
»Und das bei meinem Gedächtnis, Herr Kriminalrat. Ist das nicht ein bisschen viel …«
»Sparen Sie sich Ihre impertinenten Scherze, Sydow. Darauf kann ich im Moment verzichten.« Ferdinand Oelßner, 36 Jahre, bis vor fünf Jahren noch Streifenpolizist und im Rekordtempo zum Kriminalrat avanciert, war ein Mann, mit dem nicht zu spaßen war. Seine Anhänger, zu denen Sydow weiß Gott nicht gehörte, konnte man an einer Hand abzählen, und er fragte sich, wie es der arrogante, besserwisserische und zugeknöpfte Hannoveraner bis an die Spitze der Kriminaldirektion II gebracht hatte. An seiner Ausstrahlung konnte es jedenfalls nicht gelegen haben, denn über so etwas verfügte er definitiv nicht. Er sah viel älter aus, als er war, hatte graublaue, nahezu wimpernlose Augen und eine Stimme, die so klang, als habe man einen Feldwebel vor sich.
»Darf man fragen, was Sie zu mir führt?« Bei Typen wie Oelßner lief Sydow zur Hochform auf, selbst dann, wenn er auf verlorenem Posten stand. »Ach ja, noch etwas: guten Abend, Herr Kriminalrat. Schönes Wetter, finden Sie nicht auch?«
»Ich fürchte, das Witzereißen wird Ihnen noch vergehen.«
»Ach, ja?«
Oelßners blutleere Lippen kräuselten sich, und sein Adamsapfel bewegte sich wie ein Jo-Jo auf und ab. »Ja, Sydow«, bekräftigte der mittelgroße, dank blank poliertem Schädel, Stehkragen und graublauer Weste wie sein eigener Großvater aussehende Chef von mehreren Dutzend Beamten und griente Sydow siegesgewiss an. »Und wissen Sie auch, warum?«
»Etwa, weil ich befördert worden bin?«
»Nein, Sydow«, konterte Oelßner mit einem Gesicht, das nichts Gutes ahnen ließ. »Weil Sie nämlich Feierabend machen, nach Hause gehen und sich ein schönes Wochenende genehmigen dürfen. Im Klartext: Der Fall, an dem Sie arbeiten, ist so heikel, dass man ihn jemandem wie Ihnen nicht anvertrauen kann. Dasselbe gilt für Ihre Kollegen.«
»Mag sein. Aber jemandem wie Ihnen ja wohl auch nicht, oder?«
»Na schön, Herr Hauptkommissar – ganz wie Sie wollen.« Oelßners Eidechsenaugen weiteten sich, und ein Grinsen trat auf sein Gesicht. »Sie werden verstehen, Herr Kollege, dass ich nicht geneigt bin, mir eine derartige Frechheit bieten zu lassen. Schon gar nicht im Beisein von Mitarbeitern. Das bedeutet, ich sehe mich gezwungen, Sie bis auf Weiteres vom Dienst zu suspendieren. Guten Abend, die Herren – und einen angenehmen Feierabend!«
18
Oberkommando der Sowjetischen Streitkräfte in Wünsdorf, rund 40 Kilometer südöstlich von
Berlin | 19.55 h
»Verraten – die gesamte Operation?« Iwan Stepanowitsch Konew, Marschall der Sowjetunion und sowjetischer Oberkommandierender in Deutschland, fehlten die Worte. So etwas hatte er in seiner nun schon über 40 Jahre währenden Militärlaufbahn nur selten erlebt, und erlebt hatte er seit der Eroberung Berlin im Jahre 1945 eine Menge. Das galt vor allem für seine Rolle als Oberkommandierender der Ersten Ukrainischen Front, wo er im Wettstreit mit seinem Rivalen Schukow, dem Eroberer der Stadt, letztendlich das Nachsehen gehabt hatte. Geschadet hatte dies seiner Karriere nicht, war er doch bis zu seiner Pensionierung, die von Chruschtschow erst vor Kurzem rückgängig gemacht worden war, sogar stellvertretender Verteidigungsminister gewesen. »Sagen Sie das bitte noch einmal, Genosse Generalsekretär!«
Der Mann am anderen Ende der Leitung, just der, dem er die abrupte Beendigung seines Rentnerdaseins und die postwendende Entsendung in die DDR zu verdanken hatte, kam seinem Ansinnen prompt nach. Danach musste sich Konew erst einmal setzen. »Das darf doch nicht wahr sein!«, murmelte er, gerade so, als spräche er mit sich selbst. Mit allem hatte er gerechnet. Wirklich mit allem. Nur mit so einer Blamage nicht. Konew nahm seine Uniformmütze ab, warf sie achtlos auf den mit Karten, Depeschen und Einsatzbefehlen überhäuften Schreibtisch und riss den Kragenknopf seiner Marschallsuniform auf. Anders als sonst war Chruschtschow offenbar nicht nach Scherzen zumute, was angesichts des Schnitzers, den sich Ulbricht geleistet hatte, ja auch kein Wunder war.
»Dieser Ulbricht. Nicht einmal das kriegt er hin!« Noch während Nikita Chruschtschow, der Erste Sekretär des ZK der KPdSU, seinem Zorn freien Lauf und eine wahre Flut von Beschimpfungen vom Stapel ließ, goss sich der 63-jährige, etwas beleibte Russe mit dem kahl geschorenen Charakterkopf einen Wodka ein und machte sich Gedanken, wie der Schaden, den seine ostdeutschen Genossen angerichtet hatten, wieder zu beheben sein würde. Eine Lösung hatte freilich auch er nicht parat, dafür jedoch jede Menge Spott und Hohn. »Besser, wir hätten ihn 53 abgesägt.«
»Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben, Iwan Stepanowitsch?«
»Tut mir leid, Nikita Sergejewitsch – wenn ich so etwas höre, könnte ich die glatte Wand hochgehen.« Konew genehmigte sich einen Wodka und wartete ab, bis er seine Wirkung spürte. Diese trat denn auch prompt ein, wodurch die Gefahr, dass der Gaul mit ihm durchgehen würde, einstweilen beseitigt war. »Fragt sich, ob es nicht besser wäre, endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Operation Rose – wenn ich das schon höre. Das konnte ja nicht gut gehen.« Konew holte tief Luft, ließ den Hörer von der linken in die rechte Hand wandern und grollte: »Ein Rat unter Freunden, Towarischtsch34 – es ist höchste Zeit, dass wir den Amerikanern zeigen, wer der Herr im Hause ist. Ganz Berlin ist umstellt, unter anderem von Einheiten der Ersten Motorisierten Division der 20. Armee. Allein unsere ostdeutschen Waffenbrüder haben über 40.000 Mann aufgeboten, mehr als das Dreifache dessen, was die Alliierten derzeit zur Verfügung haben. Unsere eigenen Streitkräfte, von denen in den vergangenen Tagen und Wochen ein erheblicher Teil in und um Berlin stationiert worden ist, selbstverständlich nicht mitgerechnet. Alles in allem um die 120.000 Mann, genug, um mit den Yankees fertig zu werden, finden Sie nicht auch?«