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Kuragin vernahm es mit Genugtuung. »Keine angenehme Vorstellung, ich weiß«, gab er zu. »Ausgerechnet die CIA, die Firma, der wir beide angehören. Beziehungsweise angehört haben. Scheint so, als könnten es einige Betonköpfe in Langley nicht abwarten, meinen ehemaligen Landsleuten eine Lektion zu erteilen.«

»Die, wie wir beide wissen, unweigerlich in den dritten Weltkrieg münden würde.«

»Genau, Jimbo. Kurzum, es sieht danach aus, als sei ihnen der Präsident ein Dorn im Auge. Sputnik, Kuba, Gagarin – für die Hardliner in unseren Reihen des Schlechten zu viel. Und dann noch seine zahllosen Affären, von den angeblichen Verbindungen von Kennedy Senior zur Chicago-Mafia gar nicht zu reden. Schon gewusst, Jimbo, dass er im Verdacht steht, Tausende von Wählern geschmiert zu haben? Bei einem Vorsprung von knapp 120.000 Stimmen durchaus nachvollziehbar, findest du nicht auch? Ergo: höchste Zeit, diesem Ostküsten-Dandy richtige Manieren beizubringen. Und vor allem höchste Zeit, den Russen die Zähne zu zeigen. Am besten in Berlin. Fragt sich nur, wie es die Herren fertigbringen wollen, den Präsidenten in ihrem Sinne zu manipulieren. Je länger ich darüber nachdenke, käme eigentlich nur eine Methode infrage.«

»Nämlich?«

»Schon mal von Pearl Harbour gehört, Jim?«

»Du meinst, die haben allen Ernstes vor, einen Überraschungsangriff zu inszenieren?«

»Glaub mir – Calabrese und Konsorten werden nichts unversucht lassen, um unser Land in einen Krieg hineinzuziehen. Für die ist Kennedy zu lasch, viel zu nachgiebig, ein Angsthase. Kurzum, ein typischer Appeaser. Getreu dem Motto: Die Russen verstehen nur eine Sprache, und zwar die der Gewalt. Weißt du, was ich glaube, Jim? Die können es gar nicht abwarten, unser Land vom Kennedy-Syndrom zu kurieren.«

»Aber das ist doch Wahnsinn, Juri.«

»Und ob es das ist. Verstehst du jetzt, warum ich es so eilig habe, möglichst schnell … wie sagt man hier in Berlin doch gleich?«

»Die Fliege zu machen?«

»Genau. Ich weiß zwar noch nicht, ob es mir glücken wird, an den Präsidenten heranzukommen. Versuchen werde ich es aber trotzdem. So schnell es irgend geht.«

»Dir wird schon etwas einfallen, Juri. Da bin ich mir sicher. Eins aber solltest du nicht vergessen. Um die Chefetage aufs Kreuz zu legen, brauchst du Beweise. Belastende Dokumente. Hieb- und stichfestes Material. Sonst kannst du dir gleich die Kugel geben.«

»Keine Sorge, großer Bruder. Diesbezüglich bin ich bestens versorgt.«

»Und wo – wenn du erlaubst – hast du dein Mitbringsel aus Ostberlin gebunkert? Müsste mich doch sehr wundern, wenn du es mit dir rumschleppen würdest.«

Kuragin setzte ein verschmitztes Lächeln auf. »Bei dem Lehrmeister – wo denkst du hin!«, scherzte er, obwohl ihm beileibe nicht danach war. »Unter uns, Jimbo: Ich habe es in Verwahrung gegeben, bei guten Bekannten.«

»Doch nicht etwa bei diesem Sydow, mit dem du einmal befreundet warst?«

»Doch, Jimbo.« Kuragin fischte ein Feuerzeug aus der Tasche, ließ es kurz aufflammen und warf einen Blick auf die Uhr. Dann senkte er die Stimme und sagte: »Er ist der Einzige, zu dem ich noch Vertrauen habe. Außer einem gewissen James Brannigan, wie ich wohl nicht extra betonen muss.«

»Danke für die Blumen.« Ein schiefes Lächeln im Gesicht, klopfte Brannigan seinem Ex-Schüler auf die Schulter und sah den Gefährten vergangener Tage lange und eindringlich an. »Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich von dir zu verabschieden, Juri. Und dir jede Menge Glück zu wünschen.«

»Und du, Jimbo?«

»Um mich mach dir mal keine Sorgen, kleiner Bruder. Ich komme schon über die Runden.« Brannigan atmete tief durch, und während er sich anschickte, Kuragins Akzent zu imitieren, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Außer Reichweite der Firma, wie ich wohl nicht extra betonen muss.«

»Ein weiser Entschluss.«

»Du sagst es, Juri.«

»Auf bald, Brannigan – und pass auf dich auf.«

»Du auch, Juri«, erwiderte Brannigan, zog Kuragin an sich und umarmte ihn so stürmisch, dass Letzterer nicht wusste, wie ihm geschah. »Du weißt doch, alter Junge, Unkraut vergeht …«

Von Natur aus eher reserviert, unternahm Kuragin den Versuch, sich aus der Umarmung des einstigen Mentors zu lösen, als er auf einmal ein weithin hörbares Knacken vernahm, welches die Stille ringsum jäh durchbrach, ließ er von seinem Vorhaben ab. Im gleichen Moment fegte eine MG-Salve über die Waldbühne hinweg, ohrenbetäubend, mehr als 600 Schuss pro Minute. Das nicht enden wollende, nervenzerfetzende und markerschütternde Stakkato im Ohr, zog Kuragin den Kopf ein und verkrallte sich im von Kugeln durchsiebten Rumpf des Mannes, der stets so etwas wie sein Beschützer gewesen war. Erst als seine Hand auf etwas Klebriges, Feuchtes und Warmes traf, das mit Macht aus Brannigans Rücken hervorschoss, kam er wieder zur Besinnung.

Eine AK-4739!, durchzuckte es ihn, die Hände voller Blut. Tja, Genossen, knapp 20 Jahre sowjetischer Geheimdienst hinterlassen ihr Spuren.

Genau wie acht Jahre CIA.

Auf die Frage, wer den Körper von John Landon Brannigan mit zwei Dutzend oder mehr Kugeln durchsiebt hatte, verschwendete Kuragin keinen Gedanken. Das war jetzt nicht das Problem. Die Frage war, wie lange der Heckenschütze, der auf Brannigan angesetzt worden war, zum Nachladen seiner Kalaschnikow brauchen würde.

Und ob sein Komplize, dessen Schritte er hinter sich vernahm, so dilettantisch war, wie er sich anstellte.

Den Finger am Abzug seiner Tokarew, ließ Kuragin den Körper seines Mentors aus den Händen gleiten und wirbelte herum. Keine zehn Meter von ihm entfernt, inmitten der monumentalen Bühnenaufbauten, konnte er die Silhouette eines Mannes erkennen, der ihm auf Anhieb bekannt vorkam. Viel Zeit zum Nachdenken blieb indes nicht, wenn überhaupt, nur Bruchteile von Sekunden. Kuragin zögerte keinen Augenblick. Kaum war Brannigan in sich zusammengesunken, krümmte sich sein Finger um den Abzug seiner Tokarew, mit der er auf das rechte Bein seines Widersachers zielte. Der wiederum, überrascht über seine blitzschnelle Reaktion, hielt ebenfalls eine Pistole in der Hand, kam aber einen Wimpernschlag zu spät. Ein Schuss hallte durch die Nacht, und noch während Kuragin durchatmete, bäumte sich Jermaine Ross, Bissels rechte Hand, plötzlich auf. Die Hand an den Oberschenkel gepresst, begann er unkontrolliert hin und her zu torkeln, ein, zwei Schritte nach rechts, dann wiederum nach links, wie ein Alleinunterhalter, der versucht, sein Publikum bei Laune zu halten. Die makabere Posse währte allerdings nicht lange. Laut aufstöhnend vor Schmerzen, taumelte Ross schließlich auf Kuragin zu, beschrieb eine Pirouette und brach zusammen.

In Gedanken längst wieder bei seinem Komplizen, dessen Kalaschnikow jeden Moment die nächste Garbe ausspeien würde, wirbelte Kuragin auf dem Absatz herum und ließ den Blick durch den weiten, in gleißend helles Mondlicht gehüllten Talkessel wandern. Irgendwo da droben, möglicherweise nur einen Steinwurf entfernt, befand sich ein gedungener Meuchelmörder, ein Killer aus den Reihen der CIA. In wenigen Sekunden, vielleicht auch schon in diesem Moment, würde er ihn ins Visier nehmen, auf den Abzug drücken und Juri Andrejewitsch Kuragin, CIA-Agent außer Dienst, so lange beackern, bis sein Körper mit Kugeln durchsiebt und vom Kadaver eines Tieres, das einer nach Blut lechzenden Meute zur Strecke gebracht wurde, nicht mehr zu unterscheiden sein würde.

Es sei denn, er würde den Spieß umdrehen.

Die Waffe im Anschlag und so kaltblütig, dass er sich selbst darüber wunderte, wich Kuragin zurück, umklammerte Ross, der sich mit schmerzverzerrter Miene auf dem Boden wälzte, mit dem linken Arm und riss ihn mit einem gewaltigen Ruck in die Höhe. Anschließend wich er Schritt für Schritt zurück, ohne die oberen Sitzreihen, von wo aus die Schüsse auf ihn abgefeuert worden waren, auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Auf eine Reaktion seines Kontrahenten brauchte er nicht lange zu warten. Kaum hatte er sich hinter Ross verschanzt, tat er genau das, worauf Kuragin spekuliert hatte. Um ihn an der Flucht zu hindern und seinen Komplizen nicht in Gefahr zu bringen, feuerte er in die Luft, nur wenige Zentimeter über die Köpfe von Kuragin und Ross hinweg, der mit schreckgeweitetem Blick auf die Zuschauerränge starrte. Dort regte sich zunächst nichts, doch kurz darauf, wie von Kuragin erhofft, erhellte ein zweiter, auf seine ursprüngliche Position gezielter Feuerstoß die mondhelle Nacht.