Выбрать главу

»Was es damit zu tun hat? Die Beschreibung, Herr Kriminalhauptkommissar, die mir Matuschek vom Dritten im Bunde gab, passt ziemlich auf einen der drei Toten, welche sich in der Waldbühne in die Haare gekriegt haben.«

Wäre Lea, die dem Gespräch mit wachsender Besorgnis gefolgt war, nicht zugegen gewesen, hätte Sydow eine nicht ganz stubenreine Bemerkung gemacht. So aber schluckte er den Ausruf, der ihm auf der Zunge lag, einfach hinunter und flüsterte: »Verdammt. Jetzt wird mir einiges …«

Ehe Sydow seinen Satz vollenden konnte, läutete das Telefon. »Für dich, Tom!«, hörte er Lea wenige Sekunden später sagen, immer noch wie benommen aufgrund der Erkenntnisse, welche er im Verlauf der letzten Viertelstunde gewonnen hatte. Kein Zweifel, dank Krokowski war er ein erhebliches Stück weitergekommen, hatten sich die Puzzleteile nach und nach zusammengefügt. Bis auf die Frage, auf wessen Konto der Leichnam in der U-Bahn und die drei Toten auf der Waldbühne gingen, waren eigentlich alle Fragen geklärt.

Eine Frage, die sich im Grunde von selbst beantwortete.

»Bist du’s, Juri?«, meldete sich Sydow, im Bewusstsein, dass ihn jetzt, eine gute Stunde vor Mitternacht, nichts mehr vom Stuhl hauen konnte.

»Ja, Tom«, bekräftigte die Stimme am anderen Ende der Leitung, längst nicht mehr so souverän, wie er sie in Erinnerung hatte. »Ich bin’s, Kuragin. Falls du momentan nichts vorhast, würde ich gerne mit dir plaudern. Wenn möglich, unter vier Augen!«

25

Sowjetische Raketenbatterie nördlich von Rangsdorf, knapp zehn Kilometer vom amerikanischen Sektor entfernt | 22.40 h

»Alles klar, Männer?« Skip McClellan, Lieutenant Major a. D. und Agent in Diensten der CIA, sah die rußgeschwärzten Gesichter seiner Männer der Reihe nach an und warf einen Blick auf die Uhr, deren Zeiger unaufhaltsam vorwärtsrückte. Der 34-jährige Veteran aus dem Koreakrieg tat dies ohne erkennbare Regung, genau so, wie man es von einem Mann, der zwei Jahre Gefangenschaft überstanden hatte, erwarten würde. Damals, in einem Camp nahe der chinesischen Grenze, hatten ihn seine Peiniger tagelang gefoltert, mit Salzlauge übergossen und in ein Erdloch gesteckt, in dem es von Ratten nur so wimmelte. Er hatte verschimmeltes Brot, Würmer und Reptilienfleisch gegessen, an dessen Aroma er sich lieber nicht erinnerte. Er war vor lauter Durst halb wahnsinnig geworden und hatte sogar den eigenen Urin getrunken. Er hatte mehrere Wochen in einem verschimmelten Kellerverlies verbracht, in das kein Licht, geschweige denn der Klang menschlicher Stimmen gedrungen war. Aber er hatte es überstanden, wenngleich ihm Gefühlsregungen von da an wie überflüssiger Luxus vorgekommen waren. Genau deswegen war er für das Unternehmen Uranus ausgesucht und mit dessen Leitung betraut worden. McClellan wusste genau, auf was er sich eingelassen hatte, aber da Befehl nun einmal Befehl für ihn war und er sich daran gewöhnt hatte, jede noch so widersinnige Order auszuführen, wirkte er jetzt, gut fünf Stunden vor Beginn des dritten Weltkrieges, wie die Ruhe selbst. »Noch Fragen?«

Die Antwort der sechs Spezialagenten, deren Gesichter ebenfalls keinerlei Regung verriet, bestand aus einem Kopfschütteln. An ihren Kameraden, der unweit des sowjetischen Raketenwerfers vom Typ BM-21 verscharrt worden war, verschwendeten sie keinen Gedanken mehr. Für sie war er nichts weiter als ein Verräter, ein Weichling wie Präsident Kennedy, der im alles entscheidenden Moment kalte Füße bekommen hatte. Was innerhalb der nächsten Stunden passieren würde, stand ihnen deutlich vor Augen, dennoch, oder gerade deswegen, wirkten sie wie ein Abbild ihres Kommandanten, emotionslos, entschlossen, zu allem bereit. Selbst dazu, hier, nur ein paar Kilometer vom amerikanischen Sektor entfernt, ein Inferno auszulösen, das unweigerlich zu einem nuklearen Schlagabtausch führen würde. Ein Kräftemessen, welches die USA für sich entscheiden würden. Koste es, was es wolle.

»Fertigmachen zum Abrücken.« Aus Spaß an der Freude, nicht etwa, weil er seine Männer beeindrucken wollte, zündete sich McClellan eine Zigarre an und paffte den Rauch der Havanna in die kristallklare Luft. Im Verlauf der Nacht, der wichtigsten seines Lebens, war das Thermometer auf 10 Grad gesunken, tief genug, um jedermann klar zu machen, dass der Sommer unwiderruflich zu Ende war. Im übertragenen Sinne traf dies auch auf das Verhältnis zwischen Russen und Amerikanern zu, wenngleich sich McClellan einen Dreck darum scherte, wie die Welt am morgigen Sonntag aussehen würde. Bei den Zielen, auf die die Raketen gerichtet waren, handelte es sich nämlich keineswegs um strategisch wichtige Punkte, sondern in der Hauptsache um zivile Objekte, unter anderem den Funkturm, das Schöneberger Rathaus und das Reichstagsgebäude. Na gut, um den Schein zu wahren, würde der große Bruder auch etwas abbekommen, aber wenn schon, dann würde es sich um eher unbedeutende Zielgebiete wie zum Beispiel Truppenübungsplätze, Fuhrparks oder Depots von geringem strategischen Wert handeln. Nur so würde es gelingen, die Weltöffentlichkeit auf die Seite der USA zu bringen und amerikanische Verluste nach Möglichkeit zu minimieren. Nur so, und nicht etwa, indem ausschließlich die eigenen Militäreinrichtungen bombardiert wurden. Dafür hätte er seinen Kopf nicht hingehalten. Auf keinen Fall.

Vom Erfolg der Operation überzeugt, sog McClellan genüsslich an seiner Havanna und nahm eine Pose ein, aus der man hätte schließen können, dass Uranus das reinste Kinderspiel werden würde. Höchste Zeit, sagte er sich, dass Amerika die Muskeln spielen und sich von Chruschtschow nicht weiter auf der Nase herumtanzen ließ. In wenigen Stunden, spätestens dann, wenn die Raketen in Westberlin einschlagen würden, wäre diese Clique aus Angsthasen, Drückebergern und Klugscheißern im Weißen Haus gezwungen, endlich Farbe zu bekennen. Allen voran ein gewisser JFK, dem nichts anderes mehr übrig bleiben würde, als den Russen Paroli zu bieten. Was das zu bedeuteten hatte, war McClellan wohl bewusst. Dennoch erfüllte ihn die Aussicht auf das Kommende nicht mit Schrecken. Mit den Sowjets, so sein unerschütterliches Credo, hätte längst aufgeräumt werden müssen, am besten gleich, unmittelbar nach dem Krieg. Damals wie heute hatten sich diese Weicheier im Weißen Haus jedoch von den Kommunisten einlullen lassen, zuerst Roosevelt, der Stalin aus der Hand gefressen hatte, und dann Kennedy, mit dem Chruschtschow anscheinend machen konnte, was er wollte. McClellans Miene sprach Bände, und als sein Blick auf die Körper der getöteten Rotarmisten fiel, verspürte er tiefe Genugtuung. So und nicht anders musste man mit den Russen umgehen, wenn Kennedy das nicht kapierte, würde er, Lieutenant Major Skip McClellan, ihn dazu zwingen müssen.

»Noch fünf Stunden, Countdown läuft.« Täuschte er sich, oder konnte man aus der Stimme des Agenten, der an der Konsole von einem der insgesamt sechs BM-21 herumhantierte und als Einziger zurückbleiben würde, so etwas wie Beklommenheit heraushören? Ohne sich seine Irritation anmerken zu lassen, ließ der Kommandeur der Sondereinheit Uranus seinen Zigarrenstummel ins nachtfeuchte Gras fallen, zupfte an seiner fleischigen Nase herum und nahm sein Spezialfernglas zur Hand, um die Gegend in unmittelbarer Nähe des Rangsdorfer Sees nach unerwünschten Störenfrieden abzusuchen. Es war immer noch widernatürlich hell, doch als er den Blick über das aus Birken, Schilf und Pappeln bestehende Idylle schweifen ließ, konnte er nichts Verdächtiges entdecken. Die Landschaft ringsum sah friedlich und unberührt aus, und einen kurzen Moment lang hatte er das Gefühl, wieder zu Hause in Minnesota zu sein, von wo aus er vor mehr als 15 Jahren aufgebrochen war, um an die Militärakademie in Westpoint zu gehen.

»Sir! Sondereinheit Uranus bereit zum Abrücken, Sir.«

»Na, dann woll’n wir mal.« Ohne die Raketenwerfer, welche ihre tödlichen Geschosse in knapp fünf Stunden ausspeien würden, auch nur eines Blickes zu würdigen, gab McClellan das Zeichen zum Aufbruch, schulterte seinen Rucksack und band seinen Helmriemen fest. Er tat dies mit der gleichen Kaltschnäuzigkeit, die seine Männer im Verlauf der letzten Wochen, während denen sie für ihren Einsatz instruiert worden waren, stets aufs Neue in Erstaunen versetzt hatte. Die Andeutung eines Lächelns im Gesicht, hielt McClellan inne und weidete sich am Anblick der getöteten Rotarmisten, deren Körper zuvor mit Benzin übergossen und in unmittelbarer Nähe der Raketenbatterie deponiert worden waren. Morgen früh würde so gut wie nichts mehr von ihnen übrig, ihre Leiber verkohlt oder bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt sein. So zumindest wollte es sein Plan, und McClellan hegte nicht den geringsten Zweifel, dass er ihn in die Tat umsetzen würde. Dies hier war seine Art, Vergeltung zu üben, für alles, was ihm in den letzten Jahren angetan worden war. Rache für seine Behandlung durch sowjetische Militärberater, die ihre koreanischen Folterknechte auf ihn gehetzt hatten. Rache für die getöteten Kameraden, die vor seinen Augen zu Tode gemartert worden waren. Rache aber auch für die Demütigung, welche der CIA durch den Rückzieher des Weißen Hauses während der Schweinebuchtinvasion zuteil geworden war.