Auf dem Schlitten hatten sie eine leichte Schlaf- und Minenausrüstung verstaut. Eine kleine Rolle Stahldraht guckte ganz unschuldig aus ihrem Versteck unter einem Proviantsack hervor, während ein Brecheisen, nur halb verborgen, unten auf dem Schlitten lag. Kurz strich leise mit den Händen über den Stahldraht und gab dem Brecheisen einen letzten freundschaftlichen Klaps. »Ho«, flüsterte er. »Ich weiß ja, was ich selbst denken würde, wenn ich das Zeugs nachts auf einem Schlitten sähe.«
Sie lenkten die Hunde ganz vorsichtig und leise den Hügel hinab, und als sie die Ebene erreichten, fuhren sie mit dem Gespann nordwärts durch die Hauptstraße. Dann ging es unter Beachtung noch größerer Vorsichtsmaßregeln aus dem Geschäftsviertel der Stadt hinaus in Richtung Sägemühle. Sie hatten noch niemand gesehen, als sie aber die Richtung änderten, hörten sie leise Pfiffe aus der Finsternis hinter sich, die nicht einmal die Sterne zu erhellen vermochten. Nachdem sie an der Sägemühle und dem Krankenhaus vorbeigekommen waren, fuhren sie noch eine halbe Stunde, so schnell es ihnen möglich war, weiter geradeaus. Dann machten sie plötzlich kehrt und fuhren denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Kaum waren sie die ersten hundert Meter gefahren, als sie mit Mühe und Not einen Zusammenstoß mit fünf Männern vermieden, die in schnellem Tempo angelaufen kamen. Alle gingen gebückt unter dem Gewicht der Goldsucherausrüstung. Der eine hielt Kids Leithund an, während die andern sich um sie scharten.
»Habt ihr nicht einen Schlitten gesehen, der in der andern Richtung gefahren ist?« fragte einer.
»Nee«, antwortete Kid. »Bist du’s, Bill?«
»Jawohl, und ich will ewig verflucht sein, wenn das nicht Alaska-Kid ist!« rief Bill Saltman in ehrlichem Staunen aus.
»Was machst du denn hier mitten in der Nacht?« fragte Kid.
Ehe Bill Saltman antworten konnte, hatten sich schon zwei weitere Männer, die herbeigelaufen kamen, der Gruppe angeschlossen. Ihnen folgten noch andere, während das Knirschen des Schnees unter den Mokassins das Kommen vieler verkündete.
»Wer sind denn all Ihre Freunde hier?« fragte Kid.
Saltman steckte sich die Pfeife an, obgleich er kaum viel Vergnügen daran haben konnte, danach zu urteilen, wie er nach dem langen Lauf stöhnte und japste. Eine Antwort gab er aber nicht. Der Kniff mit dem Streichholz war zu deutlich, als daß die Absicht mißverstanden werden konnte, und Kid sah denn auch, wie sämtliche Augenpaare sich auf die Rolle Stahldraht und das große Brecheisen richteten. Dann erlosch das Streichholz wieder.
»Ach, ich hab’ etwas reden hören, das ist alles, nur ein Gerücht«, murmelte Saltman mit feierlicher Geheimnistuerei.
»Da mußt du wirklich Kurz und mich einweihen«, meinte Kid.
Irgend jemand in der Gruppe kicherte ironisch.
»Aber wo wolltet ihr denn eigentlich hin?« fragte Saltman.
»Und als was seid ihr denn eigentlich hier?« erwiderte Kid. »Vielleicht Mitglieder eines Sicherheitsausschusses?«
»Nur als Interessenten. als richtige Interessenten«, sagte Saltman.
»Ihr könnt euer Leben wetten, daß wir Interessenten sind«, erklang eine andere Stimme aus der Dunkelheit.
»Wißt ihr, Kinder«, bemerkte Kurz, »ich möchte eigentlich wissen, wer von euch sich am dümmsten vorkommt.«
Man lachte nervös.
»Komm, Kid, wir wollen weitergehen«, sagte Kurz und trieb die Hunde an.
Die ganze Schar schloß sich ihnen an.
»Hört mal, Kinder«, verhöhnte Kurz sie. »Irrt ihr euch jetzt nicht? Als wir euch trafen, gingt ihr in der entgegengesetzten Richtung, und jetzt macht ihr wieder kehrt, ohne irgendwo gewesen zu sein! Habt ihr vielleicht die Adresse vergessen?«
»Geh zum Teufel«, sagte Saltman wenig gemütvoll. »Wir gehen und kommen, wie es uns paßt. Wir brauchen keinen Vormund.«
Und der Schlitten fuhr, Kid voran und Kurz an der Lenkstange, durch die Hauptstraße, begleitet von drei Dutzend Männern, von denen jeder eine Goldgräberausrüstung auf dem Rücken trug. Es war schon drei Uhr morgens, und nur die schlimmsten Nachtbummler der Stadt sahen die Prozession und konnten in Dawson am nächsten Tage von der neuesten Sensation berichten.
Eine halbe Stunde später kletterten die beiden mit ihren Hunden, gefolgt von der ganzen Schar, den Hügel hinauf. Und als sie die Hunde vor der Hütte abgeschirrt hatten, warteten sechzig erbitterte Goldsucher immer noch draußen.
»Gute Nacht, Kameraden«, rief Kid ihnen zu und schloß die Tür.
Es waren kaum fünf Minuten vergangen, als die Kerze drinnen ausgelöscht wurde. aber nach einer halben Stunde tauchten Kid und Kurz wieder leise und vorsichtig vor der Hütte auf und schirrten die Hunde wieder an, ohne jedoch Licht zu machen.
»Hallo, Kid«, sagte Saltman, der sich ihnen so weit näherte, daß sie den Umriß seiner Gestalt sehen konnten.
»Ich kann dich offenbar nicht abschütteln, Bill«, antwortete Kid gemütlich. »Wo sind denn alle deine Freunde?«
»In die Stadt gegangen, um ein Glas zu trinken. Sie haben mich hiergelassen, um euch im Auge zu behalten, und das werde ich auch tun! Was ist denn eigentlich mit euch los, Kid? Du kannst mich und die andern auf keinen Fall abschütteln. du kannst uns also ebensogut gleich mitnehmen. Wir sind ja lauter gute Freunde. Das weißt du doch.«
»Es gibt Fälle, in denen man nicht einmal seine besten Freunde mitnehmen darf«, gab Kid vorsichtig zur Antwort. »Und andere Fälle, in denen man es tun kann. Und siehst du, Bill, dies ist einer von denen, wo man es eben nicht tun darf. Es wäre viel vernünftiger, wenn du zu Bett gingest. Gute Nacht!«
»Hier gibt es heute keine >Gute Nachtc, Kid. Du kennst uns nicht. Wir sind die reinen Kletten, weißt du.«
Kid seufzte hörbar. »Na ja, wenn du durchaus deinen Willen durchsetzen willst, kann ich es ja nicht hindern. Aber komm jetzt, Kurz, wir können nicht mehr die Dummköpfe spielen, wir müssen ja weiter.«
Als der Schlitten losfuhr, ließ Saltman einen scharfen Pfiff hören und folgte ihm dann selbst. Unterhalb des Hügels, von der Ebene her hörte man das Pfeifen der Wachtposten. Kurz lief an der Lenkstange, und Kid und Bill gingen nebenher.
»Weißt du, Bill«, sagte Kid. »Ich will dir einen Vorschlag machen. Möchtest du nicht selbst mitmachen. aber natürlich nur du allein?«
Saltman zögerte nicht eine Minute mit der Antwort.
»Und all meine Freunde im Stich lassen? Nee, mein Herr! Wir wollen alle mit dabei sein.«
»Dann kommst du zuerst dran.«, rief Kid aus, bückte sich, um den andern besser anpacken zu können, und warf ihn dann in den tiefen Schnee neben der Schlittenbahn.
Kurz trieb die Hunde an und schwenkte mit seinem Gespann südwärts auf den Weg ein, der an den baufälligen Hütten auf den wellenförmigen Abhängen hinter Dawson vorbeiführt. Kid und Saltman rollten fest umschlungen im Schnee herum. Kid war freilich der Ansicht, daß er in glänzender Form sei, aber Saltman hatte ein Mehrgewicht von fünfzig Pfund, die nur aus schieren, harttrainierten Muskeln bestanden, und er bekam deshalb auch mehrmals die Oberhand. Ein über das andere Mal gelang es ihm, Kid auf den Rücken zu legen; und Kid machte es sich dabei gemütlich und ruhte sich aus. Sooft aber Saltman den Versuch machte, sich von ihm zu befreien, um weiterzulaufen, streckte Kid die Hand aus und hielt ihn am Bein fest, so daß er fiel und ein neuer Ringkampf begann.
»Du bist nicht ganz ohne«, räumte Saltman anerkennend ein, als er zehn Minuten später keuchend auf Kids Brust saß. »Aber ich kriege dich doch immer wieder unter.«
»Und ich halte dich doch immer wieder fest«, gab Kid ächzend zurück. »Und deshalb bin ich ja auch hier. nur um dich festzuhalten, nicht wahr? Wohin, glaubst du, ist Kurz inzwischen gelaufen?«
Saltman machte eine verzweifelte Anstrengung, um sich freizumachen, jedoch erfolglos. Kid erwischte ihn am Bein und schleuderte ihn mit dem Gesicht in den Schnee. Oben vom Hügel her hörte man ängstlich fragende Pfiffe. Saltman setzte sich auf und ließ ein schrilles Pfeifen hören, wurde aber wieder von Kid umgeworfen, der sich auf seine Brust setzte und ihn mit den Händen auf den Schultern unten hielt. In dieser Lage wurden sie von den Goldsuchern gefunden. Kid lachte und stand auf.