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»Leo? Ich habe noch ein Geheimnis. Ich habe mich in dich verliebt.«

»Ich habe dich immer schon geliebt.«

»Das ist kein Geheimnis. Du bist schon drei Geheimnisse im Rückstand.«

Leo küsste sie. »Ich habe einen Bruder.«

Rostow am Don

15. Juli

Nadja war allein zu Haus. Ihre Mutter und ihre Schwester waren die Großmutter besuchen gegangen. Zunächst hatte Nadja sie begleitet, aber als sie sich dem Wohnblock ihrer Großmutter näherten, hatte sie so getan, als hätte sie Bauchweh, und darum gebeten, umkehren zu dürfen. Ihre Mutter hatte es erlaubt, und Nadja war zurück nach Hause geeilt. Ihr Plan war einfach. Sie würde die Kellertür aufmachen und herausfinden, warum ihr Vater so viel Zeit da unten in diesem Raum verbrachte, der doch bestimmt dunkel und kalt war. Sie selbst war noch nie dort gewesen, nicht ein einziges Mal. Nadja umrundete das Haus, legte die Hände auf die feuchten Ziegelsteine und stellte sich vor, wie es da drinnen war. Es gab keine Fenster, nur ein Abzugsloch für den Ofen. Und der Zutritt war strengstens verboten, eine eiserne Hausregel.

Ihr Vater war im Moment für seine Arbeit unterwegs. Aber er würde bald wiederkommen, vielleicht schon morgen. Sie hatte ihn davon reden hören, dass er einige Reparaturen am Haus vornehmen wollte, unter anderem auch eine neue Kellertür einbauen. Die alte war natürlich wirklich nicht besonders solide, aber trotzdem, warum war das denn so wichtig? In ein paar Tagen würde er eine neue eingebaut haben, und die würde sie dann nicht mehr aufkriegen. Wenn sie einbrechen und Antworten auf ihre Fragen finden wollte, dann musste sie es jetzt machen. Das Schloss bestand nur aus einem einfachen Riegel. Sie schaute ihn sich genau an und versuchte, ein Messer zwischen die Tür und den Rahmen zu zwängen. Das ging.

Der Riegel hob sich, und Nadja drückte die Tür auf. Aufgeregt und gleichzeitig ängstlich machte sie einen Schritt nach unten. Sie zog die Tür hinter sich zu. Ein Rest von Licht stahl sich hinter ihr durch die Ritzen an den Seiten und am Boden der Tür. Sonst kam die einzige Beleuchtung vom Abzug da unten. Nadja versuchte ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen und erreichte den Fuß der Treppe. Sie sah sich in der geheimen Kammer ihres Vaters um.

Ein Bett, ein kleiner Tisch und eine Truhe - geheimnisvoll war das schon mal nicht. Enttäuscht schnüffelte sie herum. An der Wand hing eine alte Lampe, und daneben waren eine Reihe Zeitungsausschnitte aufgehängt. Sie ging darauf zu. Da war ja überall dasselbe drauf: ein Foto von einem russischen Soldaten, der neben einem brennenden Panzer stand. Ein paar von den Fotos waren so ausgeschnitten, dass man nur noch den Soldaten sah. Er sah gut aus, aber es war niemand, den sie kannte. Verblüfft über diese Collage hob sie einen Blechnapf auf, der bestimmt für die Katzen war. Dann fiel ihr Blick auf die Truhe. Sie griff den Deckel und hob ihn hoch, nur ein ganz kleines bisschen, um zu sehen, ob sie die Truhe aufbekam. Der Holzdeckel war schwer, aber abgeschlossen war sie nicht. Was war wohl da drin? Sie hob den Deckel noch ein Stückchen höher. Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Es kam von der Haustür.

Schwere Schritte, zu schwer für ihre Mutter. Ihr Vater musste früher als geplant zurückgekehrt sein. Ein Lichtstrahl fiel herein, als oben die Tür zum Keller geöffnet wurde. Warum war er denn jetzt schon zurück? In Panik senkte Nadja den Deckel möglichst geräuschlos, während sie schon hörte, wie ihr Vater die Treppe herunterkam. Als der Deckel zu war, kniete sie sich hin und krabbelte unter das Bett. Nicht viel Platz, sie machte sich ganz klein und behielt die unterste Treppenstufe im Auge. Da waren sie. Die schweren, schwarzen Stiefel kamen direkt auf sie zu.

Nadja kniff die Augen zusammen und rechnete damit, sein wütendes Gesicht direkt vor sich zu sehen, wenn sie sie wieder aufmachte. Stattdessen quietschte das ganze Bett und gab nach. Er hatte sich daraufgesetzt. Sie machte die Augen auf und musste beiseite kriechen, denn die Lücke zwischen dem Bett und dem Boden war jetzt noch schmaler. Nadja sah, wie er anfing, sich die Stiefel aufzuschnüren. Er hatte nicht gemerkt, dass sie hier unten war. Das Schloss war wohl wieder zugefallen, als sie die Tür geschlossen hatte. Er hatte sie nicht erwischt, jedenfalls noch nicht. Und was sollte sie jetzt machen? Vielleicht blieb ihr Vater stundenlang hier unten. Ihre Mutter würde heimkehren und erschreckt feststellen, dass sie nicht zu Hause war. Vielleicht würden sie denken, dass sie verschwunden war, und sie suchen gehen. Dann könnte sie sich hinaufschleichen und sich eine Lüge ausdenken, wo sie gewesen war. Wenn alles glattlief. Bis dahin musste sie bleiben, wo sie war, und durfte keinen Mucks von sich geben.

Ihr Vater hatte sich die Socken ausgezogen und streckte seine Zehen. Er stand auf, wobei sich das Bett mit ihm hob, und entzündete die Lampe, die ein schwaches Licht warf. Dann ging er zur Truhe. Nadja konnte hören, wie er den Deckel aufmachte, aber sie sah nicht, was er herausnahm. Offenbar hatte er den Deckel aufgelassen, denn sie hörte nicht, dass er wieder zuging. Was machte ihr Vater bloß? Jetzt saß er auf einem der Stühle und band sich etwas um den Fuß. Ein Stück Gummi. Dazu noch eine Schnur und ein paar Lumpen, er schien sich eine Art Schuh zu basteln.

Nadja spürte etwas hinter sich und wandte den Kopf. Es war die Katze. Die hatte sie ihrerseits bemerkt, sie machte einen Buckel und sträubte das Fell. Sie schien zu wissen, dass Nadja hier unten nichts zu suchen hatte. Ängstlich wandte Nadja sich um und schaute, ob ihr Vater sie bemerkt hatte. Er ließ sich auf die Knie fallen, und sein Gesicht tauchte zwischen Bettkante und Boden auf. Nadja wusste nicht, was sie sagen sollte, und wagte nicht, sich zu rühren. Ohne ein Wort stand ihr Vater auf und klappte das ganze Bett nach oben, sodass sie offen dalag, zusammengerollt wie eine Kugel.

»Steh auf!«

Sie konnte weder Arme noch Beine bewegen, ihr ganzer Körper verweigerte den Dienst.

»Nadja!«

Sie hörte ihren Namen und stand auf.

»Komm von der Wand da weg!«

Sie gehorchte. Mit gesenktem Kopf ging sie auf ihren Vater zu und starrte dabei seine Füße an, der eine nackt und der andere in Lumpen gehüllt. Er klappte das Bett wieder herunter und rückte es zurecht.

»Warum bist du hier unten?«

»Ich wollte wissen, was du hier machst.«

»Warum?«

»Weil ich öfter mit dir zusammen sein will.«

Andrej verspürte wieder diesen Drang. Sie waren allein zu Hause. Sie hätte nicht herunterkommen sollen. Er hatte es ihr extra gesagt, zu ihrem eigenen Schutz. Hier war er ein anderer Mensch, nicht mehr ihr Vater. Er drückte sich rückwärts von seiner Tochter weg, bis er an der Wand stand, so weit, wie der Raum es nur zuließ.

»Vater?«

Andrej hob einen Finger an die Lippen und bedeutete ihr zu schweigen. Reiß dich zusammen!

Aber er schaffte es nicht. Er nahm die Brille ab, klappte sie zusammen und steckte sie sich in die Tasche. Als er jetzt wieder seine Tochter anschaute, war sie nur noch ein verschwommener Schemen, gar nicht mehr sein Mädchen. Eine vage, unbestimmte Gestalt, irgendein x-beliebiges Kind.