Andrej machte genau, was man ihm gesagt hatte. Er zog das Stück Schnur aus seiner Tasche, deren Ende Pavel schon zu einer Schlinge geknotet hatte. Andrej musste die jetzt nur noch um den Rattenschädel herumlegen. Nachdem er das erledigt hatte, trat er so weit zurück, wie es das Seil zuließ, dann legte er sich auf den Bauch und drückte dabei den knirschenden Schnee zusammen. Er lag da und wartete. Erst jetzt, auf dem Boden, bemerkte er, dass er seinen Köder kaum erkennen konnte. Alles war verschwommen. Plötzlich bekam Andrej es mit der Angst zu tun und hoffte inständig, dass die Katze sich seinem Bruder zuwenden würde. Der würde keinen Fehler machen. Er würde sie fangen, und dann konnten sie heimgehen und essen. Vor Nervosität und Kälte fingen ihm die Hände zu zittern an. Er versuchte, sie ruhig zu halten. Er sah etwas. Ein undeutlicher schwarzer Fleck kam auf ihn zu.
Andrejs Atem fing an, den Schnee vor seinem Gesicht zu schmelzen. Tropfen kalten Wassers rannen auf ihn zu und krochen ihm in die Kleider. Er wollte, dass die Katze in die andere Richtung lief, auf die Falle seines Bruders zu, aber als der schwarze Fleck immer näher und näher kam, gab es nichts mehr daran zu deuteln, dass die Katze sich ihn ausgesucht hatte. Klar, wenn er die Katze fing, dann würde Pavel ihn lieben und mit ihm Karten spielen und nie mehr böse auf ihn sein. Die Vorstellung gefiel ihm, und seine Laune verwandelte sich von Grauen in Jagdfieber. Jawohl, er würde derjenige sein, der die Katze fing. Er würde sie töten. Er würde es seinem Bruder zeigen. Was hatte der noch mal gesagt? Er hatte ihn davor gewarnt, die Schlinge zu früh zuzuziehen. Wenn die Katze verschreckt wurde, war alles verloren. Aus diesem Grund und weil er nicht ganz genau sagen konnte, wo die Katze stand, beschloss Andrej zu warten, nur um sicherzugehen. Fast konnte er das schwarze Fell und die vier Beine ausmachen. Andrej würde noch ein kleines bisschen warten, noch ein kleines bisschen ... da hörte er seinen Bruder fauchen: »Jetzt!«
Andrej geriet in Panik. Diesen Tonfall kannte er zur Genüge. Er bedeutete, dass er etwas falsch gemacht hatte. Er blinzelte angestrengt und erkannte, dass die Katze mitten über der Falle stand. Er zog an der Schnur, aber zu spät, das Tier war schon weggesprungen. Die Schlinge hatte sie nicht erwischt. Trotzdem zog Andrej die Schnur zu sich heran, in der erbärmlichen Hoffnung, dass an ihrem Ende vielleicht doch eine Katze wäre. Als die leere Schlinge in seiner Hand ankam, spürte er, wie sich sein Gesicht vor Scham rötete. Wutentbrannt wollte er schon aufspringen und dieses verdammte Biest jagen, es einfangen und erwürgen, ihm den Schädel einschlagen. Aber Andrej rührte sich nicht. Er sah, dass sein Bruder flach auf die Erde gepresst liegen geblieben war. Und Andrej, der gelernt hatte, immer dem Beispiel seines Bruders zu folgen, machte genau dasselbe. Er blinzelte und kniff die Augen zusammen, bis er sah, dass die Katze auf die Falle seines Bruders zuschlich.
Pavels Ärger über seinen nichtsnutzigen kleinen Bruder war angesichts der unvorsichtigen Katze dem Jagdfieber gewichen. Erwartungsvoll spannten sich seine Rückenmuskeln an. Ganz offensichtlich hatte die Katze Blut geleckt, und der Hunger war stärker als die Vorsicht. Er wartete, bis sie mitten im Lauf stehen blieb, eine Pfote halb in der Luft, und ihn geradeheraus anstarrte. Pavel hielt den Atem an. Seine Finger umklammerten die Schnur, er wartete, im Geiste lockte er die Katze. Bitte, bitte, bitte!
Die Katze machte einen Satz, riss das Maul auf und schnappte sich den Knochen. Genau im richtigen Moment straffte Pavel die Schnur. Die Schlinge schloss sich um ihre Pfote, das Vorderbein war gefangen. Pavel sprang auf, zerrte und zog die Schlinge noch enger. Die Katze versuchte abzuhauen, aber die Schnur hielt sie fest. Ein Gekreisch erfüllte den Wald, als würde eine viel größere Kreatur um ihr Leben kämpfen. Die Katze warf sich im Schnee hin und her, krümmte sich und schnappte nach der Schnur. Pavel fürchtete, der Knoten könnte reißen, das Seil war dünn und zerschlissen. Als er versuchte, ihr näher zu kommen, nahm die Katze Reißaus und blieb außerhalb seiner Reichweite. Er schrie seinen Bruder an: »Mach sie tot!«
Andrej hatte sich nicht mehr gerührt, weil er nicht noch einen Fehler machen wollte. Aber jetzt bekam er klare Anweisungen.
Er sprang auf, machte einen Satz nach vorn, stolperte prompt und fiel kopfüber hin. Als er seine Nase aus dem Schnee hob, sah er vor sich die Katze, wie sie fauchte und spuckte und sich wand. Wenn die Schnur riss, wäre sie frei und sein Bruder würde ihn auf ewig hassen. Pavel schrie, seine Stimme überschlug sich vor Verzweiflung: »Mach sie tot! Mach sie tot! Mach sie tot!«
Andrej rappelte sich hoch, und ohne eigentlich zu wissen, was er da machte, sprang er vor und warf sich über den zappelnden Katzenleib. Vielleicht hoffte er, der Aufprall würde sie töten. Aber jetzt lag er auf dem Tier und konnte fühlen, dass die Katze lebte, sich unter seinem Bauch wand und in den Getreidesäcken ver-krallte, die man für ihn zu einer Jacke zusammengenäht hatte. Andrej hielt sich flach auf der Katze, damit sie nicht entkommen konnte, und sah sich mit flehentlichem Blick nach Pavel um, damit der die Sache übernahm: »Das Biest lebt noch!«
Pavel kam angelaufen, ließ sich auf die Knie fallen und schob seinen Arm unter den Körper seines jüngeren Bruders, um sogleich Bekanntschaft mit dem zuschnappenden Maul der Katze zu machen. Er wurde gebissen und riss die Hand heraus. Ohne auf seinen blutenden Finger zu achten, kroch er zur anderen Seite und schob seine Hand wieder hinein. Diesmal erwischte er den Schwanz. Langsam krabbelten seine Finger den Rücken der Katze hinauf. Gegen diesen Angriffspunkt konnte das Tier sich nicht wehren.
Andrej rührte sich nicht, fühlte aber, wie unter ihm der Kampf tobte, fühlte, wie die Hand seines Bruders sich dem Kopf der Katze näherte, immer näher und näher kam. Die Katze spürte, dass es um ihr Leben ging, und sie fing an, auf alles einzubeißen, die Jacke, den Schnee, rasend vor Wut und Angst. Andrej konnte das Getümmel in seinem Bauch fühlen. Dem Beispiel seines Bruders folgend, brüllte er: »Mach sie tot! Mach sie tot! Mach sie tot!«
Pavel brach der Katze das Genick. Einige Augenblicke lang rührten sie sich beide nicht, lagen nur reglos da und atmeten schwer. Pavel legte seinen Kopf auf Andrejs Rücken, eine Hand umklammerte immer noch den Hals der Katze. Schließlich zog er seine Hände unter seinem Bruder hervor und stand auf. Andrej blieb im Schnee liegen, er wagte nicht sich zu rühren.
»Du kannst jetzt aufstehen.«
Er konnte jetzt aufstehen. Er konnte sich neben seinen Bruder stellen, mit stolzgeschwellter Brust. Er hatte ihn nicht enttäuscht. Hatte nicht versagt. Er streckte den Arm aus, nahm die Hand seines Bruders und stand auf. Ohne ihn hätte Pavel die Katze nicht fangen können. Die Schnur wäre gerissen. Die Katze wäre abgehauen. Andrej lächelte, und dann lachte er und klatschte in die Hände und drehte sich tanzend im Kreis. Er war so glücklich wie noch nie in seinem ganzen Leben. Sie beide waren Partner. Pavel umarmte ihn, und dann besahen sie sich ihre Trophäe: eine abgemagerte, tote, in den Schnee gedrückte Katze.
Die Vorsicht gebot, dass sie ihre Beute unbeobachtet ins Dorf zurückschafften. Für so einen Fang würden die Leute sich prügeln, sogar töten, und vielleicht hatte das Gekreisch der Katze ja jemanden alarmiert. Pavel wollte nichts dem Zufall überlassen. Einen Sack oder eine Tasche, worin sie die Katze hätten verstecken können, hatten sie nicht dabei, also mussten sie improvisieren. Pavel beschloss, dass sie sie unter einem Stapel Äste verstecken würden. Wenn sie dann auf dem Nachhauseweg jemandem begegneten, würde es so aussehen, als hätten sie Feuerholz gesammelt, und keiner würde sich wundern. Er hob die Katze aus dem Schnee: »Ich trage sie unter einem Stapel Äste, damit keiner sie sieht. Aber wenn wir tatsächlich Feuerholz sammeln würden, dann hättest du auch welches auf dem Arm.«