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»Die Verfassungsnovelle…«

»Zwecklos. Völlig zwecklos, Freund Fileclerk, sehen Sie das Gebäude dort drüben. Es ist unsere Kapelle. Ich empfehle Ihnen, sie zu besuchen und Ihre Seele von falschen Werten zu befreien.«

»Ich gehöre Ihrer Kirche nicht an«, sagte Fileclerk.

»Und ich bin nicht Mitglied Ihrer politischen Partei«, erwiderte Thor Watchman. »Entschuldigen Sie mich. Ich habe im Kontrollturm zu tun.«

»Vielleicht kann ich Sie sprechen, wenn Ihre Schicht zu Ende ist.«

»Dann würden Sie mich meiner Freizeit berauben«, erwiderte Watchman kalt, wandte sich schroff ab und entfernte sich rasch. Er mußte Zuflucht nehmen zu einem der beruhigenden Nervenrituale, um die in ihm aufsteigende Wut zu besänftigen.

»Androiden-Gleichheits-Partei«, murmelte er verächtlich. »Narren! Stümper! Hitzköpfe!«

7

Manuel Krug hatte einen schweren Tag hinter sich. 08.00 Uhr Kalifornien. Er erwachte in seinem Haus an der Küste von Mendocino. Vor seiner Türe brandete der Pazifik. Tausend Hektar Rotholz bildeten seinen Garten. Neben ihm im Bett lag Clarissa, katzenweich, katzenscheu. Sein Schädel brummte von der Party der Spektrumgruppe der letzten Nacht in Taiwan, wo er zuviel von Nick Ssu-mas Hirse- und Ingwer-Likör getrunken hatte. Auf dem schwebenden Schirm erschien das Bild seines Beta-Hausdieners, der mit eindringlicher Stimme flüsterte: »Sir, Sir, bitte stehen Sie auf. Ihr Vater erwartet Sie am Turm.« Clarissa kuschelte sich dichter an ihn. Manuel blinzelte, bemühte sich, den Nebel zu durchdringen, der sein Gehirn umhüllte. »Sir! Verzeihung, aber Sie hinterließen unwiderrufliche Instruktionen, daß Sie geweckt werden müssen!« Ein Vierzig-Hertz-Ton brummte aus dem Fußboden, ein Fünfzehn-Megahertz-Pfeifen zischte von der Decke herab, und zwischen beiden gefangen, war es ihm unmöglich, in den Schlaf zurückzufliehen. Die Töne wurden lauter. Widerwillig, mürrisch, erwachte er vollkommen. Und dann kam eine Überraschung; Clarissa bewegte sich, nahm zitternd seine Hand, legte sie auf eine ihrer kleinen kühlen Brüste. Seine Fingerspitzen berührten die Warze, fanden sie noch weich, wie erwartet. Es war eine kühne Annäherung ihrerseits; ihr Fleisch war schwach, auch wenn ihr Geist willig war. Sie waren zwei Jahre verheiratet; trotz aller ernsthaften und kundigen Bemühungen war es ihm nicht gelungen, ihre Sinne wirklich zu erregen. »Manuel…«, flüsterte sie. »Manuel… berühre mich überall…!«

Er empfand es als grausam, sie abzuweisen. »Später«, sagte er, während die Töne sich wie Stacheln in sein Gehirn bohrten. »Wir müssen aufstehen. Der Patriarch erwartet uns. Wir gehen zum Turm heute.«

Clarissa schmollte. Ein weiteres Crescendo trieb sie aus dem Bett. Sofort verstummten die Töne. Sie duschten, frühstückten, zogen sich an. »Willst du wirklich, daß ich mitkomme?« fragte sie.

»Mein Vater hat dich ausdrücklich eingeladen. Er meint, es sei höchste Zeit, daß du den Turm siehst. Willst du nicht mitkommen?«

»Ich fürchte, ich tue etwas Dummes, sage etwas Albernes. Ich fühle mich so schrecklich jung, wenn ich in seiner Nähe bin.«

»Du bist schrecklich jung. Jedenfalls ist er vernarrt in dich. Du brauchst nur so zu tun, als seist du ganz fasziniert von seinem Turm, und verzeiht dir alle Albernheiten, die du vielleicht von dir gibst.«

»Und die andern Leute… Senator Fearon, und der Wissenschaftler, und wer sonst noch… Manuel, ich bin jetzt schon verlegen!«

»Clarissa…«

»Schon gut, schon gut.«

»Und vergiß nicht: der Turm wird für dich das wunderbarste Bauwerk der Menschheit seit dem Tadsch Mahal sein, wenn du ihn gesehen hast. Sage es ihm, vielleicht nicht mit so vielen Worten, aber gib es ihm zu verstehen auf deine eigene Weise.«

»Meint er es wirklich ernst mit dem Turm?« fragte sie. »Gedenkt er tatsächlich zu den Menschen auf anderen Sternen zu sprechen?«

»Ja, das tut er.«

»Wieviel wird es kosten?«

»Milliarden«, erwiderte Manuel. »Viele Milliarden.«

»Er verschwendet unser Erbe, um das Ding zu bauen. Er gibt alles aus.«

»Nicht alles. Das kann er gar nicht. Wir werden nie in Geldverlegenheit sein. Jedenfalls hat er das Geld verdient; laß ihn es ausgeben.«

»Aber für eine fixe Idee, für eine Laune…«

»Hör auf damit, Clarissa! Es ist nicht unsere Sache.«

»Dann sag mir wenigstens eins. Angenommen, dein Vater stirbt morgen, und du übernimmst alles. Was würde mit dem Turm geschehen?«

Manuel stellte die Koordinaten ein für ihren Sprung nach New York. »Ich würde die Arbeit an ihm übermorgen einstellen lassen«, sagte er. »Aber ich werde dich erwürgen, wenn du ihn das je wissen läßt. Steig ein! Auf nach New York!«

* * *

11.00 Uhr, New York. Es war bereits später Vormittag, und er war erst vierzig Minuten wach, nachdem er um acht aufgestanden war. Das war eine der kleinen Unannehmlichkeiten der Transmatgesellschaft: man verlor einen Teil des Tages, wenn man von Westen nach Osten sprang.

Natürlich gab es kompensierende Gewinne, wenn man in der entgegengesetzten Richtung reiste. Im Sommer 2218, am Tage vor seiner Hochzeit, waren Manuel und einige seiner Freunde der Spektrumgruppe mit der Morgendämmerung um die Wette um die Welt gereist. Sie starteten um 6.00 Uhr an einem Samstag im Ambolesi-Wildpark, als die Sonne sich über dem Kilimandscharo erhob, und sprangen nach Kinshasa, Accra, Rio, Caracas, Veracruz, Albuquerque, Los Angeles, Honolulu, Auckland, Brisbane, Singapur, Pnom-Penh, Kalkutta, Mekka. Man benötigte keine Visa in der Transmatwelt, keine Pässe; solche Dinge waren absurd im Transmat-Zeitalter. Die Sonne rollte mühsam mit knapp siebzehnhundert Stundenkilometern über den Himmel; die springenden Reisenden ließen sie hinter sich zurück. Obwohl sie fünfzehn Minuten hier, zwanzig Minuten dort Halt machten, um einen Cocktail zu trinken, kleine Souvenirs zu kaufen oder berühmte Monumente der Antike zu besuchen, gewannen sie ständig Zeit, stießen immer weiter rückwärts in die vorangegangene Nacht vor, überholten die Sonne, während sie um den Globus dem Freitagabend entgegenrasten. Natürlich verloren sie alles, als sie die Datumslinie überquerten, und wurden in den Samstagnachmittag geschleudert. Doch sie machten den Verlust wieder wett, indem sie nun westwärts reisten, und als sie wieder zum Kilimandscharo kamen, war es noch nicht elf Uhr des Samstag morgens, an dem sie gestartet waren, aber sie hatten die Erde umkreist und anderthalb Freitage erlebt. So etwas konnte man mit dem Transmat tun. Man konnte auch, wenn man seine Sprünge sorgfältig plante, zwei Dutzend Sonnenuntergänge an einem einzigen Tag sehen, oder sein ganzes Leben unter der Glut eines ewigen Mittags verbringen. Dennoch tat es Manuel, als er um 11.40 Uhr in New York ankam, leid, einen Teil des Vormittags dem Transmat geopfert haben zu müssen.

Sein Vater begrüßte ihn in seinem Büro förmlich mit einem Händedruck und umarmte Clarissa väterlich. Leon Spaulding hielt sich unbehaglich im Hintergrund. Quenelle stand am Fenster, allen den Rücken kehrend, und beobachtete das Treiben in der City. Manuel kam nicht gut mit ihr aus. Er mochte die Mätressen seines Vaters im allgemeinen nicht. Der alte Mann wählte jedesmal den gleichen Typ: volle Lippen, volle Brüste, pralles Gesäß, feurige Augen, breite Hüften, kurz, bäuerliche Rasse.

Krug sagte: »Wir warten auf Senator Fearon, Tom Buckleman und Dr. Vargas. Thor wird uns den Turm zeigen. Was tust du danach, Manuel?«

»Ich habe eigentlich nichts vor…«

»Dann geh nach Duluth. Ich wünsche, daß du alles kennenlernst über den Fabrikbetrieb dort. Leon, benachrichtige Duluth: mein Sohn trifft am frühen Nachmittag ein zu einer Besichtigung.«

Spaulding entfernte sich. Manuel hob die Schultern. »Wie du wünschst, Vater.«