»Es ist Zeit, deine Verantwortlichkeit zu erweitern Junge. Deine Führungsfähigkeiten zu entwickeln. Eines Tages wirst du der Boß von alledem hier sein. Eines Tages werden sie dich meinen, wenn sie Krug sagen.«
»Ich will versuchen, dem Vertrauen gerecht zu werden, das du in mich setzt«, sagte Manuel.
Er wußte, er täuschte seinen Vater nicht mit seinen Redensarten, und dessen Zurschaustellung von väterlichem Stolz täuschte ihn nicht. Manuel war sich der tiefen Verachtung seines Vaters für ihn bewußt. Er konnte sich selbst mit seines Vaters Augen sehen: ein Tunichtgut, ein alternder Playboy. Sein eigenes Bild von sich war jedoch: empfindsam, mitfühlend, zu kultiviert, um in der lärmenden brutalen Arena des Big-Business aufzutreten. Dann drängte sich ihm ein anderes, vielleicht echteres Bild von Manuel Krug auf: leer, ernst, idealistisch, oberflächlich, unfähig. Welcher war der richtige Manuel? Er wußte es nicht. Er wußte es nicht. Er verstand sich immer weniger, je älter er wahrscheinlich wurde.
Senator Fearon trat aus dem Transmat.
Krug sagte: »Henry, Sie kennen doch meinen Sohn Manuel… den zukünftigen Krug. Krug junior, den Erbprinzen.«
»Es ist viele Jahre her«, sagte Fearon. »Manuel, wie geht es Ihnen?«
Manuel berührte die kühle Hand des Politikers. Es gelang ihm ein freundliches Lächeln. »Wir haben uns vor fünf Jahren in Makao kennengelernt«, sagte er liebenswürdig. »Sie waren unterwegs nach Ulan Bator.«
»Ja richtig. Natürlich! Was für ein glänzendes Gedächtnis Sie haben! Krug, einen wunderbaren Jungen haben Sie da!« rief Fearon bewundernd und bleckte grinsend die Zähne.
»Abwarten«, sagte Krug. »Wenn ich abtrete, wird er Ihnen zeigen, wie ein richtiger Reichsverweser operiert!«
Manuel hustete und blickte verlegen zur Seite. Seine dynastische Zwangsvorstellung veranlaßte den alten Krug, ständig so zu tun, als sei sein einziges Kind auch der richtige Erbe für das Riesengebilde von Unternehmungen, die er gegründet oder geschluckt hatte. Daher rührte auch seine ständig zur Schau gestellte Sorge um Manuels ›Training‹ und die stete zermürbende Bekundung, Manuel würde eines Tages an die Macht kommen.
Manuel hatte nicht den Wunsch, die Herrschaft über das Reich seines Vaters zu übernehmen, noch glaubte er, daß er dazu fähig war. Er entwuchs erst jetzt seiner Playboy-Phase, war im Begriff, seinen Unernst zu überwinden, wie andere ihren Atheismus überwanden. Er hielt Ausschau nach einem sinnvollen Lebenszweck, nach einer Tätigkeit, die seinen Ambitionen und Fähigkeiten entsprach. Eines Tages würde er vielleicht eine ihn ausfüllende Aufgabe finden, doch er bezweifelte sehr, daß sie in der Leitung des Krug-Konzerns liegen würde.
Der alte Mann wußte das ebensogut wie Manuel. Innerlich verachtete er die Hohlheit seines Sohns, und manchmal schimmerte diese Verachtung durch. Doch er hörte nie auf zu behaupten, daß er seines Sohnes Urteil, Intelligenz und administrative Fähigkeiten hoch einschätzte. Gegenüber Thor Watchman, gegenüber Leon Spaulding, gegenüber jedermann, der ihm zuhören wollte, pries Krug die Vorzüge des Thronfolgers. Selbstbetrügerische Heuchelei, dachte Manuel; er versucht, sich selbst das glauben zu machen, von dem er weiß, daß es nicht wahr ist. Es würde nie wahr sein. Er wird immer größeres Vertrauen zu seinem androiden Freund Thor haben als zu seinem eigenen leiblichen Sohn. Und aus guten Gründen. Warum nicht einen begabten Androiden einem untüchtigen Kind vorziehen? Er hat uns doch beide geschaffen.
Soll er doch Thor Watchman die Leitung des Konzerns übertragen, dachte Manuel.
Die anderen Mitglieder der Gesellschaft trafen ein. Krug geleitete jeden einzeln zu den Transmatkabinen.
»Zum Turm«, rief er. »Zum Turm!«
11.10 Uhr, am Turm. Er hatte den größeren Teil einer Stunde von seinem verlorenen Morgen wiedergewonnen durch das Überspringen der Zeitzone westlich von New York. Doch er hätte gerne auf die Reise verzichtet. Es war schlimm genug, in dem eisigen arktischen Herbst Begeisterung zu zeigen und sich dazu zu zwingen, seines Vaters absurden Turm zu loben – die Pyramide Krugs beliebte Manuel sie insgeheim zu nennen –, doch dann war da noch die Geschichte mit dem abstürzenden Block gewesen, der die Androiden erschlug. Ein häßlicher Zwischenfall.
Clarissa war einem hysterischen Ausbruch nahe gewesen. »Schau nicht hin«, sagte Manuel zu ihr, legte die Arme um sie, als der Wandschirm im Kontrollzentrum zeigte, wie der Block von den Leichen gehoben wurde. Zu Spaulding sagte er: »Ein Beruhigungsmittel. Schnell.«
Der Ektogene reichte ihm eine Injektionskapsel. Manuel drückte die Spitze des Glasröhrchens gegen Clarissas Arm und betätigte den Abzug. Ultraschallwellen jagten die Droge durch ihre Haut ins Gewebe.
»Sind sie tot?« fragte sie, den Kopf noch immer abgewandt.
»Es sieht so aus. Vielleicht hat einer überlebt. Die ändern merkten nicht mehr, daß sie etwas traf.«
»Die armen Menschen!«
»Keine Menschen«, sagte Leon Spaulding. »Androiden. Nur Androiden.«
Clarissa hob den Kopf. »Androiden sind Menschen!« sagte sie schrill. »Ich will so etwas nie wieder hören! Haben sie nicht Namen, Gefühle, Persönlichkeit…«
»Clarissa«, unterbrach Manuel sie.
»…Träume?« fuhr sie unbeirrt fort. »Natürlich sind sie Menschen. Es waren Menschen, die soeben unter diesem Block starben. Wie konnten Sie, gerade Sie, eine solche Bemerkung machen über…«
»Clarissa!« sagte Manuel beschwichtigend.
Spaulding sah sie starr an. Der Ektogene war bleich vor Wut, doch er beherrschte sich.
»Es tut mir leid«, murmelte Clarissa und blickte zu Boden. »Ich wollte nicht persönlich werden, Leon. Ich… ich, mein Gott, Manuel, warum mußte so etwas gerade jetzt geschehen?« Sie begann wieder zu schluchzen. Manuel winkte nach einer weiteren Beruhigungskapsel, doch sein Vater schüttelte den Kopf, trat zu ihnen, führte sie von ihm weg.
Krug nahm die zierliche Frau in seine mächtigen Arme, drückte sie an seine breite Brust. »Ruhig«, sagte er. »Ruhig, ruhig. Es ist ein entsetzlicher Unfall, ja. Aber sie haben nicht gelitten. Sie waren auf der Stelle tot. Thor wird sich um die Verletzten kümmern. Er wird ihr Schmerzzentrum abschalten, und sie werden nicht mehr leiden. Arme Clarissa, arme, arme Clarissa… du hast wohl noch nie jemand sterben sehen? – Es ist schrecklich, wenn es so plötzlich geschieht, ich weiß, ich weiß.« Er tröstete sie zärtlich, streichelte ihr langes seidiges Haar, tätschelte sie, küßte ihre feuchten Wangen. Manuel sah erstaunt zu. Er hatte seinen Vater nie zuvor in seinem Leben so zärtlich erlebt.
Aber natürlich war Clarissa etwas Besonderes für den alten Mann: das Instrument dynastischer Nachfolge. Sie sollte durch ihren festigenden Einfluß Manuel dazu bringen, seine Verantwortung zu akzeptieren, und sie hatte auch die Aufgabe, den Namen Krug zu verewigen. Es war paradox: Krug behandelte seine Schwiegertochter, als wäre sie eine zerbrechliche Porzellanpuppe, doch er erwartete mit unverschämter Selbstverständlichkeit, daß sie ihm starke Enkel gebären würde, um sich und seinen Namen fortzupflanzen.
Zu seinen Gästen sagte Krug: »Zu schlimm, daß wir die Besichtigung auf diese Weise beenden müssen. Aber zumindest haben wir alles gesehen, bevor es geschah. Senator, meine Herren, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie gekommen sind, meinen Turm zu sehen. Ich hoffe, Sie kommen wieder, wenn er weiter fortgeschritten ist. Gehen wir jetzt.«
Clarissa schien jetzt etwas beruhigt. Es verdroß Manuel, daß nicht er, sondern sein Vater sie besänftigt hatte.
Er griff nach ihrem Arm und sagte: »Ich denke, Clarissa und ich gehen zurück nach Kalifornien. Ein paar Tage mit mir am Strand, und sie wird sich wohler fühlen. Wir…«
»Du wirst heute nachmittag in Duluth erwartet«, sagte Krug eisig.