… vier Basen oder chemische Untereinheiten, geordnet in variierenden Kombinationen, bilden den Code – Adenin, Guanin, Urazil, Cytosin…
… in diesen Bottichen – Sie können sich fast vorstellen, wie sie in ihnen die Ketten bilden… übermittelt das RNA die DNA-Informationen… die Proteinsynthese wird gesteuert von Zellenteilchen, Robosome genannt, die zur Hälfte aus Protein und zur Hälfte aus RNA bestehen… Adenin, Guanin, Urazil, Cytosin – der Code für jedes einzelne Protein wird vermittelt durch ein Gen, und der Code, übernommen von dem Muster-RNA, nimmt die Form einer Reihe von Dreierbuchstabengruppen der vier RNA-Grundstoffe an… können Sie mir folgen?«
»Ja, sicher«, nickte Manuel und sah Lilith In den Bottichen schwimmen.
»Wie hier. Adenin, Adenin, Cytosin. Cytosin, Cytosin, Guanin. Urazil, Urazil, Guanin. AAC, CCG, UUG… es klingt fast liturgisch, nicht wahr, Mr. Krug? Wir haben sechsundvierzig Kombinationen von RNA-Grundstoffen, mit denen wir die zwanzig Aminosäuren spezifizieren können – ein richtiges Vokabular! Ich könnte Ihnen die ganze Liste vorsingen, während wir durch diese Halle fahren. AAA, AAG, AAC, AAU, AGA, AGG, AGC, AGU, ACA…«
Der Alpha, der eben mit ihnen fuhr, hustete und preßte sich die Hand auf den Magen.
»Ja?« sagte Bompensiero.
»Ein plötzlicher Krampf«, sagte der Alpha. »Eine Verdauungsstörung. Verzeihen Sie mir.«
Bompensiero wandte seine Aufmerksamkeit wieder Manuel zu. »Nun, es ist nicht nötig, alle Sequenzen zu zitieren. Und so, sehen Sie, setzen wir die Proteine zusammen, bauen die lebenden Moleküle genauso auf, wie es in der Natur geschieht, abgesehen davon, daß der Prozeß in der Natur aufgelöst wird durch die Fusion der geschlechtlichen Fortpflanzungszellen, während wir die genetischen Bausteine synthetisieren. Wir folgen natürlich dem menschlichen genetischen Muster, da wir ein menschlich aussehendes Endprodukt haben wollen, doch wenn wir wollten, könnten wir Schweine, Kröten, Pferde, Centauren-Proteide, jede gewünschte Lebensform synthetisieren. Wir wählen unseren Code, wir arrangieren unser RNA, und es geht los! Das Muster unseres Endproduktes erscheint genauso wie geplant.«
»Natürlich«, sagte der Alpha, »folgen wir dem menschlichen genetischen Code nicht in jeder Beziehung.«
Bompensiero nickte heftig. »Mein Mitarbeiter bringt hier einen wichtigen Punkt zur Sprache. In den ersten Tagen der Androidensynthese beschloß Ihr Vater, daß – offenbar aus soziologischen Gründen – Androiden sofort erkennbar sein müßten als synthetische Geschöpfe. So führten wir bestimmte genetische Modifikationen durch. Der rote Teint, das Fehlen von Körperbehaarung, das abweichende Hautgewebe, all das ist in der Hauptsache aus Gründen der Identifizierung abgeändert worden. Dann gibt es Modifikationen, die programmiert sind für größere körperliche Leistungsfähigkeit. Wenn wir schon die Rolle von Schöpfern spielen können, warum sollten wir es nicht im Hinblick auf größte Effizienz tun?«
Der Direktor kicherte diskret.
»Warum nicht?« nickte Manuel.
»Weg also mit dem Blinddarm. Die Knochenstruktur des Rückens und des Beckens geändert, um alle Schwierigkeiten zu eliminieren, die unsere fehlerhafte Konstruktion verursacht. Die Sinne geschärft. Das Optimum an Gleichgewicht zwischen Fett und Muskeln, an physischer Schönheit, an Ausdauer, an Schnelligkeit, an Reflexen programmiert. Warum häßliche Androiden schaffen? Warum träge? Warum unbeholfene?«
»Würden Sie sagen«, fragte Manuel, »daß Androiden normal geborenen Menschen physisch überlegen sind?«
Bompensiero war sichtlich verlegen. Er zögerte, als ob er versuchte, seine Antwort nach allen politischen Aspekten abzuwägen, da er nicht wußte, welchen Standpunkt Manuel in der umstrittenen Frage der androiden Bürgerrechtsfrage einnahm. Schließlich sagte er: »Ich glaube, es besteht kein Zweifel hinsichtlich ihrer physischen Überlegenheit. Wir haben unsere Produkte von Anfang an so programmiert, daß sie stark, gutaussehend und gesund sind. Bis zu einem gewissen Ausmaß haben wir dies während der letzten Generationen auch mit den Menschen getan, doch hier haben wir nicht den gleichen Grad an Kontrolle, oder wir haben zumindest nicht versucht, ihn zu erreichen, mit Rücksicht auf humanitäre Einwände, auf die Opposition der Absterbe Partei und so weiter. Wenn Sie jedoch bedenken, daß Androiden steril sind, daß die Intelligenz der meisten von ihnen ziemlich niedrig ist, daß selbst die Alphas – «, er warf einen flüchtigen Blick auf seinen Abteilungsleiter, »verzeihen Sie, mein Freund – relativ wenig kreative Fähigkeiten gezeigt haben…«
»Ja«, sagte Manuel. »Gewiß.« Er deutete in die Halle hinunter. »Was geschieht dort unten?«
»Das sind die Nachbildungskessel«, erwiderte Bompensiero. »Die Ketten der Kernzellmaterie werden hier geteilt und vermehrt. Jeder Kessel enthält gewissermaßen eine Suppe von neu entstandenen Zygoten in der Startphase, produziert mit Hilfe unserer Proteinaufbauverfahren anstatt durch den sexuellen Prozeß der Vereinigung geschlechtlicher Fortpflanzungszellen. Drücke ich mich klar genug aus?«
»Vollkommen klar«, erwiderte Manuel, fasziniert auf die bewegungslose rosafarbene Flüssigkeit in den großen runden Tanks hinabstarrend. Er glaubte kleine Stücke lebender Materie in ihnen zu sehen, doch er wußte, daß es eine Täuschung war.
Der Wagen glitt geräuschlos weiter.
»Dies sind die Zuchtkammern«, sagte Bompensiero, als sie die nächste Abteilung erreicht hatten und hinunterblickten auf Reihen schimmernder Metallbehälter, die miteinander verbunden waren durch ein kompliziertes System von Röhren. »Sie sind im Grunde künstliche Gebärmütter, und jede von ihnen enthält ein Dutzend Embryos in einer Nährlösung. Wir produzieren Alphas, Betas und Gammas hier in Duluth – die ganze Androidenkollektion. Die qualitativen Unterschiede zwischen den drei Klassen werden während des Synthetisierungsprozesses eingebaut, doch wir ergänzen die Differenzierung auch durch unterschiedliche Ernährung. Dies sind die Alphakammern, dort unten links. Rechts sind die Betakammern. Im nächsten Raum befinden sich ausschließlich Gammakammern.«
»Wie ist das Zahlenverhältnis?«
»Auf einen Alpha kommen 100 Betas und 1000 Gammas. Ihr Vater hat dieses Verhältnis am Anfang festgelegt, und es ist nie geändert worden; es entspricht genau den menschlichen Bedürfnissen.«
»Mein Vater ist ein Mann von großer Voraussicht«, nickte Manuel.
Er fragte sich, wie die Erde jetzt sein würde, wenn das Krug-Kartell ihr keine Androiden geschenkt hätte. Vielleicht nicht sehr viel anders. Statt einer kleinen, kulturell homogenen, von Computern, mechanischen Robotern und gehorsamen Androiden bedienten menschlichen Elite gäbe es vielleicht eine kleine, kulturell homogene, nur von Computern und mechanischen Robotern bediente menschliche Elite. In beiden Fällen würde der Mensch des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts ein bequemes Leben führen.
Gewisse Trends hatten sich in den letzten Jahrhunderten etabliert, lange bevor der erste unbeholfene Android aus seinem Zuchtbehälter herausstolperte. Gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts hatte ein starker Bevölkerungsrückgang eingesetzt; Kriege und Revolutionen hatten Millionen Zivilisten in Asien und Afrika gefordert; Hungersnöte und Seuchen hatten diese Kontinente, sowie Südamerika und den Nahen Osten heimgesucht, und in den Industrieländern hatten sozialer Druck, hohe Lebenshaltungskosten, steigende Mieten und die allgemeine Verbreitung sicherer Empfängnisverhütungsmittel die gleiche Wirkung hervorgerufen. Innerhalb von zwei Generationen hatten diese Faktoren zu einer rapiden Abnahme der Weltbevölkerung geführt.
Das fast vollkommene Verschwinden des Proletariats war eine der Folgen dieser Entwicklung gewesen. Da der Bevölkerungsrückgang von der Ersetzung des Menschen durch Maschinen bei allen Formen untergeordneter Arbeit begleitet war, wurden diejenigen, die nicht fähig waren, zu der neuen Gesellschaftsform Wesentliches beizutragen, durch sozialen Druck entmutigt, sich fortzupflanzen. So nahm der Anteil der ungebildeten und nicht schöpferisch veranlagten Menschen von Generation zu Generation rasch ab, und dieser Ausleseprozeß wurde zunächst unauffällig und dann – groteskerweise – offen unterstützt von wohlmeinenden Beamten, der Ämter für Arbeits- und Bevölkerungsplanung, die den Segen der Empfängnisverhütung keinem Bürger verweigern wollten. Als dieser Bevölkerungsanteil zu einer Minderheit zusammengeschmolzen war, wurde der Trend noch durch die ›Genetischen Gesetze‹ verstärkt. Denjenigen, die man für gesellschaftspolitisch untauglich hielt, wurde die Geburtserlaubnis entzogen, jenen, die gerade die Mindestnorm erreichten, wurden höchstens zwei Kinder pro Ehepaar bewilligt, und nur diejenigen, die über der Norm lagen, durften sich mit beliebig hoher Nachkommenschaft fortpflanzen. Damit wurde zwar das Problem der Überbevölkerung gelöst, dafür aber ein neues geschaffen: ein empfindlicher Mangel an Arbeitskräften In allen Dienstleistungsbranchen, um so mehr, als der Lebensstandard in dem Maße stieg wie die Weltbevölkerung abnahm.