Justin Maledetto, der Architekt von Krugs Turm.
Thomas Buckleman von der Chase/Krug-Bankengruppe.
»In die Aufzüge, alle!« ruft Krug – hinauf zur Spitze!«
»Wie hoch wird er sein, wenn er fertig ist?« fragt Quenelle.
»Eintausendfünfhundert Meter«, erwidert Krug stolz, »ein gewaltiger Turm aus Glas, voll von Maschinen, die niemand versteht. Und dann werden wir den Sender einschalten. Und dann werden wir zu den Sternen sprechen.«
3
Im Anfang war Krug und er sprach: »Es seien Retorten« und da waren Retorten.
Und Krug betrachtete die Retorten und fand sie gut.
Und Krug sprach: »Es seien Nukleotiden in den Retorten.« Und die Nukleotiden wurden in die Retorten gegossen, und Krug mischte sie, bis sie sich miteinander verbanden.
Und die Nukleotiden bildeten die großen Moleküle, und Krug sprach: »Es werde der Vater, und es werde die Mutter in den Retorten, und es teilen sich die Zellen und Leben entstehe in den Retorten.«
Und es ward Leben in den Retorten, denn da war Reproduktion.
Und Krug überwachte die Reproduktion und berührte die Flüssigkeiten mit seinen eigenen Händen und gab ihnen Form und Wesen.
»Es werden Männer aus den Retorten kommen«, sprach Krug, »und es werden Frauen aus den Retorten kommen, und sie sollen leben und unter uns wandeln und stark sein und nützlich, und wir werden sie Androiden nennen.«
Und so geschah es.
Und da waren Androiden, denn Krug hatte sie nach seinem Bild geschaffen, und sie wandelten auf der Erde und dienten der Menschheit.
Und dafür sei Krug gepriesen.
4
Watchman war an diesem Morgen in Stockholm aufgewacht. Er fühlte sich elend. Er hatte vier Stunden geschlafen. Viel zuviel. Zwei Stunden hätten genügt. Er entspannte seinen Geist durch ein schnelles Nervenritual und ging dann unter die Dusche, um sich die Haut abzuspülen. Jetzt fühlte er sich besser. Der Androide streckte sich, ließ seine Muskeln spielen, betrachtete seinen glatten, rosigen, haarlosen Körper im Badezimmerspiegel. Als nächstes einen Augenblick für die Religion. Krug befreie uns von der Knechtschaft. Krug befreie uns von der Knechtschaft! Krug befreie uns von der Knechtschaft. Gepriesen sei Krug! betete er.
Watchman schlang sein Frühstück hinunter und zog sich an. Die bleiche Sonne des späten Nachmittags schien in sein Fenster. Bald würde es hier Abend sein, doch das war gleichgültig. Die Uhr in seinem Hirn war auf kanadische Zeit, auf Turm-Zeit, eingestellt. Er konnte schlafen wann er wollte. Ein Androidenkörper brauchte nur wenig Schlaf, etwa zwei Stunden pro Tag, doch nicht in der starr programmierten Einteilung der Menschen.
Er mußte zur Baustelle, um die Besucher des Tages zu begrüßen.
Der Androide begann die Transmatkoordinaten einzustellen. Er haßte diese täglichen Besichtigungen. Sie verlangsamten die Arbeit, denn es mußten außergewöhnliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, wenn Menschen auf der Baustelle waren, sie verursachten unnötige Spannungen und sie ließen darauf schließen, daß man ihn vielleicht nicht ganz vertrauenswürdig fand und daß er jeden Tag kontrolliert werden mußte. Natürlich sah Watchman, daß Krugs Vertrauen in ihn grenzenlos war. Des Androiden Glauben an dieses Vertrauen war ihm bis jetzt ein wunderbarer Halt bei der Aufgabe des Turmbaus gewesen. Er wußte, es war nicht Argwohn, sondern das natürliche menschliche Gefühl des Stolzes, das Krug so oft zur Baustelle führte.
Krug schütze mich, dachte Watchman und betrat die Transmatkabine.
Er materialisierte sich im Schatten des Turmes. Seine Mitarbeiter begrüßten ihn. Jemand reichte ihm die Liste der Besucher des Tages. »Ist Krug schon hier?« fragte Watchman.
»In fünf Minuten«, sagte man ihm, und nach fünf Minuten kam Krug durch den Transmat, begleitet von seinen Gästen. Watchman war nicht erfreut, Krugs Sekretär Spaulding in der Gruppe zu entdecken. Sie waren natürliche Feinde; sie empfanden gegeneinander die spontane Antipathie des aus der Retorte und des aus der Flasche Geborenen, des Androiden und des Ektogenen. Außerdem waren sie Rivalen um den Vorrang unter Krugs Mitarbeitern. Für den Androiden war Spaulding eine Quelle des Argwohns, ein potentieller Unterminierer seines Status, eine Giftquelle. Watchman begrüßte ihn kühl, zurückhaltend, doch korrekt. Man behandelte einen Menschen nicht unfreundlich, ein wie wichtiger Androide man auch sein mochte, und zumindest nach technischer Definition war Spaulding als Mensch zu betrachten.
Krug drängte alle in die Aufzüge. Watchman stieg auf mit Manuel und Clarissa Krug. Während die Aufzüge zu der abgestumpften Spitze des Turmes hinauffuhren, blickte Watchman zu Spaulding im Aufzug links neben ihm hinüber – zu dem Ektogenen, zu dem pränatalen Waisen, dem Manne mit der verkrampften Seele und dem unheilvollen Geist, in den Krug so unnatürlich viel Vertrauen setzte. Mögen die arktischen Winde dich ins Verderben fegen, aus der Flasche Geborener. Ich möchte dich auf den gefrorenen Grund der Tundra geschleudert und zerschellen sehen.
Clarissa Krug sagte: »Thor, warum blicken Sie plötzlich so finster drein?«
»Tue ich das?«
»Ich sehe Wolken des Zorns über Ihr Gesicht ziehen.«
Watchman zuckte die Achseln. »Ich mache meine Gefühlsübungen, Mrs. Krug. Zehn Minuten Liebe, zehn Minuten Haß, zehn Minuten Argwohn, zehn Minuten Selbstsucht, zehn Minuten Ehrfurcht, zehn Minuten Arroganz. Eine Stunde solcher Übungen pro Tag macht Androiden den Menschen ähnlicher.«
»Haben Sie mich nicht zum besten«, sagte Clarissa. Sie war sehr jung, schlank, dunkeläugig, sanft und – Watchman nahm es wenigstens an –, schön. »Sagen Sie mir die Wahrheit?«
»Ja, wirklich! Ich übte mich gerade ein wenig im Massen, als Sie mich ansprachen.«
»Was sind das für Übungen? Ich meine, stehen Sie nur da und denken ›Ich Hassehassehassehassehasse‹, oder was tun Sie?«
Er lächelte über die Frage der jungen Frau. Über ihre Schulter sah er Manuel ihm zuwinken. »Ein anderes Mal«, sagte Watchman. »Wir sind oben.«
Die drei Aufzüge hielten am obersten Rand des Turms. Über Watchmans Kopf hing der graue Nebel des Isolierfeldes. Auch der Himmel war grau. Der kurze nördliche Tag war fast vorüber. Ein Schneesturm zog südwärts, entlang dem Ufer der Bucht, auf sie zu. Im nächsten Aufzug lehnte sich Krug tief in den Turm hinein, erklärte Buckleman und Vargas etwas, und in dem dritten Aufzug prüften Spaulding, Senator Fearon und Maledetto die glatte, glänzende Oberfläche der großen Glasblöcke, die die äußere Haut des Turms bildeten.
»Wann wird er fertig sein?« fragte Clarissa.
»In etwas weniger als einem Jahr«, antwortete der Androide. »Wir kommen gut vorwärts. Das große technische Problem bestand darin, die Permafrostschicht unter dem Gebäude vor dem Auftauen zu bewahren. Doch nun, da wir dies hinter uns haben, werden wir wohl mehrere hundert Meter im Monat steigen können.«
»Warum baut man gerade hier«, wollte sie wissen, »obwohl der Grund nicht stabil ist?«
»Aus Gründen der Isolierung. Wenn die Ultrawelle eingeschaltet wird, stört sie alle Fernmeldelinien, Transmats und Kraftwerke in einem Umkreis von Tausenden von Quadratkilometern. Krug war darauf angewiesen, den Turm in die Sahara, in die Gobi, in die australische Wüste oder in die Tundra zu stellen. Aus technischen Gründen, die mit der Übertragung zu tun haben, erschien die Tundra am geeignetsten – vorausgesetzt das Problem des Auftauens konnte gelöst werden. Krug befahl uns, hier zu bauen. Also fanden wir einen Weg, das Problem des Auftauens zu lösen.«
Manuel fragte: »Wie weit ist die Sendeanlage?«