ANTRAG AUF SCHADENERSATZ IST EINGEBRACHT VON LABRADOR-TRANSMAT-GESELLSCHAFT, EIGENTÜMERIN DER VERNICHTETEN ALPHA. BALDIGE EINIGUNG WIRD ERWARTET!
»Kehren wir zu den Syllogismen zurück«, sagte Manuel zu dem Würfel, den er in der Hand hielt. »Wenn alle Menschen Reptilien sind und Alpha-Androiden Reptilien sind…«
DIE SUMME DER TEILE IST GLEICH DEM QUADRAT DER HYPOTHESE
»Hört, was mein Würfel sagt!« rief Tennyson atemlos dazwischen.
KEUCHEND VOR VERLANGEN WARTET SIE AUF DIE ANKUNFT IHRES KOHLSCHWARZEN PARTNERS IN UNAUSSPRECHLICHER SÜNDE
»Mehr!« rief Guilbert. »Mehr!«
DESHALB BIST DU EIN REPTIL
»Können wir diese Dinger jetzt nicht weglegen?« fragte Manuel mürrisch.
TIEFE BEWEGUNG ZEIGEND, KLAGTE ALPHA SIEGFRIED FILECLERK KRUG AN, EINE SÄUBERUNG UNTER DEN VERFECHTERN DER ANDROIDENGLEICHHEIT ZU PLANEN.
»Ich glaube, das ist wirklich eine Nachrichtensendung«, murmelte Cadge Foster. »Ich habe von diesem Fileclerk gehört; er will eine Verfassungsänderung beantragen, die den Kongreß für Alphas öffnen soll und…«
WEINEND, WÄHREND DIE TOTE ALPHAFRAU IM SCHNEE NEBEN DER GEWALTIGEN MASSE DES TURMES LAG. EIN FAST MENSCHLICHES SCHAUSPIEL VON TRAUER.
»Genug«, sagte Manuel. Er machte Anstalten, seinen Würfel zu Boden zu schmettern, doch als er sah, daß die Botschaft sich änderte, betrachtete er ihn noch einmal.
VERSTEHST DU DEINE EIGENEN MOTIVE?
»Verstehst du die deinen?« fragte er kopfschüttelnd. Der Würfel erlosch. Er ließ ihn dankbar fallen. Der Alphawärter betrat die Unterkammer und begann, die Elektroden zu lösen.
»Sie können jetzt in den Schaltraum kommen, meine Herren«, sagte der Alpha lächelnd. »Die Programmierung ist vollendet, und das Stasisnetz ist bereit, Sie zu empfangen.«
16
Man hatte die Kapelle in ein Gebäude am äußeren Rand des Werkstättenbereichs verlegt, in eine Sektion, wo Werkzeuge repariert wurden. In weniger als zwei Stunden hatte man den Umzug reibungslos vollzogen; die neue Kapelle im Innern war von der alten nicht zu unterscheiden. Watchman fand ein Dutzend dienstfreier Betas vor, die sich einem Ritual der Weihe unterzogen, während einige Gammas zusahen. Keiner sprach zu ihm oder schaute ihn auch nur direkt an. In der Gegenwart eines Alphas beachteten sie alle gewissenhaft den Kodex des sozialen Abstands. Watchman betete kurz unter dem Hologramm von Krug. Seine Seele war nach einer Weile etwas erleichtert, doch die seit dem langen Gespräch mit Siegfried Fileclerk auf ihm lastende Spannung ließ nicht nach. Sein Glaube hatte nicht gewankt unter den scharfen pragmatischen Angriffen Fileclerks, doch während sie neben der Leiche von Kassandra Nucleus standen, hatte Watchman einige Augenblicke lang ein Gefühl der Verzweiflung empfunden. Fileclerk hatte einen wunden Punkt berührt: Krugs Haltung angesichts der Ermordung der Alphafrau. Krug hatte so wenig innere Bewegung gezeigt. Gewiß, er war verärgert gewesen… aber waren es nicht nur die zu erwartende Ausgabe, die Unannehmlichkeit eines Prozesses gewesen, die ihn mißmutig gemacht hatten? Watchman hatte sich mit metaphysischen Überlegungen getröstet, doch er war verwirrt. Warum war Krug nicht erschüttert worden durch den Mord? Wo war ein Zeichen der Gnade? Wo war die Hoffnung der Erlösung? Wo war das Mitgefühl des Schöpfers?
Das Schneetreiben ließ nach, als Watchman die Kapelle verließ. Die Nacht war hereingebrochen, mondlos, mit unerträglich hell funkelnden Sternen. Ein scharfer Wind fegte über die flache, baumlose Ebene, auf der das Baugelände lag. Siegfried Fileclerk war gegangen; auch die Leiche von Kassandra Nucleus war verschwunden. Lange Reihen von Arbeitern standen vor den Transmatkabinen, denn es war Schichtwechsel. Watchman kehrte in das Kontrollzentrum zurück. Euklid Planner, seine Ablösung, war schon da.
»Ich bin dran«, sagte Planner. »Du bist lang geblieben heute abend.«
»Ein komplizierter Tag. Hast du von dem Mord gehört?«
»Natürlich. Labrador-Transmat hat die Herausgabe des Leichnams gefordert. Es wimmelt hier nur so von Anwälten.« Planner setzte sich in den Sessel vor dem Kontrollpunkt. »Ich habe gehört, die Kapelle ist verlegt worden.«
»Wir mußten es tun. Damit hat alles angefangen… Spaulding interessierte sich zu sehr für die Kapelle. Es ist eine lange Geschichte.«
»Ich habe davon gehört«, sagte Euklid Planner. Er begann, sich an den Computer anzuschließen. »Daraus werden sich Probleme ergeben. Als ob wir noch nicht genug Probleme hätten. Geh mit Krug, Thor.«
»Geh mit Krug«, murmelte Watchman und ging hinaus.
Die wartenden Arbeiter von der Transmatanlage machten ihm Platz. Er betrat die Kabine, ließ sich von dem grünen Energiefeld aufnehmen und in seine Dreizimmerwohnung in Stockholm tragen, in dem von Alphas bevorzugten Teil des Androidenviertels. Die private Transmatkabine war ein seltenes Privileg, ein Kennzeichen dafür, wie sehr Krug ihn schätzte. Er kannte keinen anderen Androiden, der einen Privatanschluß besaß. Doch Krug hatte darauf bestanden, daß Watchman einen erhielt, damit er in der Lage war, seine Wohnung jederzeit auf Abruf in Sekundenschnelle verlassen zu können, und hatte die Kabine installieren lassen.
Er fühlte sich erschöpft und leer. Er programmierte sich für zwei Stunden Schlaf, zog sich aus und legte sich nieder.
Als er aufwachte, war er ebenso müde wie zuvor. Das war ungewöhnlich. Er entschloß sich, sich eine weitere Stunde Ruhe zu gönnen und schloß die Augen. Als er sich dem Schirm zuwandte, sah er Lilith Meson. Schläfrig machte er das Krug-sei-gelobt-Zeichen.
Ihr Blick war düster. Sie sagte: »Kannst du in die Valhallavägen-Kapelle kommen, Thor?«
»Jetzt?«
»Jetzt, wenn du kannst. Es herrscht große Verwirrung hier. Die Sache mit Kassandra Nucleus… wir wissen nicht, was wir davon halten sollen, Thor.«
»Warte«, sagte er, »ich bin gleich da.« Er zog sich an, stellte die Transmatkoordinaten der Valhallavägen-Kapelle ein und sprang. Es waren fünfzig Meter zu gehen von der Kabine bis zur Kapelle. Transmatkabinen wurden nie innerhalb einer Kapelle installiert. Ein grauer Morgen begann zu dämmern. Auch hier hatte es in der Nacht geschneit. Schnee lag auf den tiefen Fensterbrüstungen der alten Gebäude.
Die Kapelle befand sich in einer Erdgeschoßwohnung an der Ecke. Etwa fünfzehn Androiden waren anwesend, alle Alphas; die unteren Klassen benutzten selten die Valhallavägen-Kapelle, obwohl es ihnen erlaubt war. Betas fühlten sich unbehaglich in ihr, und Gammas zogen es vor, ihre Andachten im Gammaviertel abzuhalten, am anderen Ende der Stadt.
Watchman erkannte einige der berühmtesten Mitglieder seiner Klasse in der Gruppe. Er erwiderte die Grüße der Dichterin Andromeda Quark, des Historikers Mazda Constructor, des Theologen Pontifex Dispatcher, des Philosophen Krishna Guardsman und mehrerer anderer, die zur Elite der Alphas gehörten. Alle schienen bedrückt zu sein. Als Watchman das Krug-sei-gepriesen-Zeichen machte, erwiderten die meisten von ihnen die Geste halbherzig und flüchtig.
Lilith Meson sagte: »Verzeih uns, daß wir deine Ruhe unterbrochen haben, Thor. Doch wie du siehst, ist eine wichtige Konferenz im Gange.«
»Wie kann ich helfen?«
»Du warst Zeuge bei der Ermordung der Alpha Kassandra Nucleus«, sagte der Pontifex Dispatcher. Er war schwer, behäbig, ein Androide von würdiger und imponierender Haltung, der aus einer der frühesten Serien der Androidenfabrikation kam. Er hatte eine wichtige Rolle gespielt bei der Begründung ihrer Religion. »Wir haben eine theologische Krise«, fuhr Dispatcher fort. »Angesichts der von Siegfried Fileclerk erhobenen Anklage…«
»Anklage? Ich habe nichts davon gehört.«