»Kümmern Sie sich um Quenelle«, sagte Krug. »Sie kommt unten an. Unterhalten Sie sie. Ich will für mindestens eine Stunde nicht gestört werden.«
Spaulding ging hinaus. Krug schloß die Augen.
Das Fallen des Blocks hatte ihn in höchstem Maße beunruhigt. Es war nicht der erste Unfall, der sich während des Turmbaues ereignet hatte; es würde wahrscheinlich nicht der letzte sein. Leben hatte es gekostet, zwar nur Androidenleben, gewiß, aber dennoch Leben. Die Vergeudung von Leben, von Energie und von Zeit machte ihn rasend. Wie sollte der Turm steigen, wenn Blöcke abstürzten? Wie sollte er Botschaften ins All schicken, daß der Mensch existierte, wenn es keinen Turm gab?
Krug litt. Krug fühlte sich der Verzweiflung nahe, angesichts der ungeheuren Größe seiner selbstauferlegten Aufgabe.
In Augenblicken der Müdigkeit und der Anspannung wurde er sich schmerzhaft der Rolle seines Körpers als einem Gefängnis seiner Seele bewußt. Seine Bauchfalten, die ständigen Anfälle von Nackenverkrampfung, das häufige Zucken seines linken oberen Augenlids, der stete Druck auf der Blase, seine zunehmende Heiserkeit, das Knacken in den Kniescheiben, jede Andeutung von Sterblichkeit wirkte auf ihn wie ein Alarmsignal. Sein Körper erschien ihm oft als etwas Absurdes, wie ein Sack aus Haut und Fleisch und Knochen, Blut und Kot und verschiedenen Seilen und Schnüren, erschlaffend im Fluß der Zeit, verfallend von Jahr zu Jahr, von Stunde zu Stunde. Was war edel an einem solchen Haufen Protoplasma? Die Sinnlosigkeit der Fingernägel? Die Albernheit der Nasenlöcher? Die Lächerlichkeit der Ellbogen? Doch unter der Schädeldecke tickte das wachsame graue Gehirn wie eine im Schlamm vergrabene Bombe. Krug verachtete sein Fleisch, doch er empfand Ehrfurcht vor seinem Gehirn und vor dem menschlichen Gehirn an sich. Sein wahres Wesen hatte seinen Sitz in den Falten und Windungen dieses weichen Gewebes, sonst nirgends, nicht in den Eingeweiden, nicht in den Lenden, nicht in der Brust, nicht Im Herzen, sondern allein im Geist. Der Körper verfaulte, während sein Besitzer ihn noch trug; der Geist in ihm schwang sich auf zu den fernsten Galaxien.
»Massage«, befahl Krug.
Der schroffe Tonfall seines Befehls veranlaßte einen leicht vibrierenden Tisch, aus der Wand herauszufahren. Drei weibliche Androiden, ständig auf Abruf bereit, betraten den Raum. Ihre geschmeidigen Körper waren nackt; sie waren Gamma-Standardmodelle und sahen aus wie Drillinge, bis auf die üblichen, kleinen programmierten somatotypologischen Unterschiede. Sie hatten kleine hochstehende Brüste, flache Bäuche, schmale Taillen, ausladende Hüften, pralle Gesäße. Sie hatten Haare auf den Köpfen und sie hatten Augenbrauen, aber sonst waren sie ohne Körperbehaarung, was ihnen trotz aller weiblichen Formen ein gewisses geschlechtsloses Aussehen verlieh; doch das weibliche Geschlechtsorgan zwischen den Beinen war vorhanden, und wenn jemand Lust dazu hatte, konnte er in diesem Genital eine echter sexueller Lust ähnliche Ersatzbefriedigung finden. Er selbst hatte es nie getan. Doch Krug hatte mit Absicht ein Element von Sinnlichkeit in seine Androiden einprogrammiert. Er hatte ihnen funktionelle – wenn auch sterile – Genitalien geschenkt, wie er ihnen auch richtige – wenn auch sinnlose – Nabelgruben geschenkt hatte. Er wollte, daß seine Geschöpfe menschlich aussahen (bis auf die erforderlichen Abweichungen) und sich so menschlich wie möglich benahmen. Seine Androiden waren keine Roboter. Es war seine Absicht gewesen, synthetische Menschen zu schaffen, keine Maschinen.
Die drei Gammas hatten ihn flink entkleidet und bearbeiteten ihn mit kundigen Fingern. Krug lag auf dem Bauch; unermüdlich kneteten sie sein Fleisch und massierten seine Muskeln. Erstarrte durch die Leere seines Büros auf die Bilder an der gegenüberliegenden Wand.
Der Raum war einfach, ja nüchtern möbliert; er war ein langgezogenes Rechteck und enthielt einen Schreibtisch, ein Datenausgabegerät, eine kleine melancholische Skulptur und eine dunkle Leinwand, die bei einem Druck auf einen Repolarisationsknopf das Panorama der tief unten liegenden City von New York zeigte. Die indirekte und gedämpfte Beleuchtung hielt das Büro in einem ständigen Zwielicht. An einer Wand jedoch leuchtete ein Muster in gelbem Licht:
Es war die Botschaft von den Sternen.
Das Observatorium von Vargas hatte sie zuerst aufgefangen, eine Reihe von schwachen Radioimpulsen auf 9100 Megahertz: zwei kurze Signale, eine Pause, vier Signale, eine Pause, ein Signal usw. Das Muster wurde über eine Zeitspanne von zwei Tagen eintausendmal wiederholt und verstummte dann. Einen Monat später meldete es sich auf 1421 Megahertz, der 21-Zentimeter-Frequenz des Wasserstoffs, und wieder genau eintausendmal, und einen weiteren Monat danach ebenfalls jeweils eintausendmal auf der Hälfte und dem Doppelten dieser Frequenz. Später war es Vargas gelungen, das Muster optisch zu verifizieren, einen starken Laserimpuls auf der Wellenlänge von 5000 Angström. Das Muster war immer wieder das gleiche, Bündel von kurzen Informationen zwischen regelmäßigen Intervallen: 2…4…1…2…5…1…3…1. Jeder Bestandteil der Reihe war vom nächsten getrennt durch eine deutliche Pause, und eine größere Pause trat ein zwischen den Wiederholungen der Gruppe der Impulsbündel.
Sicher handelte es sich um eine Botschaft. Für Krug war die Sequenz 2-4-1-2-5-1-3-1 eine heilige Zahl geworden, die Eröffnungssymbole einer neuen Kabbala. Das Muster stand nicht nur in Leuchtschrift an der Wand, er konnte es auch mittels Knopfdruck im Flüsterton und in mehreren hörbaren Frequenzen im Raum ertönen lassen, und die Skulptur neben seinem Schreibtisch war mit einer Vorrichtung versehen, die sie auf Wunsch im Rhythmus der Zahlensequenz aufleuchten ließ.
Er war von dem Signal besessen; sein Universum drehte sich nur noch um das Problem seiner Beantwortung. Nachts stand er, schwindlig von der Kaskade ihres Lichts, unter den Sternen, schaute hinauf zu den Galaxien und dachte: Ich bin Krug, Ich bin Krug, hier warte Ich, sprecht zu mir! Er schloß jede Möglichkeit aus, daß das Signal etwas anderes sein könnte als eine bewußt ausgesandte Botschaft intelligenter Lebewesen. Er hatte seine gesamte Energie auf die Aufgabe konzentriert, sie zu beantworten.
Aber besteht nicht die Möglichkeit, daß diese ›Botschaft‹ ein natürliches Phänomen ist?
Nein. Die Beharrlichkeit, mit der sie in dieser Vielfalt von Medien ankommt, zeigt ein lenkendes Bewußtsein, das hinter ihr steht. Jemand versucht, uns etwas zu sagen.
Welche Bedeutung haben diese Zahlen? Sind sie eine Art von galaktischem TL?
Wir sehen keine erkennbare mathematische Relevanz. Sie bilden keine erkennbare arithmetische Reihe. Kryptographen haben uns mindestens fünfzig gleich geniale Erklärungen geliefert, was alle fünfzig gleich verdächtig macht. Wir glauben, daß die Zahlen vollkommen willkürlich ausgewählt wurden.
Welchen Sinn hat eine Botschaft, die keinen verständlichen Inhalt besitzt?
Die Botschaft ist ihr eigener Inhalt. Ein Jodler durch die Galaxien. Sie sagt uns, schaut, wir sind hier, wir können senden, wir sind fähig zu rationalem Denken, wir suchen Kontakt mit euch!
Angenommen, Sie haben recht, welche Antwort wollen Sie geben?
Ich werde ihnen sagen: ›Hallo, hallo, wir hören euch, wir empfangen eure Botschaft, wir senden Grüße, wir sind intelligent, wir sind Menschen, wir wollen nicht länger allein sein im Kosmos!‹
In welcher Sprache werden Sie ihnen das sagen?