»Wie ist die Überprüfung des Lebensunterbrechungssystems verlaufen?«
»Die Tests sind abgeschlossen. Das System ist perfekt.«
»Und die Besatzung?«
»Wir haben acht Alphas im Training, alle erfahrene Piloten, und sechzehn Betas. Wir werden sie bei den verschiedenen Testflügen einsetzen und dann die endgültige Mannschaft aufgrund ihrer Leistungen zusammenstellen.«
»Ausgezeichnet«, sagte Krug.
In gehobener Stimmung begab er sich zum Turm, wo Alpha Euklid Planner die Nachtschicht leitete. Der Turm hatte elf Meter an Höhe zugenommen seit Krugs letztem Besuch. Es waren bemerkenswerte Fortschritte gemacht worden bei der Installierung des Kommunikationssystems. Krugs Stimmung steigerte sich noch mehr. In wärmende Kleidung verpackt, fuhr er zur Spitze des Turms hinauf, etwas, das er selten getan hatte in den letzten Wochen. Die rings um die Basis verstreuten Bauten sahen aus wie Spielzeughäuser und die Arbeiter wie winzige Insekten. Seine Freude an der erhabenen Schönheit des Turms wurde etwas getrübt, als in seiner Anwesenheit ein Beta durch eine plötzliche Windbö den Halt verlor und in die Tiefe geschleudert wurde; aber Krug verdrängte diesen Unglücksfall schnell aus seinem Bewußtsein. Solche tödlichen Unfälle waren bedauerlich, gewiß, aber jedes große Unternehmen der Weltgeschichte hatte seine Opfer gefordert.
Dann reiste er zu dem Observatorium von Vargas in der Antarktis. Hier verbrachte er mehrere Stunden. Vargas hatte in letzter Zeit keine neuen Daten aufgenommen, doch der Ort übte auf Krug eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Er genoß den Schauer, den die komplizierten Instrumente ihm einflößten, den Gedanken an die Entdeckung, die sie versprachen, und vor allem den direkten Kontakt, den sie ihm mit den Signalen von NGC 7293 verschafften. Diese Signale kamen immer noch an, und zwar wieder in der Form, wie sie vor mehreren Monaten entdeckt worden waren: 2-5-1, 2-3-1, 2-1. Vargas hatte inzwischen die neue Botschaft über Radio in mehreren Frequenzen und optisch empfangen. Krug verweilte länger als vorgesehen, lauschte dem Gesang, den die Apparate des Observatoriums unermüdlich von sich gaben, und als er aufbrach, piepten die Töne in seinem Kopf weiter ihren Rhythmus.
Krug setzte seine Inspektionsreise fort, sprang nach Duluth, wo er zusah, wie neue Androiden aus ihren Behältern gehoben wurden. Die Produktion lief auf Hochtouren. Seine Projekte brauchten Arbeitskräfte.
Nolan Bompensiero war nicht anwesend, die Spätschicht in Duluth wurde ausschließlich von Alphas überwacht. Krug ließ sich von einem durch die Fabrik führen. Die Produktionsrate schien höher zu sein als je, doch der Alpha bemerkte, daß sie nicht mit dem Bedarf schritthalten konnten.
Schließlich sprang Krug nach New York. In der Stille seines Büros arbeitete er durch bis zur Morgendämmerung, beschäftigte sich mit Problemen, die sich auf Callisto und Ganymed, In Peru und Martinique, auf dem Mond und auf dem Mars ergeben hatten. Der neue Tag begann mit einem herrlichen Wintersonnenaufgang, eindrucksvoll in seinem bleichen Licht, daß Krug versucht war, zum Turm zurückzueilen und ihn im Morgenrot glühen zu sehen. Doch er blieb im Büro. Der Stab begann einzutreffen: Spaulding, Lilith Meson und die restliche Belegschaft seines Hauptquartiers. Er las Memoranden, telefonierte, hielt Besprechungen ab. Von Zeit zu Zeit warf Krug einen Blick auf den Holovisionsschirm, den er kürzlich an der Innenwand seines Büros hatte installieren lassen, um die Arbeiten am Turm stets verfolgen zu können. Der Morgen war nicht so strahlend in der Arktis, schien es. Der Himmel hing voller Wolken; es sah aus, als ob es schneien wollte. Krug sah Thor Watchman inmitten eines Schwarms von Gammas, wie er die Montage eines riesigen Bestandteils der Sendeanlage überwachte. Er beglückwünschte sich, daß er Watchman zum Leiter der Arbeiten am Turm gemacht hatte. Gab es einen besseren Alpha auf der Welt?
Um 9.50 Uhr erschien Spauldings Bild auf dem Natrondampfprojektor. Der Ektogene sagte: »Ihr Sohn hat soeben aus Kalifornien angerufen. Er sagt, er bedaure, verschlafen zu haben und käme etwa eine Stunde später zu seiner Besprechung mit Ihnen.«
»Manuel? Verabredung?«
»Er sollte um 10.15 Uhr hier sein. Vor mehreren Tagen bat er, Sie möchten einen Termin für ihn offen halten.«
Krug hatte es vergessen. Das überraschte ihn. Es überraschte ihn nicht, daß Manuel sich verspätet hatte. Er und Spaulding stellten sein Morgenprogramm mit einiger Schwierigkeit so um, daß die Stunde von 11.15 Uhr bis 12.15 Uhr freiblieb für die Besprechung mit Manuel.
Um 11.23 Uhr traf Manuel ein.
Er sah abgespannt und etwas verkrampft aus, und er war seltsam gekleidet, obwohl man von Manuel in dieser Hinsicht einiges gewohnt war. Anstatt seines üblichen losen Gewandes trug er die engen Hosen und das Netzhemd eines Alphas. Sein langes Haar war straff nach hinten gekämmt und im Nacken zusammengeknotet. Er sah damit nicht gerade vorteilhaft aus; durch die Maschen seines Netzhemdes sah man die Behaarung seiner Brust, das einzige physische Merkmal, daß er von seinem Vater geerbt hatte.
»Ist es das, was die modischen jungen Männer jetzt tragen?« fragte Krug. »Alpha-Kleider?«
»Eine Laune, Vater. Kein Stil – noch nicht.« Manuel lächelte nervös. »Doch wenn man mich so sieht, nehme ich an, könnte es Mode machen.«
»Mir gefällt es nicht. Was hat es für einen Sinn, wie ein Android herumzulaufen?«
»Ich finde, es ist attraktiv.«
»Das finde ich nicht. Wie denkt Clarissa darüber?«
»Vater, ich bin nicht hierher gekommen, um mit dir über meine Kleidung zu sprechen.«
»Gut. Also, was willst du?«
Manuel legte einen Datenwürfel auf Krugs Schreibtisch. »Dieses Ding gelangte vor kurzem In meinen Besitz, als ich Stockholm besuchte. Würdest du es dir bitte anschauen?«
Krug nahm den Würfel, drehte ihn mehrere Male um und schaltete ihn ein. Er las:
Und Krug überwachte die Reproduktion und berührte die Flüssigkeiten mit Seinen eigenen Händen und gab ihnen Form und Wesen.
Es werden Männer aus den Retorten kommen, sagte Krug, und es werden Frauen kommen aus den Retorten und laßt sie leben und unter uns wandeln und stark und nützlich sein, und wir werden sie Androiden nennen.
Und so geschah es.
Und da waren Androiden, denn Krug hatte sie nach seinem eigenen Bild geschaffen und sie wandelten auf der Erde und dienten der Menschheit.
Und dafür sei Krug gepriesen.
Krug runzelte die Stirn. »Was, zum Teufel, ist das? Eine Art Roman? Ein Gedicht?«
»Eine Bibel, Vater«, sagte Manuel lakonisch.
»Was für eine verrückte Religion?«
»Die Androidenreligion«, nickte Manuel ernst. »Dieser Würfel wurde mir in einer Androidenkapelle im Betaviertel von Stockholm gegeben. Als Alpha verkleidet wohnte ich dort einem Gottesdienst bei. Die Androiden haben eine große religiöse Gemeinde gebildet, für die du, Vater, die Gottheit darstellst. Über dem Altar hängt ein lebensgroßes Hologramm von dir.« Manuel machte ein Zeichen. »Das ist das Zeichen für Krug-sei-gepriesen. Und dies« – er machte ein anderes Zeichen – »ist das Zeichen für Krug-erhalte-uns. Sie beten dich an, Vater.«
»Ein Witz! Der Einfall von Geisteskranken.«
»Eine weltweite Bewegung.«
»Mit wieviel Mitgliedern?«
»Der überwiegende Teil der Androidenbevölkerung.«
Finster fragte Krug: »Bist du dessen sicher?«
»Es gibt überall Kapellen. Eine steht auf dem Turmbaugelände verborgen unter den Werkgebäuden. Die Bewegung ist mindestens zehn Jahre alt – eine Untergrundreligion, die vor der Menschheit geheimgehalten wird und die Androiden in ihren Bann schlägt. Und zwar in einem Ausmaß, an das zu glauben mir nicht leichtfiel. Und das ist ihre Heilige Schrift.«