Schließlich sagte Krug: »Manuel, was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun?«
»Das liegt ganz an dir, Vater.«
»Aber du hattest doch etwas im Sinn. Du hattest ein Motiv, mir diesen Würfel zu bringen.«
»Hatte ich das?« fragte Manuel in schlecht verhehlter Unaufrichtigkeit.
»Dein alter Herr ist kein Dummkopf. Wenn er schlau genug ist, Gott zu sein, ist er auch schlau genug, in seinen eigenen Sohn hineinzuschauen. Du meinst, ich sollte tun, was die Androiden von mir verlangen. Ich sollte sie jetzt erlösen. Ich sollte das tun, was sie erwarten.«
»Vater, ich…«
»Vielleicht glauben sie, daß ich ein Gott bin, aber ich weiß, daß ich keiner bin. Der Kongreß nimmt keine Befehle von mir entgegen. Wenn du und dein Androidenliebchen und die anderen glauben, ich könnte auf eigene Faust den Status der Androiden ändern, dann schaut ihr euch alle besser gleich nach einem anderen Gott um. Nicht, daß ich ihren Status ändern würde, wenn ich es könnte. Wer gab ihnen diesen Status? Wer hat sie als erster verkauft? Maschinen sind sie. Maschinen! Synthetisch hergestellt aus Fleisch! Kluge Maschinen! Nicht mehr!«
»Du verlierst die Beherrschung, Vater. Du regst dich auf.«
»Du stehst auf ihrer Seite. Du bist ein Teil von ihnen. Das Ganze war beabsichtigt. So war es doch, Manuel! Mach, daß du rauskommst! Geh zurück zu deinem Plastikweib! Und du kannst ihr von mir sagen, kannst ihnen allen sagen, daß…« Krug fing sich wieder. Er wartete einen Augenblick, bis das Hämmern seines Herzens aufgehört hatte. Dies war die falsche Art, die Angelegenheit zu behandeln, das wußte er. Er durfte nicht blindlings handeln. Er mußte vorsichtig vorgehen und in voller Beherrschung der Fakten, wenn er hoffen wollte, mit dieser Sache fertig zu werden. Ruhiger sagte er: »Ich muß mehr über die Sache nachdenken, Manuel. Ich wollte dich nicht anbrüllen. Du mußt verstehen, wenn du hier hereinkommst und mir erzählst, ich sei ein Gott, und zeigst mir die Krugbibel, das muß mich schon ein wenig aus der Fassung bringen. Das mußt du verstehen. Laß mich nachdenken, sage zu niemandem etwas. Ich muß mit dieser Sache fertig werden.« Krug stand auf. Er reichte über den Schreibtisch und packte Manuels Schulter. »Dein alter Herr brüllt zu viel«, sagte er. »Er explodiert zu schnell. Das ist doch wohl nichts Neues für dich? Schau, vergiß, was ich gesagt habe. Du kennst mich. Du weißt, daß ich manchmal zu heftig reagiere. Laß mir die Bibel hier. Ich bin froh, daß du sie mir gebracht hast. Manchmal bin ich grob zu dir, mein Junge, aber ich meine es nicht so.« Krug lachte nervös. »Es muß nicht immer leicht sein, Krugs Sohn zu sein. Der Sohn Gottes. Sei vorsichtig. Du weißt, was sie mit dem letzten getan haben.«
Lächelnd sagte Manueclass="underline" »Ich habe bereits an ihn gedacht.«
»Ja, gut. Und jetzt geh! Wir bleiben in Verbindung.«
Manuel wandte sich zur Tür.
Krug sagte: »Grüße Clarissa von mir. Sieh, du mußt ihr gegenüber ein wenig fairer sein. Wenn du mit Alphafrauen schlafen willst, schlafe mit ihnen. Aber denk daran, daß du eine Frau hast. Denk daran, daß dein alter Herr Enkelkinder sehen will.«
»Ich vernachlässige Clarissa nicht«, sagte Manuel. »Ich werde ihr deine Grüße ausrichten.«
Er ging. Krug drückte den kühlen Würfel an seine glühenden Wangen. Im Anfang war Krug, und er sprach, es seien Retorten und da waren Retorten. Und Krug betrachtete die Retorten und fand sie gut. Ich sollte es vorausgesehen haben, dachte er. Ein entsetzliches Hämmern drohte ihm den Schädel zu sprengen.
Er rief Leon Spaulding an. »Sagen Sie Thor, ich wünsche, daß er sofort hierher kommt«, sagte Krug.
34
Als sich der Turm der Höhe von 1200 Meter näherte, sah sich Thor Watchman dem schwierigsten Teil des Unternehmens gegenüber. In dieser Höhe konnte nur noch eine minimale Toleranz bei der Verlegung der Blöcke zugelassen werden, und die molekulare Bindung mußte perfekt sein. Es durfte keinen schwachen Punkt geben, wenn der obere Teil des Turms mit seiner Elastizität dem Wüten arktischer Stürme standhalten sollte. Watchman verbrachte jetzt jeden Tag stundenlang an den Computer angeschlossen und empfing die Kontrolldaten direkt von den Fugenabtastern, die das Verlegen der Blöcke überwachten. Und, wenn immer er auch nur die geringste Abweichung entdeckte, befahl er, den ungenau verlegten Block herauszureißen und zu ersetzen. Mehrere Male am Tag fuhr er selbst hinauf zur Spitze des Turms, um kritische Phasen der Arbeit zu überwachen. Die Schönheit des Turms beruhte darauf, daß er trotz seiner gewaltigen Höhe kein inneres Gerüst hatte. Doch die Einrichtung eines solchen Bauwerks erforderte die völlige Beherrschung aller Details. Es war lästig, mitten in seiner Schicht von der Arbeit abberufen zu werden. Doch er konnte sich einer Aufforderung Krugs, sofort zu ihm zu kommen, nicht widersetzen.
Als er nach einem Transmatsprung Krugs Büro betrat, sagte Krug: »Thor, wie lange bin ich schon dein Gott?«
Watchman erstarrte. Stumm kämpfte er darum, sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Als er den Würfel auf Krugs Schreibtisch sah, begriff er, was geschehen sein mußte. Lilith – Manuel – ja, das war es. Krug erschien so ruhig. Es war unmöglich für den Alpha, seinen Gesichtsausdruck zu enträtseln.
Vorsichtig sagte Watchman: »Welchen anderen Schöpfer sollten wir angebetet haben?«
»Warum überhaupt jemand anbeten?«
»Wenn man in tiefer Not ist, Sir, wünscht man sich an jemand zu wenden, der mächtiger ist als man selbst, um ihn um Trost und Hilfe zu bitten.«
»Ist es das, wofür ein Gott da ist?« fragte Krug. »Um Vorteile von ihm zu erlangen?«
»Um sein Mitleid zu erlangen, ja, vielleicht.«
»Und ihr glaubt, ich kann euch geben, was ihr verlangt?«
»Darum beten wir«, erwiderte Watchman.
Unsicher und gespannt betrachtete er Krug. Dieser spielte mit dem Datenwürfel. Er schaltete ihn ein, suchte aufs Geratewohl, las einige Zeilen hier, einige dort, nickte, lächelte kopfschüttelnd, schaltete ihn schließlich wieder ab. Der Android hatte sich seiner noch nie so unsicher gefühlt. Nicht einmal, als Lilith ihn verführte. Er wußte, das Schicksal seiner ganzen Gattung hing vielleicht von dem Ausgang dieses Gesprächs ab.
Krug sagte: »Weißt du, ich finde es sehr schwer, das alles zu begreifen. Diese Bibel, eure Kapellen, eure ganze Religion. Ich frage mich, ob es jemals einen anderen Menschen gab, der entdecken mußte, daß Millionen von Leuten ihn für einen Gott halten.«
»Vielleicht nicht.«
»Und ich frage mich, wie tief eure Gefühle sind, wie stark der Einfluß dieser Religion, Thor. Du sprichst mit mir wie zu einem Menschen – zu deinem Arbeitgeber, nicht wie zu deinem Gott. Du hast mir nie den geringsten Hinweis gegeben, was du mir gegenüber empfindest, ausgenommen eine Art Achtung, vielleicht zuweilen ein wenig Furcht. Und während dieser ganzen Zeit warst du deinem Gott so nahe?« Krug lachte. »Hast du die Flecken auf Gottes kahlem Schädel gesehen und die Pickel an seinem Kinn? Hast du den Knoblauch gerochen, den er gegessen hatte? Was ging dir während dieser ganzen Zeit durch den Kopf, Thor?«
»Muß ich diese Frage unbedingt beantworten, Sir?«
»Nein. Nein. Schon gut.« Krug starrte wieder in den Würfel. Watchman stand aufrecht vor Ihm, versuchte ein plötzliches Zittern in den Muskeln seines rechten Schenkels zu unterdrücken. Warum spielte Krug mit ihm? Und was geschah am Turm? Euklid Planner würde seine Schicht erst in einigen Stunden antreten; würde die schwierige Verlegung der Blöcke richtig durchgeführt während der Abwesenheit eines Aufsehers? Plötzlich sagte Krug: »Thor, warst du je in einem Egotauschraum?«
»Sir?«
»Ein Institut, in dem man mit jemand in das gleiche Stasisnetz eingeschaltet wird, um die Identitäten für einen oder zwei Tage zu tauschen.«