Ich zuckte zusammen. »Was?«
»Nichts, Bwana. Ich habe nur mit mir selbst geredet. Ich rede immer mit mir selbst, wenn es regnet, Bwana. Siehst du? Es hat schon wieder zu regnen begonnen.«
Ich verließ seine Hütte.
Und heute abend – nun, wo alles vorbei ist, kann ich nicht schlafen. Ich sitze in meiner Hütte, im flackernden Lampenschein, Bleistift und Papier liegen vor mir auf dem Tisch. Lucilia ist in ihre Hütte gegangen. Njo soll bis morgen früh bei ihr Wache halten. Dann werden wir gemeinsam dieses seltsame Dorf verlassen, Lucilia und ich, für immer. Wir werden der Dämonen der Bakanzenzi und ihrer gräßlichen Religion den Rücken
kehren. Im Missionsdorf Bugani, zwanzig Meilen weiter unten am Fluß, wollen wir uns von einem weißen Priester trauen lassen, und dann werden wir zur Küste Weiterreisen.
Ich werde der Regierung Bericht erstatten und behaupten, daß Betts von Leoparden zerrissen worden sei. Aber Lucilia und ich und der alte Kodagi, der auf dem Boden seiner Hütte kauert und weiser ist als wir alle – wir drei wissen es besser.
DR. HUDSONS GEHEIMNISVOLLER GORILLA
von Howard Waldrop
Ich erinnere mich nicht, was nach dem Unfall geschah - bis zu dem Zeitpunkt, als ich meinen Finger ans Ohr legte.
Als ich spürte, wie ein Fell über meinen behaarten Nacken strich.
Das Fell, das auf meinem Handrücken wuchs.
Später, nachdem ich versucht hatte, mir die Bandagen vom Kopf zu reißen, kam von irgendwoher eine Nadel und stach mich. Ich verlor das Bewußtsein. Und dann wachte ich wieder auf.
Ich lag ganz still. Ich lag auf dem Rücken und beobachtete, wie sich meine Brust hob und senkte. Mein Kopf dröhnte – von der Droge, die man mir gegeben hatte. Kleine blaue Kreise wirbelten vor meinen Augen, wie ein Mückenschwarm. Langsam hob ich die Hand, bis ich den Handrücken sah. Er war behaart. Wie ein Pelzhandschuh… Ich strich über meinen Kopf, fand den Rand der Bandagen über der Stirn. Meine Stirn war so breit wie die Lenkstange eines Fahrrads.
Ich wandte den Kopf zur Seite. Sogar diese winzige Bewegung verursachte mir solche Schmerzen, daß ich aufschrie und erneut in tiefe Bewußtlosigkeit versank.
Ich würde zu spät kommen. Der Film mußte gleich anfangen. Neonreklame, grelle Buchstaben… Eine feuchte Nacht, rutschige Straßen… Hinunter die Canyon-Straße, um die Kurve, etwas taucht im Licht der Scheinwerfer auf, ein Hund oder eine Katze oder ein Kind. Ein Tritt auf die Bremse, die Michelin-Reifen greifen in den Asphalt, der Triumph sagt Lebewohl zur Straße. Segelnde Lichter – sieht hübsch aus vor dem schwarzen Hintergrund der Nacht…
Und sie kommen so rasch näher, daß ich keine Zeit zum Schreien habe…
Ich steige empor aus der Tiefe der Erinnerung und zittere. Ich erwache und merke, daß ich stöhne. Das Stöhnen ist wie ein Orkan in einem Echoraum. Langgezogen, von Schmerz erfüllt.
Der Kopfschmerz ist verschwunden. Wieder blicke ich auf meinen Körper hinab, auf diese fremde, behaarte Größe. Mein Körper…
Ich muß mal. Aber ich kann mich nicht bewegen, kann nicht aufstehen, nicht gehen – wohin? Zur Ecke des Käfigs? Denn ich bin eingesperrt. Der Käfig ist zehn Körperlängen lang und fünf breit. In einer Ecke steht ein Trog mit einem Wasserhahn und einem Fußhebel aus Stahl. Vor dem Käfig ist es dunkel. Es ist Nacht – die Lichter sind ausgeschaltet.
Ich bin verletzt. Ich begreife nicht, was geschehen ist. Ich glaube nicht, daß ich noch träume. So ist es also, wenn man beginnt, den Verstand zu verlieren. Ich habe Angst, und ich versuche zu weinen.
Er starrt mich an, als ich die Augen öffne. Jetzt ist es wieder hell, und das Licht tut mir in den Augen weh.
Er sieht aus wie Albert Einstein. Er hat eine große Nase, einen zerzausten weißen Schnurrbart, einen dünnen Haarkranz, der von einer Schläfe zur anderen reicht, um den Hinterkopf herum. Die Augen sind grau und glanzlos. Solche Grabsteinaugen habe ich bei Bettlern gesehen – und in der Army, in Vietnam, bei einem Burschen, der als einziger einen feindlichen Angriff überlebt hat. Er ist übergeschnappt. Auch auf Fotos habe ich solche Augen gesehen – Augen von Fabrikarbeitern aus dem Jahre 1890 – kleine, trübe Stahlkugeln.
Doch jetzt flackert ein Licht in diesen grauen Augen auf.
»Tuleg! Tuleg! Er ist wach!«
Die Stimme dröhnt so laut, daß ich zusammenzucke. Die blauen Mücken verschleiern mir wieder den Blick, dann verschwinden sie.
Ich versuche mich zu bewegen.
Er beobachtet mich. Er sagt nichts, tut nichts. Er sieht aufmerksam zu, wie ich versuche, meine Finger zu bewegen. Ich kann sie nicht flach aufstützen, um mich aufzurichten, und ich merke, daß ich sie wie meine normalen Hände zu gebrauchen versuche. Aber das klappt nicht. Denn die Hände, die ich jetzt habe, sind zweimal so groß.
Irgendwo öffnet sich eine Tür. Mein Blickfeld ist immer noch begrenzt – verschwommen. Hinter den Gitterstäben des Käfigs liegt ein Nebel. Licht kommt von irgendwoher, erlischt wieder.
Und dann steht der Assistent vor mir.
Er ist groß. Ja, er muß sehr groß sein. Er sieht aus wie ein Eichenstamm. Er ist muskulös, hat eine Glatze und bewegt sich wie ein Akrobat. Er trägt eine Khakihose. Ich kann nur den Hosenbund sehen. Der Käfig ist erhöht, steht etwa einen Meter über dem Boden des Raumes. Außer der Hose hat der Mann ein Unterhemd an, ärmellos, mit dünnen Trägern. Er wischt sich Pizzasoße vom Mund, als er hereinkommt. Er sieht mich an, dann kratzt er sich mit der rechten Hand auf der Brust.
»So?« sagte er zu dem verrückten Wissenschaftler.
»Allerdings! Wie Sie sehen, ist die Operation erfolgreich verlaufen, und Sie haben mir dabei geholfen. Ein menschliches Gehirn im Kopf eines Gorillas. Er lebt. Und er wird weiterleben, da bin ich ganz sicher.«
»Mm«, grunzt der Mann und wendet sich ab. »Rufen Sie mich, wenn Sie mich wirklich brauchen.«
Ich höre sie reden. Ich kann es nicht glauben. Was soll ich von diesem Dialog halten? Schlafe ich immer noch?
Ich sehe den wahnsinnigen Wissenschaftler an. Er starrt zurück, als wäre ich aus Gold oder aus Silber, eine Fliegende Untertasse oder das Ungeheuer von Loch Ness.
Der Assistent geht zur Tür hinaus. Er gefällt mir nicht. Und er kommt mir bekannt vor.
Rondo Hatton. Er erinnert mich an Rondo Hatton, den Kriecher. Er braucht nicht erst Akromegalie zu bekommen. Er ist auch so schon häßlich genug.
Der verrückte Wissenschaftler beugt sich zum Käfig vor und starrt mich an.
Einige Zeit ist verstrichen, der Wissenschaftler ist verschwunden. Es gelingt mir endlich, mich aufzurichten, zum Trog zu humpeln. Ich verrichte meine Notdurft. Die Exkremente eines Gorillas sind staubtrocken, ohne
eine Spur von Flüssigkeit. Ich weiß nicht, was ich gegessen habe – oder besser gesagt, was der ehemalige Besitzer dieses Körpers zu sich genommen hat.
Als ich fertig bin, lege ich mich wieder hin. Mein Kopf tut weh, mein Körper auch. Ich schlafe ein.
Irgendwann spüre ich wieder eine Nadel, die meine Haut durchsticht. Ich bin zu schwach, um mich zu wehren. Mein Schlaf ist voller verschwommener Alpträume.
Ich erwachte, als das Licht des Morgens durch meine Lider drang. Ich streckte mich. Mein linker Arm schmerzte, war rings um den Einstich der Injektionsnadel angeschwollen. Hinter den Gitterstäben des Käfigs sah ich einen Medizinschrank mit leeren Flaschen. Intravenöse Ernährung erspart Zeit und Mühe.
Ich stand auf, ging zur Latrine, trat auf den Hebel, und Wasser kam aus dem Hahn. Ich wusch mir das Gesicht. Das kalte Wasser fühlte sich nicht so an wie früher, wenn ich mich gewaschen hatte. Wie früher, als ich noch ein Mensch gewesen war… Es fühlte sich an, als wäre noch eine zweite Haut auf meine normale Gesichtshaut geklebt – eine Lederhaut. Ich zerrte mit ungeschickten Fingern an meinen Wangen, ballte die Hände, versuchte die Zehen zu bewegen.