Mavovo, mutig wie ein Büffel, schwang seinen Kupferspeer hoch und stieß ihn der Bestie in die Seite. Dann gingen sie alle wie die Berserker zum Angriff über, außer mir. Glücklicherweise kannte ich einen anderen Trick. Innerhalb von drei Sekunden hatte sich eine wilde, kämpfende Masse in der Mitte der Lichtung gebildet. Bruder John, Stephen, Mavovo und Hans, alle stachen sie auf den großen Gorilla ein, denn es war ein Gorilla, wie ich jetzt feststellen konnte. Aber die Speerspitzen schienen ihm keine schlimmeren Wunden zuzufügen, als es harmlose Nähnadeln vermocht hätten. Zum Glück ließ er Jerry nicht los, und da er nur einen gesunden Arm hatte, konnte er nur nach seinen Angreifern schnappen. Denn wenn er versucht hätte, nach ihnen zu treten, hätte sein schwerer kopflastiger Körper das Gleichgewicht verloren.
Schließlich schien ihm bewußt zu werden, daß er sei nen Gegnern auf diese Weise nichts anhaben konnte. Er ließ Jerry fallen, stieß Bruder John und Hans zu Boden und stürzte sich auf Mavovo. Dieser sah ihn kommen und stemmte sich das Kupferende seines Speers gegen die Brust, so daß die Spitze sich in den Körper des Gorilla bohrte. Die Bestie spürte den Schmerz, ließ Mavovo los und warf Stephen um, als sie zurücktaumelte. Dann hob das Ungeheuer seine große Hand, um Mavovo mit einem einzigen Schlag zu zerschmettern.
Das war die Chance, auf die ich gewartet hatte. Bis jetzt hatte ich nicht zu schießen gewagt, aus Angst, ich könnte einen meiner Kameraden treffen. Doch jetzt bot der Gorilla ein gutes Ziel. Ich hob das Gewehr, feuerte auf den mächtigen Kopf. Als sich der Pulverrauch aufgelöst hatte, sah ich den Affen noch immer vor mir stehen, ganz still, als wäre er tief in Gedanken versunken.
Dann hob er den gesunden Arm, die glühenden Augen blickten zum Himmel auf, und mit einem mitleiderregenden, gräßlichen Schrei brach er zusammen. Er war tot. Die Kugel war dicht hinter dem Ohr in sein Gehirn gedrungen.
Das große Schweigen des Waldes umgab uns. Minutenlang sagten wir nichts, rührten uns nicht. Dann drang aus dem Farn eine dünne Stimme zu mir, und sie klang, als würde Luft aus einem aufblasbaren Gummikissen entweichen. »Das war ein guter Schuß, Baas«, piepste die Stimme. »So gut wie der Schuß, der den Königsgeier in Dingaans Kral getötet hat, aber viel schwieriger. Und wenn der Baas jetzt so gut sein würde, den Gott von mir zu schieben – danke.«
Das »Danke« war kaum zu hören. Kein Wunder, denn der arme Hans war in Ohnmacht gefallen. Da lag er unter dem gewaltigen Körper des Gorilla, und nur Mund und Nase kamen zwischen Körper und Arm der Bestie hervor. Hätte Hans nicht auf einem weichen Moospolster gelegen, das Gewicht des toten Affen hätte ihn zermalmt.
Irgendwie gelang es uns, den Gorilla zur Seite zu rollen und Hans zu befreien. Dann flößten wir ihm Brandy ein, der eine wundersame Wirkung hatte, denn nach kaum einer Minute setzte er sich auf, schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und bat um einen weiteren Schluck.
Ich überließ es Bruder John, Hans zu untersuchen und nachzusehen, ob er verletzt war, und kümmerte mich um den armen Jerry. Ein Blick genügte. Er war tot. Er war erdrückt worden wie ein schwaches Reh, das von einer Boa Constrictor umschlungen wird. Später erzählte mir Bruder John, daß Jerrys Arme und fast alle Rippen in der schrecklichen Umarmung zerbrochen waren. Auch seine Wirbelsäule war verrenkt.
Ich habe mich oft gefragt, wieso der Gorilla an mir und den anderen vorbeigestürmt war, um seinen Zorn an Jerry auszulassen. Ich kann den Grund nur erraten. Vielleicht, weil der unglückliche Mazitu in der vergangenen Nacht neben Kalubi gesessen halte. Vielleicht hatte der Gorilla den Geruch des Häuptlings gewittert, den er gehaßt und getötet hatte. Hans hatte auf der anderen Seite Kalubis gesessen, aber vielleicht hatte der Geruch des Pongo nicht so stark an ihm gehaftet. Oder vielleicht hatte der Gorilla sich den guten Hans erst vornehmen wollen, nachdem er Jerry erledigt hatte. Nachdem wir festgestellt hatten, daß dem Mazitu nicht mehr zu helfen war und daß wir keine ernsthaften Verletzungen erlitten hatten, wenn auch Stephens Kleider völlig zerrissen waren, sahen wir uns den toten Gott etwas genauer an.
Wir konnten seine Größe nicht messen, aber ich habe noch nie einen so riesenhaften Gorilla gesehen. Wir hatten alle fünf zupacken müssen, um ihn zur Seite zu rollen und Hans zu befreien. Und auch als wir ihn hin und her drehten, um ihm die Haut abzuziehen, mußten alle zugreifen. Ich hätte nie gedacht, daß ein Tier, das nicht mehr als sieben Fuß maß, wenn es aufrecht stand, so schwer sein könnte. Er mußte schon ziemlich alt gewesen sein, denn die gelben Eckzähne waren abgewetzt, die Augen lagen tief in den Höhlen. Das Haupthaar, das bei jüngeren Gorillas rot oder braun ist, war fast weiß, und die breite Brust, die früher schwarz gewesen war, hatte nun ein graues Fell. Es ist natürlich unmöglich – aber es ist durchaus vorstellbar, daß diese Kreatur zweihundert Jahre alt war, wie die Motombo behauptet hatten.
Stephen schlug vor, ihm die Haut abzuziehen, und wenn ich auch keinen Sinn darin sah, das schwere Fell mitzuschleppen, beteiligte ich mich an der Operation, vor allem, um meine Neugier zu befriedigen. Außerdem fand ich, daß wir uns nach all den ausgestandenen Ängsten und dem harten Kampf eine Ruhepause verdient hatten, wenn sich Bruder John auch über die Zeitvergeudung beschwerte. Es dauerte eine Stunde, bis wir die Haut abgezogen hatten, die so hart und dick war, daß die Speerspitzen kaum ins Fleisch gedrungen waren. Die Kugel, die ich in der letzten Nacht abgefeuert hatte, fanden wir am Oberarmknochen, den sie zerschmettert hatte, so daß der Gorilla diesen Arm nicht mehr benutzen konnte. Das war unser Glück, denn hätte das Ungeheuer zwei unversehrte Arme gehabt, hätten wir sicher noch mehr Tote zu beklagen. Wir waren nur gerettet worden, weil der Affe mit seinem gesunden Arm den bedauernswerten Jerry umklammert hatte. Er hatte keinen zweiten Arm zur Verfügung gehabt, um uns anzugreifen, und glücklicherweise hatte er mit seinen Zähnen, die die rechte Hand Kalubis mit so spielerischer Leichtigkeit abgebissen hatte, uns nichts anhaben können.
Wir ließen die Haut in der Mitte der Lichtung von der Sonne trocknen. Nachdem wir Jerry im hohlen Stamm des umgestürzten Baumes bestattet hatten, wuschen wir uns die Hände mit dem feuchten Moos und nahmen unser Mittagessen ein.
Als wir dann unseren Weg fortsetzten, hatte sich unsere Stimmung gebessert. Sicher, Jerry war tot, aber auch der Gott, und wir waren am Leben und unverletzt. Niemals mehr würden die Eingeborenen im Pongo-Land zu Füßen dieser schrecklichen Gottheit um ihr Leben zittern. Denn ich glaube, mit Ausnahme der beiden, die aus Angst Selbstmord verübt hatten, waren alle Eingeborenen ein Opfer des Gorillagottes geworden.
Was würde ich darum geben, die Geschichte des Monstrums zu erfahren! War es möglich, daß es die Pongos aus ihrer Heimat in West- oder Zentralafrika in ihr neues Land begleitet hatte, wie die Motombo behaupteten? Oder hatten sie den Gorilla als Gefangenen mitgenommen? Ich kann diese Fragen nicht beantworten, aber es sollte vermerkt werden, daß weder die Mazitu noch andere Eingeborene von der Existenz weiterer Gorillas dieser Art in jenem Teil Afrikas gehört hatten. Wenn unser Affe aus diesem Gebiet stammte, mußte er entweder ein Einzelgänger gewesen sein, oder seine Artgenossen hatten ihn vertrieben, wie es manchmal alten Elefanten passiert, die dann ebenso wild und gewalttätig werden wie der Gorilla.