Das ist alles, was ich über die Bestie sagen kann. Die Pongo haben natürlich viel mehr zu erzählen. Sie behaupten, ein böser Geist hätte sich im Körper des Affen verborgen, die Seele eines Eingeborenen, der vor langer Zeit gelebt hatte. Der Gorilla hätte jenen Mann getötet
und sich seinen Geist einverleibt. Um seinen Geist am Leben zu erhalten, hätte der Affengott immer wieder Eingeborene und andere Opfer getötet, um mit ihren Seelen seinen Geist zu nähren, um dem Alterungsprozeß entgegenzuwirken, um Unsterblichkeit zu erlangen.
Aber wenn der Affe wirklich ein Gott gewesen war, so hatten seine übernatürlichen Kräfte jedenfalls nicht ausgereicht, um ihn vor der Kugel eines Purdey-Gewehrs zu retten.
DER KULT DES WEISSEN AFFEN
von Hugh B. Cave
Es ist Mitternacht. Die Öllampe vor mir auf dem Tisch wirft einen unheimlichen Schein auf mein Gesicht. Es ist ein schwaches, unzureichendes Licht, das unablässig flackert, während das Wellblechdach der Hütte unter dem Regen erzittert. Schon seit vier Monaten regnet es hier in Kodagis Dorf. Das Plätschern ist wie ein schreckliches, entnervendes Klagelied, das in die Gehirne der Menschen eindringt und ihren Verstand umnebelt. Die M’Boto-Berge im Kongo, versunken im stinkenden Schweiß des Regengürtels, scheinen zu solchen Qualen verdammt zu sein.
Es hatte geregnet, als Matthew Betts hier ankam. Ich war gerade draußen, arbeitete auf der Veranda, im Käfig der Moskitonetze. Ein Mann muß manchmal fliehen aus der Monotonie der Regentage, sonst wird er verrückt. Seit die belgische Regierung mich als Chef de Poste hierhergeschickt hatte, wußte ich, daß die Insektenkunde, mein Hobby, ein Himmelsgeschenk war.
Als Betts eintraf, sortierte ich gerade ein paar Exemplare und begann sie auf dem kleinen Okiholztisch in meinem Verandalaboratorium zu präparieren. Neben mir auf der Türschwelle hockte der alte Kodagi. Er ist ein schlauer Mann, der alte Kodagi mit seinem runzligen Affengesicht, der Pergamenthaut und den durchlöcherten Zähnen, mit dem breiten Grinsen, das verstecktes Wissen verrät. Ich glaube, er gehört zu den Zapo Zaps, einer seltsam deformierten Rasse, die in diesem geheimnisvollen Dschungel beheimatet ist. Jahrelang hat er im Dorf Ngana gelebt, als Medizinmann des Stammes.
Ich glaube, daß Kodagi mein Freund ist. Es ist eine merkwürdige Freundschaft, die sich kaum durch Worte oder Gesten äußert, und doch bin ich dankbar für die wenigen Freuden, die mir vergönnt sind. Es gibt Gerüchte, daß Kodagi die weißen Männer haßte, die vor mir die Stellung des Chef du Poste bekleidet hatten, daß diese Weißen eines langsamen, qualvollen, unerklärlichen Todes gestorben wären. Mehrmals schon stieg der Verdacht in mir auf, daß Kodagi den Bakanzenzi angehört, jener schrecklichen Kannibalensekte, von der sogar die Eingeborenen meines Dorfes nur in ängstlichem Flüsterton sprechen.
Kodagi beobachtete mich interessiert, als ich an meinem Tisch saß und arbeitete. Seine schwarzen Knopfaugen verfolgten alle meine Bewegungen. Gelangweilt sagte er etwas, aber das monotone Trommeln des Regens verschluckte seine Stimme.
Plötzlich hob er den Kopf und starrte zum anderen Ende der Lichtung. »Schau, Bwana!«
Gehorsam blickte ich in die Richtung, in die sein dünner Finger wies, und sah die ersten Teilnehmer einer Safari, die sich mühsam zu unserer stillen Domäne schleppte. Sie stapften durch den weichen Schlamm,
mit gesenkten Köpfen, die Rücken unter der Last ihres Gepäcks gebeugt. An ihrer Spitze schritt ein weißer Mann, ein Riese mit rotem Gesicht in einem locker sitzenden weißen Drillichanzug, der wie ein nasses Leichentuch an ihm hing. In einer Hand trug er einen Kiboko, die andere hob er hoch, um mich zu begrüßen. Er rief mir etwas zu, dann wandte er sich um und schrie die gebeugten Eingeborenen an. Offenbar hatten sie Angst vor ihm, denn sie wichen zurück, blieben am Rand der Lichtung stehen, in flüsternden Gruppen zusammengedrängt, während der Weiße auf die Veranda zukam.
Ich sah ihm mit ausdruckslosem Gesicht entgegen. Ich glaubte zu wissen, wer er war, denn man hatte mir mitgeteilt, daß eine große Gummigesellschaft einen Landstrich in der Nähe des Dorfes verpachtet hätte. Diese Company, so stand in dem Bericht, würde einen Burschen namens Matthew Betts nach Kodagi schicken, der mit verschiednen Bäumen und Reben, die Milchsaft produzierten, experimentieren wollte.
Wenn dies der Mann war, den die Company ins Dorf geschickt hatte, so war mir sofort klar, daß ich ihn nicht mochte. Er war betrunken, und es ist nicht gut, wenn die Weißen im heißen, von Fieberkrankheiten heimgesuchten Kongo den Rum der Eingeborenen trinken. Ich war froh, als mir mein Jopalou-Hausdiener die lästige Pflicht abnahm, dem Neuankömmling die Verandatür zu öffnen.
Dann sah ich, daß er stockbetrunken war. Er stolperte auf den Stufen, verlor beinahe das Gleichgewicht. Vielleicht sah er Kodagi nicht, der auf der Schwelle hockte. Vielleicht sah er ihn, ignorierte ihn jedoch. Jedenfalls blieb sein Fuß zwischen Kodagis schwarzen Beinen hängen. Er taumelte, fiel gegen das Moskitonetz, und ehe ich es verhindern konnte, wirbelte er mit einem wütenden Schrei zu Kodagi herum. Sein schwerer Stiefel traf die nackten Rippen des Ngana. Kodagi heulte auf vor Schmerz, krümmte sich zusammen, stürzte die Stufen hinab, in den Schlamm.
Betts richtete sich auf und kam grinsend auf mich zu. Er machte zwei Schritte, öffnete den Mund, dann erstarb sein Grinsen abrupt. Nackte Angst spiegelte sich in seinem aufgedunsenen Gesicht. Seine Augen weiteten sich, er wurde aschfahl, dann warf er sich zur Seite und hob eine Luger. Flammen schossen aus der Mündung, die Kugeln zischten gefährlich nah an mir vorbei und drangen in das dichte Gestrüpp neben dem Geländer der Veranda.
Sekundenlang war es totenstill. Betts stand zitternd vor mir. Dann bewegte sich etwas hinter ihm, am Rand der Lichtung. Die Gepäckträger kreischten auf vor Angst, stoben in alle Richtungen davon, um sich in Sicherheit zu bringen. Njo, mein Hausdiener, kniete in der Tür, murmelte etwas in seiner Muttersprache vor sich hin. Kodagi, der verkrümmt am Fuß der Treppe gelegen hatte, war verschwunden.
Langsam wandte ich mich um, starrte in das Gestrüpp, das Betts’ Aufmerksamkeit erregt hatte. Ich sah nichts – überhaupt nichts. Wütend ging ich auf Betts zu und packte ihn am Arm. »Sind Sie verrückt?«
»Verrückt?« wisperte er mit trockenen Lippen. »Haben Sie es denn nicht gesehen, Varicks?«
»Was?«
»Das – das Ding – da zwischen den Zweigen.« Seine Augen glitten zur Seite, gerötete braune Augen, in geschwollenen Lidern eingebettet, so daß sie unnatürlich klein wirkten. Er hob einen bebenden Zeigefinger.
Ich zuckte mit den Schultern. »Sie sind betrunken. Kommen Sie herein.«
»Ich – ich habe ihn gesehen, Varicks«, stammelte er. »Einen Affen – einen weißen Affen – riesengroß. Er stand da und knurrte mich an.«
»Kommen Sie.« Ich griff nach seinem Arm. Offenbar hatte er sehr tief ins Glas geschaut. Weiße Affen – im Kongo! Was für ein Unsinn!
Aber er ließ sich nicht in die Hütte führen. Er entzog mir seinen Arm, blieb störrisch stehen und erklärte, er könne diesem Ding nicht den Rücken zuwenden. Ich erkannte, daß ich ungewöhnliche Maßnahmen ergreifen mußte, sonst würde ich einen tobenden, fiebernden, betrunkenen Wahnsinnigen am Hals haben.
»Sie haben sich das nur eingebildet«, sagte ich beruhigend. »Kommen Sie, wir werden nachsehen. Wenn sich etwas im Gestrüpp versteckt hat, müßten wir Fußspuren im Schlamm finden.«
Widerstrebend ging er mit mir. Wir stiegen die Verandastufen hinab, wateten durch den Schlamm zu dem ominösen Gebüsch. Betts stand neben mir, zitternd und unbehaglich, als ich die Zweige auseinanderschob. Und dann stockte mein Atem. Ungläubig starrte ich auf den Abdruck eines Fußes. Betts riß die Augen auf. Seine Finger gruben sich in meinen Unterarm. Er flüsterte etwas, aber ich verstand seine Worte nicht, denn ich lag bereits auf den Knien, um den Fußabdruck zu inspizieren.