Kodagi beugte sich minutenlang über das Instrument, dann trat er zurück, um seinen Gefährten Platz zu machen. Dankbar grinste er mich an. Ich versuchte ihm das Geheimnis eines Mikroskops zu erklären. »Durch diese Linse betrachtet, wirkt alles größer, als es in Wirklichkeit ist, und…«
Ich brach ab, als die Tür hinter mir aufflog, und wirbelte herum. Betts stand schwankend vor mir.
Er war betrunkener als je zuvor. Mit ausgestreckten Händen stürzte er sich auf mich.
»Hier sind Sie also -hier… Sie…« Er verfluchte und beschimpfte mich mit den schlimmsten Ausdrücken, die ich je gehört hatte.
»Was wollen Sie?« fragte ich kurzangebunden. Kodagi und seine beiden Begleiter waren vom Tisch zurückgetreten und beobachteten mich gespannt.
»Das wissen Sie verdammt gut!« brüllte er. »Meine Frau kommt zu Ihnen, wenn ich im Dschungel bin, nicht wahr? Lucilia und Sie…«
Nur eine einzige Antwort war möglich. Ich packte ihn und schleuderte ihn zur Tür. »Sie sind betrunken. Wenn Sie noch ein Wort sagen – bei Gott, Betts, Sie sind ja gar nicht in der Lage, mit einer Frau zusammenzuleben. Wenn Sie nicht aufhören, zu trinken und die Eingeborenen zu verprügeln, werde ich Sie zur Küste zurückschicken, Sie – Sie Bastard!«
Er war quer durch den Raum getaumelt wie ein fieberkranker Ochse. Sekundenlang starrte er mich an, und auch Kodagi und die beiden Zapo Zaps mußten den Haß gesehen haben, der in seinen Augen glühte. Und dann umklammerte er mit einem wilden Fluch den Griff des Revolvers, der in seinem Gürtel steckte.
Er war betrunken genug, um einen Mord zu begehen. Glücklicherweise zitterten seine schweißnassen Finger. Bevor es ihm gelungen war, die Waffe hochzureißen, hatte ich mich auf ihn gestürzt. Meine Fäuste trafen sein Kinn, er stolperte nach hinten, griff haltesuchend um sich, dann brach er bewußtlos zusammen.
Kodagi und die beiden Zapo Zaps gingen lautlos durch die offene Tür hinaus. Sie sagten nichts, sie verschwanden wie Geister. Ich war allein mit der reglosen Gestalt, die verkrümmt auf dem Boden lag.
Minutenlang stand ich neben dem Tisch und wußte nicht, ob ich ihn einfach liegenlassen oder ob ich versuchen sollte, ihn ins Bewußtsein zurückzurufen. Doch dann sagte ich mir, daß er betrunken war, daß er nicht gewußt hatte, was er tat. Ich kniete neben ihm nieder und wischte ihm das Blut vom Kinn.
In diesem Augenblick hörte ich, wie sich die Verandatür öffnete und schloß, hörte zögernde Schritte. Ich wandte mich um und sah Lucilia auf der Schwelle stehen. »Haben Sie ihn getötet?« flüsterte sie.
»Nein. Aber er hätte mich beinahe umgebracht.«
Sie stieß einen erstickten Schrei aus, starrte in Betts’ Gesicht, und im gleichen Moment schlug er die Augen auf.
Wir schwiegen, alle drei. Es war ein Schweigen, das eine Ewigkeit zu dauern schien. Schließlich rappelte sich Betts auf, stand schwankend vor uns und grinste höhnisch. »Du freust dich wohl«, sagte er zu seiner Frau. »Es macht dir Spaß, daß Varicks mich zusammengeschlagen hat, was?«
»Ja«, erwiderte sie schlicht.
»Ja? Das wirst du noch bereuen.«
Er wandte sich ab, taumelte davon. Die Verandatür fiel hinter ihm ins Schloß. Ich war allein mit Lucilia.
»Warum sind Sie zu mir gekommen?« fragte ich. »Sie wissen doch, daß Sie ihn damit nur noch wütender machen.«
»Ich mußte kommen, Lyle. Er war völlig von Sinnen, als er aus unserer Hütte rannte. Ich hatte Angst, er könnte Sie töten.« Sie umklammerte meinen Arm, ihr Gesicht war leichenblaß. »Ich habe Angst, Lyle. Er ist zum Tier geworden. Beim leisesten Geräusch fährt er herum und starrt hinter sich. Er geht auf Zehenspitzen, unterhält sich nur noch im Flüsterton mit mir, auch wenn wir allein sind. Manchmal murmelt er unverständliche Worte vor sich hin und greift in die Luft, als wollte er Fledermäuse abwehren.«
»Vampire«, sagte ich unwillkürlich.
»Was?«
»Ach, nichts. Sie sollten jetzt zurückgehen. Sie dürfen ihn nicht noch mehr reizen. Wenn etwas passiert, kommen Sie sofort zu mir.«
»Oh, ich wünschte, ich könnte hier bei Ihnen bleiben.«
»Das wünsche ich mir auch. Aber es ist unmöglich.« Mit schleppenden Schritten ging sie hinaus. Ich sah ihre gebeugten Schultern, den gesenkten Kopf, spürte ihre Angst. Aber ich konnte nichts tun – noch nicht. Ich konnte ihr nur nachstarren, mußte sie gehen lassen.
Als ich allein in meiner Hütte war, versuchte ich, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Eine Stunde lang beschäftigte ich mich mit meinen Insekten, spießte sie auf Nadeln und versah sie mit Schildchen. Aber meine Gedanken waren nicht bei der Sache, wanderten immer wieder zu Betts, dessen seltsames Benehmen mir Lucilia so anschaulich geschildert hatte.
Ich hatte ein paar Semester Medizin studiert, und ich wußte, daß es eine simple, keineswegs geheimnisvolle Erklärung für Betts’ Zustand gab. Der Mann hatte Delirium tremens. Der Rum der Eingeborenen hatte ihn an den Rand des Wahnsinns gebracht. Und doch, wenn ich mich erinnere, wie blitzschnell Kodagi an jenem Abend verschwunden war, wenn ich an den Turm der Astarte denke und an den schrecklichen Kult der Bakanzenzi… Ich wußte, daß die medizinische Erklärung nicht ausreichte. Es gab andere Dinge, unbekannte, namenlose Dinge im Dunkel des Dschungels. Es gab geheimnisvolle Mächte, die Betts in ihre Gewalt gebracht hatten.
Eine Stunde schleppte sich dahin. Es war schon fast Mitternacht, als die Tür aufflog, Ich sprang auf, wirbelte herum, hob beide Arme, um mich vor einem plötzlichen Angriff zu schützen, und dann ließ ich sie sinken, als Lucilia hereintaumelte.
»Er ist verschwunden!«
»Verschwunden?« wiederholte ich.
»Er war in der Hütte, als ich zurückkam. Ich hörte ihn in seinem Zimmer auf und ab gehen. Ich saß auf der Veranda und wartete. Ich dachte, er würde jeden Augenblick herauskommen und mich schlagen. Irgendwann muß ich eingeschlafen sein – vor Erschöpfung. Als ich aufwachte, war er nicht mehr da. Er ist wieder in den Dschungel gegangen, Lyle.«
Ich sagte nichts, wußte nicht, was ich tun sollte. Sie kam zu mir, blieb ganz nah vor mir stehen und sah verzweifelt zu mir auf. »Lyle«, flüsterte sie, »er hat seine Kleider auf dem Bett liegengelassen. Er – er muß nackt sein.«
»Im Dschungel? Nackt? Großer Gott – nein!«
»Es ist wahr, Lyle. Er ist ein Tier. Er…«
Ich schob sie zur Seite. Diese schreckliche Geschichte hatte ihren Höhepunkt erreicht, und ich war entschlossen, die Initiative zu ergreifen. »Bleib hier. Ich muß ihn finden.«
Sie sank in einen Sessel, und ich legte ihr meine Jacke um die Schultern. Dann lief ich auf die Veranda, wo Njo in einer Ecke lag und schlief. Ich rüttelte ihn wach und schrie ihn wütend an, weil er wie ein Affe auf seinem Lager hockte und mich verwirrt anblinzelte. Endlich schien er zu begreifen und folgte mir, als ich in die Nacht hinausging.
Dichtes Dunkel erfüllte die Lichtung. Der Regen hatte aufgehört, dampfende Nebelschleier lagen über dem Dschungel. Der Himmel war grauschwarz und sternenlos. Aber der Mond hing in der Mitte des finsteren Gewölbes, blutrot, wie eine verschwommene Laterne.
Wir gingen geradewegs zu Betts’ Hütte. Mit Hilfe meiner Taschenlampe fanden wir die Spur des Mannes, an der Hintertür – die Abdrücke nackter Füße. Es war nicht schwierig, der seltsamen Spur bis in den Dschungel zu folgen.
Zwanzig Minuten lang gingen wir durch den dunklen Wald, auf einem ausgetretenen Pfad. Dann hatten wir die Lichtung erreicht, auf der sich der schimmernde Turm der Astarte erhob. Wie ein weißer Zahn ragte er aus schwarzem Gestrüpp auf.