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Sam Collins machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich werde tausend Dollar Vorschuß brauchen.«

»Natürlich. Nur, finden Sie ihn!«

»Vertrauen Sie mir.«

Aber Teruo vertraute niemandem. Nachdem der Privatdetektiv gegangen war, schloß Teruo Sato die Augen und blieb regungslos sitzen. Er plante seinen nächsten Zug. Er versetzte sich an die Stelle seines Neffen. Wo würde er sich verstecken? In Manhattan natürlich, mit seiner Zehn-Millionen-Bevölkerung. Dort mußte man den Jungen suchen. Ein einziger Privatdetektiv, auch wenn er clever war, konnte ihn wahrscheinlich nicht finden. Jedenfalls nicht schnell genug. Es mußte einen anderen Weg geben. Masao mußte Arbeit suchen. Natürlich! Die Versicherungskarte. Teruo war ein Meister des Schachspiels, und er dachte auch an diese Möglichkeit. Er lächelte. Es war ein wunderbarer Plan, einfach und narrensicher. Masao würde binnen weniger Stunden gefangen sein.

Manhatten bei Nacht war faszinierend. Es funkelte mit Millionen Lichtern. Da waren die Lichter der Wolkenkratzer und die Leuchtreklamen, riesige Neonschriften und hell erleuchtete Schaufenster, und dazu die Scheinwerfer von abertausend Autos.

Masao schaute den Rollschuhläufern vor dem Rockefeller Center zu, er lief durch den Theater-Distrikt am Broadway, wo die großen Shows liefen. Er sah das berühmte Sardi, wo die Stars der Bühne zu Abend speisen, er bestaunte die Public Library, die größte Bibliothek der Welt, und die Steinlöwen auf dem Platz davor. Er bewunderte die Schaufenster teurer Modegeschäfte an der Fifth Avenue, bekannte Namen wie Lord & Taylor, Bergdorf-Goodman und Saks, und er mußte an seine Mutter denken, die viel Spaß daran gehabt hätte, hier einen Einkaufsbummel zu machen. Aber sie war für immer von ihm gegangen, genau wie sein Vater. Ein furchtbares Gefühl tiefster Verlassenheit überwältigte Masao. Er mußte am Leben bleiben. Wenn nicht seinetwegen, dann wenigstens ihretwegen.

Auf einmal bekam er Hunger, und erst jetzt merkte er, daß die normale Essenszeit längst vorbei war. Auf der langen Seventh Avenue gab es Hunderte von Restaurants, zwischen denen Masao wählen konnte. Er ging ins McDonald’s – mit dem goldenen ›M‹. Es war beinah wie zu Hause in Tokyo.

»Ich möchte einen Hamburger, bitte.«

»Wiewillst’nhaben?«

Es war nicht wie zu Hause in Tokyo.

Er starrte die Kellnerin an. »Wie bitte?«

»Wiewillst’nhaben? Leichtmittelscharf?«

Er hatte keine Ahnung, was sie sagte. Er sah zu einem kleinen Jungen hinüber, der neben ihm einen Hamburger verdrückte. »Ich … ich möchte so einen, bitte.«

»Gut.« Sie drehte sich um und rief dem Küchenchef zu: »Einen Burger, leicht.«

Aha! Sie hatte also gefragt, wie er seinen Hamburger gebraten haben wollte.

»Fritz?«

Wieder war Masao verwirrt. Was bedeutete ›Fritz‹? Jetzt wurde ein Teller voll Pommes frites vor den kleinen Jungen hingestellt. Masao ließ es auf einen Versuch ankommen: »Fritz«, sagte er.

Er hatte recht gehabt, wie sich zeigte. Er bestellte sich noch ein Sandwich und noch einmal Fritten und krönte sein Abendbrot mit einem Schoko-Milchshake.

»Entschuldigung«, sagte er zu der Kellnerin. »Ich suche ein Hotel. Nichts Teures. Könnten Sie mir vielleicht eins vorschlagen?«

»Achdagibts’nemenge …«

Masao unterbrach sie. »Entschuldigung. Könnten Sie etwas langsamer sprechen, bitte?«

»O ja, sicher. Es gibt eine Menge Hotels hier in der Gegend, aber manche sind ein bißchen gefährlich. Es wäre besser, wenn du zur East Side gehst.«

»Gut, vielen Dank.«

Masao ging und machte sich auf den Weg zur East Side. Es gab überall Bushaltestellen an den Straßen, aber er wollte lieber laufen. Es gab ja so viel zu sehen. Die Stadt war so faszinierend, daß Masao beinah die Gefahr vergaß, in der er schwebte. Man würde Jahre brauchen, dachte Masao, um wirklich ganz New York kennenzulernen. Morgen werde ich mich nach einem Job umsehen. Und bald wird Teruo mich vergessen haben. Ich werde einen Weg finden, ihn zu besiegen.

In einer Nebenstraße der Lexington Avenue fand er ein sauberes kleines Hotel und beschloß, einen Versuch zu wagen. Es gab ja Tausende von Hotels in Manhattan, und sein Onkel konnte sie nicht alle kontrollieren. Hier würde er in Sicherheit sein. Masao ging hinein. Die Lobby war beinah menschenleer. Am Empfang saß ein Japaner, und Masao war schon in Versuchung, zu fliehen. Wie, wenn Teruo ein ganzes Netz von Japanern beschäftigte, um seine Spur zu finden? Wahrscheinlich gab es in New York eine weitverzweigte japanische Kolonie, in der sich Nachrichten mit Windeseile herumsprachen. Ich leide schon an Verfolgungswahn, dachte Masao. Es ist doch nicht jeder mein Feind.

Er ging zur Rezeption. »Ich möchte ein Zimmer für eine Nacht, bitte.«

Er sprach Japanisch, und der Portier antwortete ihm auf japanisch, und erst jetzt wurde Masao klar, wie sehr er die Sprache seiner Heimat vermißte. Japanisch war eine so zivilisierte Sprache. Es war so leicht zu verstehen.

Masao trug sich unter falschem Namen ein – wozu unnötig Risiken eingehen? – und wurde in sein Zimmer geführt.

Das Zimmer war klein und eng, aber es war reinlich und billig. Masao legte sich aufs Bett und dachte an die Ereignisse der letzten Tage. Das Flugzeugunglück, bei dem seine Eltern den Tod fanden, die Reise nach Amerika, die schrecklichen Dinge, die in der Jagdhütte passiert waren und mit dem Tod des Chauffeurs Higashi endeten. Masao mußte daran denken, wie er im Unterhemd geflüchtet war, er dachte an den Volkslauf und an die Preisverleihung.

Bis jetzt hatte er Glück gehabt. Er fragte sich, wie lange das Glück ihm treu bleiben würde. Er schlief ein.

Als er erwachte, schien die Sonne durchs Fenster herein. Er schlug die Augen auf und fühlte sich frisch und ausgeruht. Er schaute auf die Uhr. Schon elf! Er hatte beinahe zwölf Stunden geschlafen! Er wusch sich unter der Dusche, am anderen Ende des Flurs, und zog die gleichen Sachen an, die er schon am Vortag getragen hatte. Sie waren alles, was er besaß. Wenn er erst einen Job gefunden hatte, würde er sich Kleider kaufen. Inzwischen war es Zeit fürs Frühstück.

Masao hatte Lust auf ein richtiges amerikanisches Frühstück. Mit Orangensaft und Speck mit Eiern und Pfannkuchen. Gestern abend hatte er, zwei Straßenecken vom Hotel entfernt, ein kleines Café entdeckt. Dorthin ging er jetzt. Vielleicht hatten sie sogar einen Job für ihn; er könnte am Tresen arbeiten.

Er kam an die Straßenecke und mußte warten, bis die Ampel umschaltete, fetzt kurvte ein Lieferwagen heran und hielt neben dem Zeitungskiosk an der Straßenecke. Ein Mann auf der Ladepritsche warf einen Packen Zeitungen auf den Bürgersteig. Die Ampel schaltete auf Grün, und die Fußgänger drängten zur anderen Straßenseite hinüber. Masao aber blieb wie angewurzelt stehen. Vom Titelblatt der Zeitung starrte ihm sein eigenes Foto entgegen. Die Schlagzeile verkündete: POLIZEI FAHNDET NACH JUGENDLICHEM MÖRDER.

Fünftes Kapitel

Plötzlich, von einer Sekunde zur anderen, war jeder sein Feind.

Masao hatte das Gefühl, als stünde er nackt im Scheinwerferlicht. Jetzt war er keine anonyme Gestalt in einer Menge von Fremden mehr. Er war eine Zielscheibe, ein Gejagter, und die Polizei war hinter ihm her. Fremde Menschen starrten ihn an, als ob sie sein Gesicht mit dem Foto auf der Titelseite der Zeitung verglichen.

Masao taumelte unter dem Schock des Wortes Mörder. Higashis Tod war die Folge eines Unfalls. Das mußte Teruo wissen, aber er hatte die Dinge so verdreht, daß die Falle zuschnappen mußte. Masao konnte vor Gericht gestellt und lebenslänglich eingesperrt – ja sogar hingerichtet werden. Und dann konnte nichts Teruo daran hindern, die Firma an sich zu reißen.