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Ein Polizist in Uniform ging vorbei, und Masao drehte sich unwillkürlich weg. Die Straßen waren nicht mehr sicher für ihn. Gar zu leicht war sein Gesicht unter all den Weißen zu erkennen. Zwar gab es auch ein japanisches Stadtviertel in New York, und Masaos erster Gedanke war, es aufzusuchen und sich dort unter all den anderen japanischen Gesichtern zu verstecken. Aber er zögerte. Dort würde die Polizei ihn sicher zuerst suchen. Wahrscheinlich liefen dort Detektive mit seinem Foto herum und suchten die Straßen und Restaurants und Hotels nach ihm ab. Nein, auch dort gab es keine Sicherheit. Nirgends gab es Sicherheit. Er wagte nicht einmal, in sein Hotel zurückzukehren.

Der Polizist war stehengeblieben und schaute in Masaos Richtung. Masao schlenderte langsam weiter, aber seine Gedanken rasten – er versuchte seinen nächsten Schritt zu überdenken. Seine Situation schien hoffnungslos. Sein Leben war in Gefahr. Alle suchten ihn. Wenn die Polizei ihn nicht erwischte, dann eben Teruo. Das Netz von Matsumoto Industries war weit verzweigt. Die Firma besaß großen Einfluß, und Teruo würde diesen Einfluß nutzen, um Masao zu vernichten. Auf einmal – hatte Masao eine Idee. Es gab einen Ort, wo niemand ihn suchen würde. Nicht einmal Teruo. Zum erstenmal sah Masao einen Hoffnungsschimmer.

Er ging in eine Telefonzelle, schlug das dicke Telefonbuch der Metropole auf und suchte eine Nummer heraus.

Die New Yorker Filiale von Matsumoto Industries befand sich in einem ausgedehnten Industriegebiet des Stadtteils Queens, nicht weit vom La Guardia Airport. Um zwei Uhr nachmittags erschien Masao im Personalbüro der Fabrik. Er war vor dem riesigen Matsumoto-Gebäude aus dem Bus gestiegen und hatte, mit einem Kloß in der Kehle, das Firmenschild betrachtet, das den Namen seines Vaters – und auch den seinen – trug. Irgendwann hatte er eine Geschichte über einen Mann gelesen, der einen wichtigen geheimen Brief versteckte, indem er ihn zwischen einem Stapel unwichtiger Briefe ganz offen auf seinem Schreibtisch liegenließ. Niemand war auf die Idee gekommen, ihn dort zu suchen. Ja, und niemand würde auf die Idee kommen, Masao hier zu, suchen. Die Matsumoto-Fabrik war der letzte Ort, wo Teruo oder die Polizei ihn vermuten würden.

Masao hatte sich telefonisch angemeldet und wurde vom Personalchef, Mr. Watkins, erwartet. Eine Sekretärin gab Masao ein Bewerbungsformular, das er ausfüllen sollte. Er las es durch, und sein Herz sank ihm in die Hose.

Name: Er durfte seinen richtigen Namen nicht angeben.

Adresse: Er hatte keine Adresse.

Telefonnummer: Er hatte keine.

Geburtsort: Er war hier ein Fremder.

Beruf: Flüchtling.

Es war eine so gute Idee gewesen, sich als Arbeiter unter hundert anderen in der Matsumoto-Fabrik zu verstecken. Aber dies …!

Die Sekretärin beobachtete ihn. »Haben Sie Schwierigkeiten?«

»Oh, nein«, beeilte sich Masao zu sagen. Er beugte sich wieder über das Formular. Er mußte diesen Job kriegen. Er konnte sonst nirgendwohin. Er mußte genug Geld verdienen, um nach Kalifornien zu fliegen und Kunio Hidaka aufzusuchen. Er blickte auf und sah, daß die Sekretärin ihn noch immer beobachtete. Masao fing an zu schreiben.

Als er das Formular ausgefüllt hatte, hieß er Masao Harada, geboren in Chicago, Illinois, und seine gegenwärtige Adresse war das CVJM-Heim. In der Spalte bisherige Stellungen hatte Masao ein Halbdutzend fiktive Firmen mit erfundenen Adressen in Chicago, Detroit und Denver eingetragen. Es würde Wochen dauern, um all diese Angaben nachzuprüfen, und bis dahin war er längst über alle Berge.

Zehn Minuten später stand er im Büro von Mr. Watkins. Der Personalchef war ein fetter Mann in mittleren Jahren, mit dicken roten Lippen und einem Toupet, das genau wie ein Toupet aussah.

Er studierte das Formular, das Masao ihm überreicht hatte, und sagte: »Du scheinst mir ziemlich jung für die vielen Stellungen, die du angeblich hinter dir hast.«

Einen Augenblick lang geriet Masao in Panik. Hatte er zu viele Arbeitgeber angegeben? Watkins schüttelte mißbilligend den Kopf. »Habe noch nie von diesen Firmen gehört.«

Kein Wunder. Sie existierten ja gar nicht. »Es sind sehr kleine Betriebe, Sir.«

Watkins brummte: »Tut mir leid, mein Junge. Wir stellen nur Leute mit Erfahrung ein.«

Masao durfte sich nicht mit einem Nein abfinden. Sein Leben hing davon ab. »Ich habe Erfahrung, Sir.« Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit. »Bitte, versuchen Sie es doch mit mir.«

»Ich weiß nicht …«

In diesem Augenblick flog die Tür auf, und ein Mann in Hemdsärmeln kam herein, einen Packen Papiere in der Hand. »Bitte, können Sie das zu Tony schicken?«

»Klar«, antwortete Watkins. »Übrigens, der junge Bursche hier behauptet, ein Elektronik-Genie zu sein. Möchten Sie ihm mal ein paar Fragen stellen?«

Der Mann warf Masao einen Blick zu. »Na gut.«

Watkins sagte zu Masao: »Mr. Davis ist unser Chef-Ingenieur.«

»Haben Sie schon mit Elektronik gearbeitet?« fragte Davis.

»Ja, Sir.«

»Können Sie einen Schaltkreis zusammensetzen?«

»Natürlich, Sir.« Masao fühlte festen Boden unter den Füßen, denn hier ging es um etwas, das er verstand und liebte. Er sprach langsam und gab sich Mühe, die technischen Ausdrücke korrekt aus dem Japanischen ins Englische zu übersetzen. »Man beginnt mit einer leeren Platte. Dann wird der gewünschte Schaltkreis photographisch aufgebracht, und die Elemente werden auf die Platte montiert. Dies sind Transistoren, Widerstände und integrierte Minischaltungen. Die Platte wird in ein Säurebad getaucht, wo alles Überflüssige weggeätzt wird. Dann …«

»Halt!« Mr. Davis hob die Hand. Er drehte sich zu Watkins um. »Er versteht nicht nur etwas von der Sache – in ein paar Monaten wird er sich um meinen Job bewerben. Viel Glück, mein Junge.« Und damit ging er.

Watkins sagte zu Masao: »Mir scheint, du hast den Job gekriegt.«

Masao spürte, wie ihm das Herz aufging. »Vielen Dank, Sir.«

»Wir brauchen jemand am Montageband. Der Lohn ist 250 Dollar die Woche, für den Anfang.«

Masao rechnete den Betrag in Yen um. In einer Woche konnte er genug verdienen, um nach Kalifornien zu fahren!

Watkins unterbrach seine Gedanken: »Ich brauche noch deine Versicherungskarte.«

Masao starrte ihn verständnislos an. Er hatte keine Versicherungskarte! »Ich … äh …« Masao überlegte blitzartig. »Die ist bei meinem Vater. Und der ist gerade verreist. Ich bringe sie mit, wenn er wieder zu Hause ist.«

Watkins zuckte die Schultern. »Okay. Komm jetzt. Ich bring dich zu deinem Arbeitsplatz.« Er musterte Masaos Gesicht. »Du hast noch nie bei uns gearbeitet, oder?«

»Nein, Sir.«

»Komisch«, sagte Watkins. »Dein Gesicht kommt mir verdammt bekannt vor.«

Und Masao spürte, wie ihn die Angst erneut durchzuckte.

Von innen war die Matsumoto-Fabrik geräumig und sauber, und es herrschte emsige Geschäftigkeit. Normalerweise wäre Masao stolz darauf gewesen, daß all dies das Werk seines Vaters war. Diese Menschen verdankten Yoneo Matsumoto ihren Arbeitsplatz; aber daran durfte Masao jetzt nicht denken. Dies war für ihn keine Fabrik – es war ein zeitweiliges Versteck für ihn, ein Zufluchtsort.