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Einen Augenblick meinte Masao, sein Herz würde aussetzen. »Was … was ist passiert?«

»Deine Mutter und dein Vater. Sie kamen gestern abend bei einem Flugzeugunfall ums Leben. Ich habe es eben erfahren.«

Masao starrte ihn ungläubig an, ein Gefühl der Unwirklichkeit überfiel ihn. Seine Eltern konnten nicht tot sein, es war unmöglich! Sie waren beide so lebendig! Es war nur ein Alptraum, aus dem er jeden Moment aufwachen würde.

Teruo sagte: »Soviel ich verstanden habe, waren sie sofort tot. Sie haben bestimmt keinen Schmerz gespürt.«

Aber Masao spürte den Schmerz. Er spürte all den Schrecken und die Todesangst, die seine Eltern in den letzten Sekunden erlebt haben mußten, bevor sie starben.

»Ich …« Er glaubte ohnmächtig zu werden. Er holte tief Luft, um seine Selbstbeherrschung wiederzufinden. »Wo … ist es passiert?«

»In den Appalachen, im Osten der Vereinigten Staaten. Dein Vater war auf dem Weg, eine neue Fabrik zu eröffnen.« Teruo legte seinem Neffen den Arm um die Schulter. »Du und deine Tante Sachiko und ich werden morgen früh nach Amerika fliegen. Wir werden die Asche deiner Eltern nach Hause holen, damit sie hier ein angemessenes Begräbnis bekommen.«

Masao nickte, unfähig, etwas zu sagen.

Masao hatte keine Ahnung, wie lange seine Tante und sein Onkel schon da waren und auf ihn einredeten. Sie sprachen Worte voller Liebe und Trost, aber für Masao waren es nur Geräusche, die ohne Bedeutung an ihm vorbeifluteten. Sein Vater und seine Mutter lebten in seinem Herzen, sie sprachen mit ihm, hatten ihn lieb, machten mit ihm Pläne für die Zukunft, wie sie es immer getan hatten.

Weißt du, warum unser Geschäft so schnell wächst, Masao! Weil wir besser sind als alle anderen. Wir geben uns mehr Mühe. Wir haben das Glück, als Japaner geboren zu sein. In anderen Ländern streiken die Arbeiter die ganze Zeit. In Japan sind wir alle eine Familie, und was für den einzelnen gut ist, das ist auch für alle gut.

Masao erinnerte sich; er war zwölf Jahre, da war er einmal zu seinem Vater gelaufen. Vater, ich hab eine Idee, ich glaub, die ist gut.

Erzähle, Masao.

Du weißt doch, wie ein sanfter Wind eine Windmühle antreibt, um Strom zu machen!

Ja.

Also, wenn ein Auto mit neunzig oder hundert Stundenkilometern fährt, warum kann man nicht den Fahrtwind benutzen, um die Zahnräder im Motor anzutreiben, damit man weniger Benzin braucht!

Sein Vater hatte ernsthaft zugehört. Das ist eine sehr gute Idee. Dann hatte er Masao geduldig die Prinzipien der Physik erklärt, Kraft mal Geschwindigkeit, und die Gesetze der Mechanik. Masaos Idee war undurchführbar, aber sein Vater hatte ihm das Gefühl gegeben, sich etwas Großartiges ausgedacht zu haben.

Kunio Hidaka, der Generalmanager aller Matsumoto-Fabriken in den Vereinigten Staaten, war damals in Tokyo zu Besuch gewesen, und an diesem Abend, beim Essen, hatte Masaos Vater ihm stolz von der Idee seines Sohnes erzählt. Masao hatte sich sehr erwachsen gefühlt.

Kunio Hidaka war ein großer, freundlicher Mann, der immer Zeit für Masao und seine Probleme hatte. Immer wenn Mr. Hidaka nach Tokyo kam, brachte er Masao Geschenke mit; es waren wohlüberlegte Geschenke, die die Phantasie und die Träume des Jungen anregten. Er konnte Stunden damit zubringen, mit Masao über die Aufgaben von Matsumoto Industries zu sprechen. »Eines Tages wird die Firma dir gehören«, pflegte Kunio Hidaka zu sagen. »Du mußt alles lernen, was man darüber wissen muß.«

»Setzen Sie meinem Neffen keine Flausen in den Kopf«, erwiderte damals Onkel Teruo. »Er muß erst die Schule beenden. Nur daran sollte er denken.«

Masaos Vater lächelte und sagte diplomatisch: »Ihr habt beide recht. Zuerst die Schule, und dann wird Masao seinen Platz bei Matsumoto Industries einnehmen.«

Eines Nachmittags, kurz bevor Kunio Hidaka nach Amerika zurückehrte, wandte er sich an Yoneo Matsumoto und sagte: »Bald müssen Sie Masao einmal in die Vereinigten Staaten mitbringen.«

Masaos Vater nickte. »Das habe ich vor. Wenn mein Sohn achtzehn ist, werde ich Sie mit ihm zusammen besuchen …«

Das war vor einem Jahr gewesen. Und jetzt, dachte Masao voller Bitterkeit, jetzt bin ich achtzehn, und ich werde zum erstenmal nach Amerika fahren, aber nur, um die Asche meiner Mutter und meines Vaters zu holen …

Er weinte.

Früh am nächsten Morgen gingen Masao, sein Onkel Teruo und Tante Sachiko an Bord des Firmen-Jet, und fünfzehn Minuten später hob das Flugzeug ab – nach New York. Normalerweise wäre Masao furchtbar aufgeregt gewesen und hätte sich gefreut, die Vereinigten Staaten zu sehen. Sein Vater hatte ihm so viel darüber erzählt. »… Es gibt große Städte dort, und Farmen und Wolkenkratzer und Ranches, und Berge und Seen. Es ist wie fünfzig kleine Europas, weißt du, Masao«, hatte sein Vater gesagt. »Jeder Staat ist wie ein Land für sich, und jeder ist anders als alle anderen.«

Aber jetzt, als Masao endlich unterwegs nach Amerika war, fühlte er keinerlei Erregung, nur ein tiefes Gefühl der Trauer und Verlorenheit. Er hatte keine Brüder oder Schwestern, niemanden, der ihm wirklich nahestand, mit dem er seinen Kummer teilen konnte. Er wußte, daß sein Leben nie wieder so sein würde wie vorher. Er schaute nach vorn, wo seine Tante und sein Onkel saßen, und er war dankbar für ihre Hilfe und ihr Mitgefühl. Wenigstens war er nicht ganz allein.

Als das Flugzeug auf dem John F. Kennedy Airport ausrollte, gingen sie durch den Zoll, und das war für Masao ein unglaubliches Erlebnis.

Das große Gebäude war voller Menschen, lauter Touristen und Amerikaner, die nach Hause kamen. Überall Menschen, und sie sprachen eine Sprache, die ihm fremd und geheimnisvoll erschien. Aber dann wurde ihm klar, daß sie Englisch sprachen! Das war ein Schock. Er hatte in der Schule Englisch gelernt, aber er verstand kein Wort von dem, was sie sagten. Sie ratterten die Worte herunter wie ein Maschinengewehr, und alles ging durcheinander. Wenn sie nur langsamer sprechen wollten!

Schließlich waren sie durch den Zoll und gingen hinaus. Neben dem Bürgersteig erwartete sie eine große Limousine der Firma. Der Chauffeur war ein riesiger, häßlicher Mann; er hieß Higashi und hatte den Körperbau eines Ringkämpfers.

Als ihr Gepäck im Kofferraum verstaut war, sah Teruo seinen Neffen an: »Wir werden aufs Land hinausfahren. Die Firma besitzt dort eine Jagdhütte an einem See, nicht weit von der Stelle, wo sich der Unfall ereignete. Morgen werde ich alle Vorkehrungen treffen, um die Überreste deiner Eltern zu bergen.«

Die Überreste deiner Eltern. Es klang so kalt und endgültig. Masao schauderte.

Higashi steuerte den Wagen durch das Labyrinth des riesigen Flughafens und fädelte sich auf den Highway nach Norden ein. Es war ein linder Frühlingsabend, und die Landschaft war wunderschön. Die Abendluft war sanft, und die Bäume prangten mit grünem Laub und bunten Blüten; aber all diese Schönheit machte Masao nur noch trauriger. Irgendwie schien es ihm falsch, daß das Leben weiterging, als wäre nichts geschehen; daß inmitten des Todes Blumen blühten und die Menschen lachten und fröhliche Lieder sangen. Masao war von einer tiefen, schwarzen Traurigkeit erfüllt.

Sie fuhren etwa zwei Stunden, über gewundene Bergstraßen, durch verschlafene Dörfer, an Äckern und Wäldern vorbei.

Sie kamen durch eine kleine Stadt, wo ein Schild verkündete: Willkommen in Wellington, und Teruo sagte: »Wir sind fast da.«