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Er warf einen mitleidigen Blick auf den Jungen neben ihm, in zerknitterten Blue jeans und schmutzigem T-Shirt, und dachte: Sieh mal an, wer mir da erzählen will, ich steh auf der falschen Seite! Eines mußte er Teruo lassen: der Kerl war wirklich schlau. Er hatte genau gewußt, wie er die Falle aufstellen mußte.

Der Detektiv langte über Masao hinweg nach dem Handschuhfach. Er zog eine halbvolle Whiskyflasche heraus und genehmigte sich einen tüchtigen Schluck. Er hatte ihn verdient. Masao hockte ruhig daneben und sagte nichts. Beinahe tat er dem Detektiv leid. So war das Leben: Masaos Pech war Sam Collins’ Glück. Er nahm noch einen Schluck aus der Flasche und bot sie Masao an. »Trink mal ’n Schluck. Es wird dir guttun.«

»Nein, danke.«

Sam Collins zuckte gleichgültig die Schultern und verstaute die Flasche wieder im Handschuhfach. Er sagte: »Du mußt irgend etwas angestellt haben, daß dein Onkel so sauer auf dich ist.«

Masao antwortete nicht.

Geht mich sowieso nichts an, dachte der Detektiv. Mein Job ist zu Ende, sobald ich ihn abgeliefert habe. Er dachte an den fetten Scheck, den er einstreichen würde, und grinste. Nein, es würde nicht mal ein Scheck sein – Bargeld würde er kriegen! Steuerfrei und ohne Quittung. Vielleicht sollte er, statt nach Florida, einen Trip zu den Südsee-Inseln machen. Die Mädchen dort waren angeblich hübsch und leicht zu haben. Geld! Das war der Schlüssel zu allem. Geld machte einen zum König. Sam Collins hatte sein Leben lang nicht schlecht verdient, aber dies war der große Treffer, von dem er immer geträumt hatte. Der Schlüssel zum großen Geld. Wieder spähte er zu Masao hinüber und fragte sich, was der Junge wohl denken mochte.

Masao dachte an Flucht. Er wußte nun, daß es unmöglich war, den Detektiv zu überreden, ihm zu helfen. Er mußte einen anderen Weg finden. Aber er war gewarnt: falls er davonrannte, würde der Detektiv nicht zögern, ihn zu erschießen. Masao hatte sich überlegt, aus dem Auto zu springen, aber der Detektiv steuerte mit einer Hand – und hielt in der anderen die Pistole. Er konnte Masao erschießen, bevor er noch halb durch die Tür war.

Masao spähte durch die staubverschmierte Windschutzscheibe des Wagens. Ein Wegweiser mit Pfeil verkündete: George Washington Bridge. Wenn sie erst diese Brücke hinter sich hatten, gab es für Masao keine Chance mehr, das wußte er. Danach begann die Schnellstraße, die ohne weiteren Halt in den Staat New York hinausführte. In der Ferne sah Masao bereits den riesigen Bogen der Brücke, die den majestätischen Hudson River überspannte. Masao blieben noch knapp drei Minuten, um sich einen Fluchtplan einfallen zu lassen. Er spähte zum Detektiv hinüber und fragte sich, ob es möglich wäre, ihn zu überwältigen, aber er wußte instinktiv, daß es vergeblich war. Selbst ohne die Pistole hätte er keine Chance gegen den kräftigen Mann neben ihm gehabt. Jetzt näherten sie sich einer Ampel, die gerade von Grün auf Gelb umschaltete.

Collins hatte schon den Fuß auf dem Gaspedal und wollte über die Kreuzung rauschen, bevor die Ampel auf Rot schaltete – aber da entdeckte er gerade noch rechtzeitig neben sich einen Streifenwagen der Polizei und trat auf die Bremse. Der Wagen kam vor der Ampel zum Stehen. Nur jetzt keine unnötigen Scherereien, dachte Sam Collins. Nicht jetzt, wo ich so nah dran bin, reich zu werden.

Auch Masao hatte den Streifenwagen mit den zwei Polizisten gesehen, der neben Sam Collins wartete, daß die Ampel wieder auf Grün schaltete. Einen verzweifelten Augenblick lang war er in Versuchung gewesen, um Hilfe zu rufen. Aber die Polizei fahndete ja ebenfalls nach ihm. Auch die Polizisten waren Feinde. Er mußte sich etwas anderes einfallen lassen, und zwar schnell. Die Ampel konnte jede Sekunde umschalten. Und plötzlich – hatte er eine Idee.

Er schaute den Detektiv an und sagte: »Ich habe mir die Sache mit dem Drink noch mal überlegt. Ich könnte ganz gut einen vertragen. Darf ich?«

»Sicher. Ich hab ja gesagt, mach’s dir gemütlich. Bediene dich ruhig.«

Masao öffnete das Handschuhfach, nahm die Flasche und zog den Korken heraus. Er hielt die Flasche in der Hand und beobachtete scharf die Ampel. Sie schaltete auf Gelb, dann auf Grün – und seine Spannung wuchs. Der Detektiv stieg aufs Gaspedal. Jetzt hing alles vom richtigen Zeitpunkt ab. Im gleichen Augenblick, als der Wagen losfuhr, hob Masao die Flasche über Sam Collins’ Kopf und begoß ihn von oben bis unten mit Whisky. Der Detektiv starrte Masao erschrocken an.

»He! Was zum Teufel fällt dir ein?« Er langte nach oben und versuchte, Masao die Flasche aus der Hand zu reißen. Dabei ließ er eine Sekunde das Steuer los – und diesen Moment nutzte Masao. Er ließ die Flasche fallen, packte mit beiden Händen das Steuer und riß den Wagen so nach links herum, daß er gegen den hinteren Kotflügel der Polizeistreife krachte.

Die beiden Beamten blickten zu Sam Collins herüber. Der Fahrer des Streifenwagens fluchte und schrie: »Fahren Sie mal an den Rand!«

Sam Collins zitterte vor Wut. Zuerst mußte er diese dumme Geschichte glatt hinter sich bringen. Aber dann würde er sich den Jungen vorknöpfen und ihm eine anständige Tracht Prügel verpassen. Es sollte ihm eine Lehre sein! Er steuerte sein Auto an den Straßenrand und schaute zu, wie die beiden Polizisten aus ihrem Streifenwagen sprangen und sich mit wild entschlossenen Gesichtern näherten.

»Aussteigen!« kommandierte der eine.

Sam Collins stieg aus und nahm eine demütige Haltung an. »Tut mir leid, Officer«, sagte er. »Es war ein Mißgeschick. Ich komme gern für den Schaden auf. Mir ist das Lenkrad aus der Hand gerutscht, und …«

Die Whiskydämpfe, die von Sam Collins aufstiegen, trieben dem Polizisten die Tränen in die Augen. Er drehte sich zu seinem Kollegen um: »Anscheinend haben wir ’nen Besoffenen am Steuer erwischt.«

»Sie irren sich«, protestierte Sam Collins. »Ich bin nicht betrunken. Der Junge hat mir einen Streich gespielt. Er hat mich von oben bis unten mit Whisky begossen.«

»Welcher Junge?«

Sam Collins drehte sich um und deutete ins Innere des Wagens.

Masao war verschwunden.

Neuntes Kapitel

Die Zeit ist dein Freund, wenn das Leben friedlich und glatt verläuft. Wenn es Probleme gibt, wird die Zeit dein Feind.

Die Zeit war Masaos Feind geworden. Er hatte seinen Onkel unterschätzt. Er hatte geglaubt, sein Onkel würde ihn laufen lassen, würde die Treibjagd aufgeben – aber jetzt wußte er es besser. Teruo würde nicht lockerlassen, bis Masao tot war. Teruo hockte irgendwo in einem Büro oder in einer Fabrik, oder auch in der Jagdhütte in den Bergen, und plante kaltblütig seine Strategie. Wenn sie miteinander Schach spielten, hatte Teruo stets Masao geschlagen. Aber diesmal ging es um einen anderen Einsatz. Diesmal war der Einsatz – Masaos Leben.