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In dem Augenblick, als der grüne Chevrolet gegen den Streifenwagen krachte, war Masao durch die Tür geschlüpft und in entgegengesetzter Richtung davongelaufen. Er lief blindlings drauflos, er wußte nicht, wohin – nur weg von seinem Onkel und dessen Helfershelfern. Er zügelte seine Schritte, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Instinktiv wandte er sich nach Downtown-Manhattan, wo das Menschengewühl dichter war und er leichter untertauchen konnte. Aber er hatte kein Ziel. Er konnte nicht nach Greenwich Village zurück. Er konnte auch nicht in sein Hotel zurück. Es gab keinen Platz, wo er sich verstecken konnte. Wenn Teruo erst erfuhr, daß Masao wieder entwischt war, dann würden die Straßen wimmeln vor Männern, die nach ihm fahndeten. Teruo hatte das ganze Vermögen der Familie Matsumoto zur Verfügung, und er würde jeden Cent davon ausgeben, um das letzte Hindernis auf seinem Weg zu beseitigen. Masao stand ganz allein gegen die Polizei, gegen den Sicherheits-Dienst von Matsumoto Industries und gegen wer weiß wieviele Privatdetektive. Noch nie im Leben hatte er sich so verlassen gefühlt.

Nein, er war nicht ganz verlassen. Es gab noch Kunio Hidaka, in Los Angeles. Masao dachte an die guten Stunden, die sie im Lauf der Jahre miteinander verbracht hatten. Masaos Vater hatte ihm vertraut. Aber – wie sollte er ihn jetzt erreichen? Am Telefon konnte er seine Situation unmöglich erklären. Nein, er mußte Kunio Hidaka persönlich sprechen.

»Paß auf, wohin du läufst!« sagte eine Stimme. Masao blickte auf und sah, daß er mit einem Hotelportier in grauer Livree zusammengestoßen war.

»Oh, tut mir leid«, entschuldigte sich Masao.

Der Portier winkte Taxis für eine lange Schlange wartender Hotelgäste herbei. Masao schaute sich um und sah, daß er genau vor dem Hilton-Hotel stand. Er kniff die Augen zusammen und starrte genauer hin – aber es war nicht das Hotel, das er anstarrte. Es war das, was davor stand.

Vor dem Hotel stand ein großer Greyhound-Bus, mit einem Schild vorne dran, das verkündete: Los Angeles. Leute stiegen in den Bus ein – aber was Masao besonders auffiel, war die Tatsache, daß diese Leute allesamt Japaner waren. Es war eine japanische Reisegesellschaft, unterwegs nach Los Angeles! Das war die perfekte Chance, und Masao wußte, daß er zugreifen mußte. Er blieb stehen und beobachtete, was passierte.

Der Busfahrer stand neben der offenen Tür und kontrollierte auf einer Liste die Namen der Passagiere, die einstiegen und ihre Plätze suchten. Masao mußte eine Möglichkeit finden, sich in diesen Bus einzuschleichen. Aber wie? Es war offensichtlich eine private Reisegesellschaft, und sein Name stand nicht auf der Liste. Masao überlegte ein paar Sekunden, dann wirbelte er herum und rannte in die Lobby des Hilton-Hotels.

Die Lobby war groß und geräuschvolclass="underline" Touristen, die ankamen oder abreisten, Gäste, die unterwegs zu Terminen waren oder in den schweren Sesseln saßen und auf irgend etwas warteten. In der Mitte der Lobby war ein Meer von Koffern, die der Reisegesellschaft gehörten, jeder mit einem Namensschild versehen. Vier Pagen waren damit beschäftigt, sie zum Bus hinauszuschleppen und im Kofferraum zu verstauen. Am Schluß blieben noch etwa ein Dutzend Koffer übrig.

Masaos Hirn arbeitete fieberhaft. Er ging zu den Koffern hinüber, bückte sich und entzifferte das Namensschild an einem von ihnen: Yoshio Tanaka. Masao richtete sich auf und marschierte quer durch die Lobby zu den Kabinen mit den Haustelefonen. Er hob in der letzten Kabine den Hörer ab. Die Vermittlung meldete sich: »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ja. Könnten Sie bitte Mr. Yoshio Tanaka ausrufen?«

»Einen Augenblick, bitte.«

Ein paar Sekunden später rief eine metallische Stimme über den Lautsprecher: »Mr. Tanaka, Mr. Yoshio Tanaka. Bitte kommen Sie zum Haustelefon.« Masao blieb in seiner Zelle stehen und beobachtete, wie ein dicker, untersetzter Mann drei Zellen weiter an den Apparat eilte.

»Hallo?«

Masao drehte ihm den Rücken zu, senkte die Stimme und sprach in den Hörer: »Mr. Tanaka?«

»Ja, ja«, sagte Tanaka.

»Mr. Yoshio Tanaka?«

»Ja, richtig. Wer spricht dort?«

»Hier ist die Übersee-Vermittlung. Für Sie ist ein Ferngespräch aus Japan angemeldet. Es wird eine kleine Verzögerung geben. Bitte hängen Sie auf und warten Sie in der Telefonzelle!«

»Aber mein Bus fährt ab …«

»Der Anruf kommt jeden Moment.«

»Aus meinem Büro?« fragte Mr. Tanaka.

»Ja, Sir.«

»Ich warte.«

»Danke.«

Masao legte den Hörer auf. Er ging an Mr. Tanaka vorbei und eilte hinaus, wo die Hotelpagen gerade die letzten Koffer in den Bus einluden. Die letzten Reisenden stiegen ein, und der Fahrer kontrollierte die letzten Namen.

Alles ging nach Wunsch. Teruos Männer suchten Masao in den öffentlichen Linienbussen, aber niemand würde ihn bei einer Reisegesellschaft vermuten. Masao blieb vor der Wagentür stehen. Der Fahrer blickte auf. »Ihr Name, bitte?«

»Mein Name ist Yoshio …«

In diesem Moment sah Masao aus dem Augenwinkel die dicke, gedrungene Gestalt Mr. Tanakas. Masao beobachtete ihn voll Entsetzen. Tanaka schob Masao beiseite und sagte zum Busfahrer: »Yoshio Tanaka!«

Der Fahrer hakte den Namen auf seiner Liste ab. Masao stand am Rinnstein und schaute ungläubig zu, wie der kleine Japaner in den Bus kletterte. Der Fahrer zwängte sich hinters Steuer, und eine Minute später verschwand der Bus in der Ferne.

Masao blieb enttäuscht zurück. Er war dem Ziel so nah gewesen! Alles schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Wenn er doch nur jemanden hätte, mit dem er sprechen konnte. Er wünschte sich, er könnte Sanae besuchen. Er dachte daran, wie wunderschön sie war und wie sie den Detektiv angelogen hatte, um ihn zu beschützen. Eine tiefe Traurigkeit erfaßte Masao.

Jetzt schlenderte ein uniformierter Polizist auf das Hotel zu. Er schien Masao scharf anzusehen – oder war das nur Einbildung? Er konnte es sich nicht leisten, ein Risiko einzugehen. Lässig drehte er sich um und mischte sich unter die Menschen in der Lobby des Hilton. Er wanderte durch die Halle und verließ das Hotel durch einen Hinterausgang. Er brauchte Schutz – und den gab es nirgends.

In einem deutschen Restaurant an der 96th Street genehmigte sich Masao ein verspätetes Mittagessen. Er haßte die deutsche Küche, und darum hatte er dieses Restaurant aufgesucht. Er wußte jetzt, wie sein Onkel dachte. Sein Onkel kannte alle seine Gewohnheiten und würde Männer losschicken, um alle wahrscheinlichen Plätze abzusuchen. Von jetzt an würde sich Masao nur noch an unwahrscheinlichen Plätzen aufhalten. Er mußte vermeiden, Spuren zu hinterlassen, denen sein Onkel nur zu folgen brauchte. Er saß an einem Ecktisch und verspeiste die Bratwurst, die ihm nicht schmeckte, und überlegte seinen nächsten Zug. Es war noch immer dasselbe Problem: aus einer Stadt zu verschwinden, in der alle Ausgänge verbarrikadiert waren.

Zufällig schaute Masao aus dem Fenster, als ein großer Lastwagen vorbeirollte – und plötzlich schoß eine heiße Welle durch seinen Körper. Es gab doch noch eine Chance!

Eine Stunde später stand Masao im Schatten eines Lastwagen-Terminals in der Nähe der Docks und beobachtete das geschäftige Treiben um ihn her. Auf dem Hof standen mindestens fünfzig riesige Trucks, die für ihre Tour beladen wurden. Eine unglaubliche Vielfalt von Waren war überall gestapelt. Die Lastwagen transportierten Möbel und Chemikalien und Lebensmittel und medizinisches Gerät. Sie wurden mit Büchern, Fernsehgeräten, Bauholz und Kleidern beladen. Diese Trucks waren die Lebensadern Amerikas. Sie brachten die Güter in jeden Winkel des Landes, in die großen Städte und kleinen Dörfer, zu den Farmen und zu den Seehäfen.