Die beiden Männer grinsten über die Idee, daß dieses Kerlchen sie bewirten wollte.
»Wirklich nett von dir«, sagte Al. »Wir stecken’s uns an den Hut.«
»An den Hut?«
»Yeah. Ich meine, wir heben’s uns für ein andermal auf. Paß gut auf dich auf!«
»Ich will mein Bestes tun«, versprach Masao. Jetzt war es ja nicht mehr schwer. Er hatte es geschafft.
Zehn Meter weiter stapelte ein japanischer Arbeiter Matsumoto-Fernsehgeräte in einen Lieferwagen. Er unterbrach seine Arbeit und beobachtete, wie Masao aus der Führerkanzel kletterte. Er starrte lange hinüber, dann griff er in seine Tasche und holte ein Foto heraus. Noch einmal musterte er Masao, um sicherzugehen, daß er keinen Irrtum beging. Dann eilte der Arbeiter über den Platz zu einer Telefonzelle.
Er wählte die Fernsprechvermittlung und sagte: »Ich möchte ein Direkt-Gespräch nach New York anmelden, mit Mr. Teruo Sato …«
Hollywood war ganz anders, als Masao es sich vorgestellt hatte. Er hatte immer gemeint, es sei der Gipfel von Ruhm und Glanz, das Land von John Wayne und Humphrey Bogart und James Cagney und Gary Grant und Charlie Chaplin.
Die Wirklichkeit war enttäuschend. Sicher, da waren die Namen der berühmten Film-Stars – in die Bürgersteige der Stadt eingelassen. Die Namen von Marilyn Monroe und Greta Garbo und Clint Eastwood und Bruce Lee. Aber der Hollywood Boulevard war schmutzig und verwahrlost. Er war von kleinen Arkaden und Pizzerias und Astrologenbuden und schäbigen Bars eingesäumt. Es war wie eine billige Version der Ginza von Tokyo. Aber zumindest, dachte Masao, wird mich hier niemand suchen.
Er ging in ein Drugstore, wo es eine Telefonzelle gab.
»Entschuldigung«, sagte Masao zu dem Mädchen hinter der Theke. »Ich möchte eine Telefonnummer finden. Wie macht man das?«
»Einfach die Auskunft anrufen. 411.«
Ach so. Es war genau wie in New York. »Vielen Dank.«
Masao trat in die Telefonzelle und wählte die Nummer. Eine Stimme sagte: »Hier Auskunft. Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Ja, danke«, antwortete Masao. »Ich suche die Telefonnummer der Matsumoto-Fabrik. Sie muß in North-Hollywood liegen.«
»Buchstabieren Sie bitte den Namen.«
Masao buchstabierte. Ein paar Sekunden später hatte Masao die Nummer. Er drückte kurz den Hörer auf die Gabel und wählte erneut.
Eine fröhliche Stimme sagte: »Guten Morgen, hier Matsumoto Industries.«
Masao spürte, wie sein Herz schneller schlug. »Ich möchte mit Mr. Kunio Hidaka sprechen, bitte.«
»Moment. Ich verbinde.«
Gleich darauf sagte eine andere Stimme: »Hier Büro von Mr. Hidaka.«
Masao konnte es kaum erwarten: »Bitte, kann ich mit Mr. Hidaka sprechen?«
»Tut mir leid. Mr. Hidaka ist nicht in der Stadt. Kann ich Ihnen helfen?«
Masaos Herz setzte beinahe aus. »Ich …« Er zögerte. Er mußte Mr. Hidaka alles selbst erklären. »Wann kommt er denn wieder?«
»Wir erwarten ihn am Freitag zurück.«
Drei ganze Tage! »Könnten Sie mir, bitte, seine private Telefonnummer geben? Es ist sehr wichtig.«
»Tut mir leid. Solche Auskünfte darf ich Ihnen nicht geben. Wollen Sie eine Nachricht hinterlassen?«
»Nein. Ich werde … ich werde wieder anrufen.«
Mutlos verließ Masao die Telefonzelle. Noch drei Tage Warten! Nach all der Spannung kam es ihm vor wie lebenslänglich. Wie hatte er sich darauf gefreut, Mr. Hidaka zu sehen, ihm alles zu erklären, was passiert war, und diesem Alptraum ein Ende zu bereiten. Na ja, er konnte nichts anderes tun, als zu warten. Er mußte sich zwingen, geduldig zu sein. Wenigstens war er einstweilen in Sicherheit, hier in Los Angeles. Teruo suchte ihn wahrscheinlich noch immer in New York. Er würde irgendwo ein kleines Hotel finden und sich die Sehenswürdigkeiten der Stadt anschauen, bis er Mr. Hidaka besuchen konnte.
Zwei Dinge vor allem wollte er sehen: Disneyland und die Universal-Studios.
Dreitausend Meilen entfernt, in New York, sprach Teruo Sato ins Telefon. Seine Stimme war kalt. »Ich habe soeben einen Anruf erhalten. Der Junge hält sich in Los Angeles auf. Heuern Sie so viele Männer an, wie Sie brauchen. Es gibt drei Orte, auf die Sie die Suche konzentrieren müssen: Kleine, abgelegene Hotels, Disneyland und die Universal-Studios.«
Teruo hätte noch eine dritte Adresse erwähnen können, aber er tat es nicht. Um diese Sache wollte er sich selber kümmern. Es gab nur einen Menschen in Kalifornien, den Masao aufsuchen konnte: Kunio Hidaka.
Teruo würde als erster dort sein.
Am Abend fand Masao ein kleines Hotel in Hollywood, in einer Nebenstraße des Cahuenga Boulevard, wo er die Nacht verbringen wollte.
»Wie lange werden Sie bleiben?« fragte der Portier.
»Eine Woche.«
Am nächsten Morgen verließ Masao zeitig das Hotel. Fünf Minuten nachdem er gegangen war, kamen zwei Privatdetektive in die Lobby, legten dem Portier Masaos Foto vor und fragten, ob er ihn identifizieren könnte.
»Klar«, sagte der Portier. »Sie haben ihn um ein Haar verpaßt.« Er blätterte in seiner Kartei. »Er heißt Masao Harada. Er will eine Woche bleiben.«
Die beiden Privatdetektive wechselten einen zufriedenen Blick.
»Wir werden warten«, sagten sie.
Sie setzten sich in den Hintergrund der Lobby, wo sie vom Eingang her nicht zu sehen waren.
Sie würden lange warten müssen. Masao wußte nicht, daß er jetzt auch in Kalifornien gejagt wurde, aber sein Instinkt sollte ihn retten. Er hatte gar nicht die Absicht, in dieses Hotel zurückzukehren. Er hatte vor, jede Nacht in einem anderen Hotel zu schlafen, damit niemand seine Spur aufnehmen konnte.
Er kaufte sich ein Paar Unterhosen, Jeans und ein T-Shirt, ein Taschentuch und frische Socken, aber er ließ die alten Klamotten gleich in der Umkleidekabine des Kaufhauses liegen. Er hatte sowieso genug mit sich herumzuschleppen.
Er frühstückte in einer Crêperie am Sunset Boulevard und erkundigte sich, wie man nach Disneyland kam. Er hatte drei Tage vor sich, und er war entschlossen, sich die Zeit so gut wie möglich zu vertreiben. Es hatte ja keinen Zweck, im Hotel zu sitzen und zu grübeln.
Dreißig Minuten später saß er im Bus nach Disneyland.
Hollywood war zwar eine Enttäuschung, aber Disneyland übertraf Masaos tollste Erwartungen. Es war ein dreißig Hektar großes Märchenland, eine verzauberte Welt aus lauter verzauberten Welten.
Es gab beinahe sechstausend Angestellte, die diesen ewigen Jahrmarkt in Schwung hielten, und vierundfünfzig Attraktionen. Masao wußte nicht, wo er beginnen sollte. Er fing seine Besichtigungstour in der Main Street an, durch die er in einer mit Pferden bespannten Kutsche rollte. Es war eine andere Welt, in einem anderen Jahrhundert.
Er nahm an der Dschungel-Safari teil, wo Krokodile nach dem Boot schnappten, und kletterte in das Schweizer Familien-Baumhaus.
Auf dem New Orleans Square besuchte er das Geisterschloß und staunte, wie geschickt die unheimlichen Effekte ins Werk gesetzt waren.
Dann kam Fantasyland, und Masao fuhr mit dem Bobschlitten vom Matterhorn ab und schipperte mit dem Motorboot über den See und wanderte durch die zauberhafte Kleine Welt.
Dann fuhr er mit der Himmelsfähre ins Zukunftsland und machte eine Reise im Unterseeboot.
Als der Vergnügungspark seine Pforten schloß, war Masao erschöpft. Das Bärenland und das Grenzerland hatte er auslassen müssen, aber er würde ja eines Tages wiederkommen.