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Draußen führten Teruo und Higashi Masao zur Limousine. Higashis riesige Hand preßte Masaos Arm, daß es schmerzte. Keine Chance, sich zu befreien.

»Du solltest dich schämen, uns so etwas anzutun«, sagte Teruo wütend.

Masao wurde auf den Vordersitz gestoßen, zwischen Higashi und seinen Onkel. In Masaos Kopf überstürzten sich die Gedanken. Er würde sich nicht einfach umbringen lassen. In dem Augenblick, wo das Auto vor der Jagdhütte anhielt, würde er ausbrechen. Er konnte den beiden mit Leichtigkeit davonlaufen. Sie würden ihn nie einholen, wenn er …

Plötzlich spürte Masao einen scharfen Stich an seinem Arm und schaute hinunter. Sein Onkel steckte rasch eine Spritze weg.

»Was hast du getan?« fragte Masao ängstlich.

»Ich hab dir ein kleines Mittel gegeben, zur Beruhigung«, sagte Teruo beschwichtigend. »Du bist krank, Masao. Ich mache mir echte Sorgen um dich. Echte Sorgen, wirklich. Deine Tante und ich, wir haben vorhin darüber gesprochen. Wir hatten Angst, du könntest Dummheiten machen …«

Auf einmal schienen die Worte wie aus weiter Ferne zu kommen, und das Gesicht des Onkels verschwamm vor Masaos Augen. Sein Kopf wurde immer schwerer. Sie hatten ihn hereingelegt. Ihn unter Drogen gesetzt. Sie gaben ihm keine Chance, zu entkommen. Sie würden ihn ermorden, während er bewußtlos war.

»Du …« aber seine Zunge war schwer, und er konnte kein Wort mehr hervorbringen. Masao fielen die Augen zu.

Dann war nichts mehr.

Drittes Kapitel

Langsam wurde Masao wach und schlug die Augen auf. Er war in einem fremden Zimmer. Sein Kopf war schwer und pochte vor Schmerz. Er hatte keine Ahnung, wie lange er bewußtlos gewesen war. Er blieb ganz ruhig liegen und zwang sich, nicht in Panik zu geraten. Er versuchte sich zu erinnern, wie er hierhergeraten war. Er hatte mit dem Polizisten gesprochen, mit Lieutenant Brannigan; sein Onkel und Higashi waren gekommen und hatten ihn ins Auto gezerrt; sie hatten ihm eine Betäubungsspritze verpaßt. Und dann? Masao setzte sich auf dem schmalen Bett auf, und in seinem Kopf begann alles zu kreisen. Er wartete, bis er wieder klar wurde. Vorsichtig stand er auf und schaute sich um, untersuchte das Zimmer. Es hatte keine Fenster, und nach der schrägen Decke zu urteilen, befand er sich auf dem Dachboden der Jagdhütte. Er ging zu der schweren Eichentür und rüttelte an der Klinke. Die Tür war von außen verschlossen. Es gab keinen Ausweg. Und nun merkte Masao auch, daß er nur eine Turnhose und ein T-Shirt anhatte. Sie hatten ihm seine Kleider weggenommen!

So kann ich nirgends hingehen, dachte Masao. Dann kam ihm ein neuer Gedanke, und ein kaltes Frösteln überlief ihn. Seine Kleider lagen wahrscheinlich in einem ordentlichen Häufchen am Ufer des Sees, wo die Polizei sie finden würde – zusammen mit einem gefälschten Abschiedsbrief. Teruo überließ nichts dem Zufall. Mein armer Neffe, er konnte sich nicht mit dem Tod seiner Eltern abfinden …

Masaos Gedanken wurden durch ein Geräusch draußen auf dem Korridor unterbrochen. Irgend jemand näherte sich. Es war bestimmt Higashi, der kam, um ihn zu holen, und Masao wußte, er hatte keine Chance gegen den riesigen, starken Mann. Er sah sich nach einer Waffe um, irgend etwas, womit er sich verteidigen könnte, aber er fand nichts. Er fragte sich, wieviel Teruo dem Chauffeur wohl bezahlte, dafür, daß er ihn umbrachte. Wahrscheinlich ein Vermögen. Aber das war ja eine Kleinigkeit für Teruo. Wenn Masao tot war, würde Teruo unermeßlich reich sein. Die Schritte kamen näher. Masao hörte einen Schlüssel im Schloß drehen und sah, wie die Tür aufschwang. Higashi trat ein. Einen Augenblick dachte Masao daran, sich auf ihn zu stürzen, aber der Chauffeur war viel größer als er und mindestens hundert Pfund schwerer.

»Komm«, knurrte Higashi. »Wir wollen eine kleine Bootsfahrt machen.«

Also hatte er recht gehabt. Mit allem. Und er hatte genau erraten, was sein Onkel plante. Sie würden ihn mitten im See ins Wasser werfen, in die bodenlose Tiefe. Vielleicht würde sein Leichnam niemals gefunden.

Higashi trat auf ihn zu und packte seinen Arm. Ein Griff wie ein Schraubstock. »Geh’n wir.«

Higashi führte den Jungen über den verlassenen Korridor. Sie befanden sich im vierten Stock, unter dem Dach der Jagdhütte. Higashis Finger waren hart wie Stahl, sie drückten sich in Masaos Arm, daß es schmerzte.

»Hören Sie«, sagte Masao verzweifelt. »Wenn Sie mich laufen lassen, will ich Ihnen mehr bezahlen als mein Onkel. Wenn ich wieder in Tokyo bin …«

»Schnauze«, knurrte Higashi.

»Ich kann …«

Higashi packte noch fester zu und stieß den Jungen vor sich her die Treppe hinunter.

Jetzt waren sie im dritten Stock angelangt, und über die Brüstung des Balkons sah Masao in der Ferne den See. Er erschien plötzlich so finster und bedrohlich. In wenigen Minuten, dachte Masao, würde er ein Teil dieses Wassers sein, ertrunken, für immer verloren. Nein, er konnte es nicht zulassen!

Die Zweige einer hohen schlanken Tanne streiften das Balkongeländer, und als Masao das sah, packte ihn eine wilde, verzweifelte Hoffnung. Es gab eine Chance! Es war eine verzweifelt kleine Chance, aber sie war alles, was er hatte. Wenn es mißlang, mußte er sterben. Aber sterben mußte er sowieso.

Masaos Herz schlug schneller. Er wartete, bis sie sich gegenüber dem Balkon befanden, dann tat er so, als würde er stolpern. Als er stürzte, bückte sich Higashi ganz automatisch, um ihn hochzureißen. In diesem Moment stemmte sich Masao mit aller Macht gegen ihn, der eiserne Griff lockerte sich, und Masao sprang auf und rannte auf den Balkon. Er spähte hinunter und sah, zehn Meter unter sich, festen Boden. Falls er stürzte, würde er auf der Stelle tot sein. Aber er hatte keine Wahl. Der Baum war der einzige Weg in die Sicherheit.

Er streckte die Hand aus und packte einen Ast der Tanne. Seine Finger glitten ab, und dann fand er festen Halt und schwang sich zum Stamm hinüber.

In diesem Augenblick spürte er, wie jemand ihn von hinten am Fuß packte und zurückriß. Masao strampelte, aber es hatte keinen Zweck. Higashis mächtiger Arm schlang sich um seinen Hals und würgte ihn. Mit einer letzten Kraftanstrengung warf sich Masao herum und entschlüpfte dem Griff. Keuchend rang er nach Luft. Aber der Chauffeur war schon wieder über ihm, das Gesicht vor Wut verzerrt.

»Dann werd ich dich eben hier umbringen«, zischte er.

Er breitete die Arme aus und tappte vorwärts, um Masao zu packen und zu erdrücken. Masao wich immer wieder aus. Er wußte, diese Arme waren stark genug, ihm das Genick zu brechen. Langsam glitt er nach rechts, weg von dem Baum, und als Higashi ihm folgte, hechtete Masao plötzlich in die entgegengesetzte Richtung, sprang auf die Brüstung und packte erneut den Tannenzweig. Es war sinnlos. Higashi war sofort wieder da, packte ihn wie ein Wilder und riß ihn zurück. Masao spürte, wie seine Finger von dem Ast abglitten. Jetzt war alles aus. Auch Higashi wußte es. Er hatte gesiegt. Aber im Eifer, sein Werk zu vollenden, sprang Higashi auf die Brüstung, neben Masao, um ihn besser packen zu können. Die Brüstung hielt das Gewicht des riesigen Mannes nicht aus und brach plötzlich unter seinen Füßen weg. Masao klammerte sich an den Ast und sah voll Entsetzen, wie Higashis Körper wirbelnd in die Tiefe stürzte. Higashi stieß einen schrillen Schrei aus, dann schlug er auf und lag reglos, den Kopf in unnatürlichem Winkel verrenkt.