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Wir waren schon eine ganze Weile lang am Tisch gesessen und hatten wortlos in unserem Kaffee gerührt. Jossele langweilte sich. „Weißt du was?" sagte er endlich. „Spielen wir Poker!" „Nein", sagte ich. „Ich hasse Karten. Ich verliere immer. " „"Wer spricht von Karten? Ich meine jüdisches Poker. " Jossele erklärte mir kurz die Regeln. Jüdisches Poker wird ohne Karten gespielt, nur im Kopf. „Du denkst dir eine Zahl, und ich denk' mir eine Zahl", erklärte mir Jossele. „Wer sich die höhere Zahl gedacht hat, gewinnt. Das klingt sehr leicht, aber es hat viele Fallen. Also?" „Einverstanden", sagte ich. „Spielen wir. " Jeder von uns setzte fünf Piaster ein, dann lehnten wir uns zurück und begannen uns Zahlen zu denken. Alsbald deutete mir Jossele durch eine Handbewegung an, daß er seine Zahl gefunden hätte. Ich bestätigte, daß auch ich soweit sei. „Gut", sagte Jossele. „Laß deine Zahl hören. "

„11", sagte ich.

„12", sagte Jossele und steckte das Geld ein. Ich hätte mich ohrfeigen können. Denn ich hatte zuerst 14 gedacht und war im letzten Augenblick auf 11 heruntergegangen, ich weiß selbst nicht warum. „Höre", sagte ich zu Jossele. „Was wäre geschehen, wenn ich 14 gedacht hätte?"

„Dann hätte ich verloren. Das ist ja die Spannung daran, daß man nie wissen kann, wie es ausgeht. Aber wenn deine Nerven dafür zu schwach sind, dann sollten wir vielleicht aufhören. " Ohne ihm zu antworten, legte ich zehn Piaster auf den Tisch. Jossele tat desgleichen. Ich dachte sorgfältig über meine Zahl nach und kam mit 18 heraus. „Verdammt", sagte Jossele. „Ich hab' nur 17. " Mit zufriedenem Lächeln strich ich das Geld ein. Jossele hatte sich wohl nicht träumen lassen, daß ich die Tricks des Spiels so rasch begreifen würde. Er hatte mich wahrscheinlich auf 15 oder 16 geschätzt, aber bestimmt nicht auf 18. Jetzt, in seinem begreiflichen Ärger, schlug er eine Verdoppelung des Einsatzes vor. „Wie du willst", sagte ich und konnte einen kleinen Triumph in meiner Stimme nur mühsam unterdrücken, weil ich mittlerweile auf eine phantastische Zahl gekommen war: 35! „Komm heraus", sagte Jossele. „35!" „43!" Damit nahm er die vierzig Piaster an sich. Ich fühlte, wie mir das Blut zu Kopf stieg. Meine Stimme bebte: „Darf ich fragen, warum du vorhin nicht 43 gesagt hast?" „Weil ich mir 17 gedacht hatte", antwortete Jossele ungeduldig. „Das ist ja eben das Aufregende an diesem Spiel, daß man nie -" „Ein Pfund", unterbrach ich trocken und warf eine Banknote auf den Tisch. Jossele legte seine Pfundnote herausfordernd langsam daneben. Die Spannung wuchs ins Unerträgliche. „54", sagte ich mit gezwungener Gleichgültigkeit. „Zu dumm!" fauchte Jossele. „Auch ich hab' mir 54 gedacht Gleichstand. Wir müssen noch einmal spielen. " In meinem Hirn arbeitete es blitzschnell. Du glaubst wahrscheinlich, daß ich wieder mit 11 oder etwas Ahnlichem herauskommen werde, mein Junge! Aber du wirst eine Überraschung erleben... Ich wählte die unschlagbare Ziffer 69 und sagte: „Jetzt kommst einmal du als erster heraus, Jossele. " „Bitte sehr. " Mit verdächtiger Eile stimmte er zu. „Mir kann's recht sein. 70!"

Ich mußte die Augen schließen. Mein Herz klopfte wie blöd. „Also?" drängte Jossele. „Wo bleibt deine Zahl?" „Jossele", flüsterte ich und senkte den Kopf. „Ob du's glaubst oder nicht: ich hab' sie vergessen.

„Lügner!" fuhr Jossele auf. „Du hast sie nicht vergessen, ich weiß es. Du hast dir eine kleinere Zahl gedacht und willst jetzt nicht damit herausrücken! Ein alter Trick! Schäm dich!" Am liebsten hätte ich ihm die Faust in seine widerwärtige Fratze geschlagen. Aber ich beherrschte mich, erhöhte den Einsatz auf zwei Pfund und dachte im gleichen Augenblick „96" - eine wahrhaft mörderische Zahl. „Komm heraus, du Stinktier!" zischte ich in Josseles Gesicht. Jossele beugte sich über den Tisch und zischte zurück: „1683!" Eine haltlose Schwäche durchzitterte mich. „1800", flüsterte ich kaum hörbar.

„Gedoppelt!" rief Jossele und ließ die vier Pfund in seiner lasche verschwinden.

„Wieso gedoppelt? Was soll das heißen?!" „Nur ruhig. Wenn du beim Poker die Selbstbeherrschung verlierst, verlierst du Hemd und Hosen", sagte Jossele lehrhaft. „Jedes Kind kann dir erklären, daß meine Ziffer als gedoppelte höher ist als deine. Und deshalb... " „Genug!" schnarrte ich und schleuderte eine Fünfpfundnote auf den Tisch. „2000!" „2417!"

„Gedoppelt!" Mit höhnischem Grinsen griff ich nach dem Einsatz, aber Jossele fiel mir in den Arm. „Zurückgedoppelt!" sagte er mit unverschämtem Nachdruck, und die zehn Pfund gehörten ihm. Vor meinen Augen flatterten blutigrote Schleier. „So einer bist du also", brachte ich mühsam hervor. „Mit solchen Mitteln versuchst du mir beizukommen! Als hätte ich's beim letztenmal nicht ganz genauso machen können. " „Natürlich hättest du's ganz genauso machen können", bestätigte mir Jossele. „Es hat mich sogar überrascht, daß du es nicht gemacht hast. Aber so geht's im Poker, alter Freund. Entweder kannst du es spielen, oder du kannst es nicht spielen. Und wenn du es nicht spielen kannst, dann laß die Finger davon. " Der Einsatz betrug jetzt zehn Pfund. „Deine Ansage, bitte!" knirschte ich. Jossele lehnte sich zurück und gab mit herausfordernder Ruhe seine Zahl bekannt: 4 „100000!" trompetete ich.

Ohne das geringste Zeichen von Erregung kam Josseles Stimme: „Ultimo!" Und er nahm die zwanzig Pfund an sich. Schluchzend brach ich zusammen. Jossele strich mir tröstend über den Scheitel und belehrte mich, daß nach irgendeiner Regel der, der als erster „Ultimo" ansagt, auf jeden Fall und ohne Rücksicht auf die Zahl gewinnt. Das sei ja gerade der Spaß am Poker, daß man innerhalb weniger Sekunden... „Zwanzig Pfund!" Aufwimmernd legte ich mein letztes Geld in die Hände des Schicksals. Josseles zwanzig Pfund lagen daneben. Auf meiner Stirn standen kalte Schweißperlen. Ich faßte Jossele scharf ins Auge. Er gab sich den Anschein völliger Gelassenheit, aber man konnte doch sehen, wie seine Lippen ein wenig zitterten, als er mich schließlich fragte: „Wer sagt an?"

,, Du", antwortete ich lauernd. Und er ging mir in die Falle wie ein Gimpel.

„Ultimo", sagte er und streckte die Hand nach dem Goldschatz aus.

Jetzt war es an mir, seinen Griff aufzuhalten. „Einen Augenblick", sagte ich eisig. „Ben Gurion!" Und schon hatte ich die vierzig Pfund bei mir geborgen. „Ben Gurion ist noch stärker als Ultimo", erläuterte ich. „Aber es wird spät Wir sollten Schluß machen, alter Freund. " Schweigend erhoben wir uns. Ehe wir gingen, unternahm Jossele einen kläglichen Versuch, sein Geld zurückzubekommen. Er behauptete, das mit Ben Gurion sei eine Erfindung von mir. Ich widersprach ihm nicht. Aber, so sagte ich, darin besteht ja gerade der Reiz des Pokerspiels, daß man gewonnenes Geld niemals zurückgibt.

Renana und die Puppen

Das Unglück begann, als im Kindergarten ein Knabe namens

Doron verkündete:

„Ich hab' Theater geseh'n."

Das genügte Renana. Sie kam sofort zu ihrem Papi gelaufen und rief:

„Ich will auch Theater haben!"

„Du bist noch zu klein, um ins Theater zu gehen", antwortete ich. „Das kommt nicht in Frage, verstanden? Und damit Schluß." Am nächsten Abend besuchten wir eine Vorstellung des Teatro dei Piccoli, ein berühmtes Marionettentheater aus Italien, das gerade in Israel spielte.

Schon unterwegs konnte ich feststellen, daß Renana eine sehr heftige Beziehung zum Theater besaß, eine Art Naturbegabung, die sie zur Bühne hinzog. Sie sagte es selbst: „Wenn ich groß bin, will ich Theater spielen." „Und was willst du spielen?"

„Schnurspringen"

Vielleicht lag es daran, daß sie noch nie im Theater war und deshalb ein wenig erschrak, als es im Zuschauerraum dunkel wurde. „Papi", flüsterte sie ängstlich, „warum wird's finster?" „Im Theater wird's immer finster. " „Warum?"