„Weil jetzt die Vorstellung beginnt. " „Aber warum im Finstern?" Wie sollte ich es ihr bloß erklären? „Renana", sagte ich streng, „sei still, oder wir gehen. " Zum Glück hob sich der Vorhang, und die Bühne war alsbald von einer Menge kunstvoll bewegter Marionetten bevölkert. Renana betrachtete sie mit aufgerissenen Augen. „Papi, warum tanzen die dummen Puppen?" „Sie freuen sich, daß Renana ihnen zuschaut" „Dann sollen sie's sagen, aber nicht tanzen. Genug getanzt, dumme Puppen!" rief sie zur Bühne hinauf. „Aufhören!" „Pst! Schrei nicht!" „Aber warum tanzen sie?" „Es ist ihr Beruf. Papi schreibt, Renana ruiniert Möbel, und Puppen tanzen"
Auf diese Auskunft hin begann Renana das Lied von den drei kleinen weißen Mäusen zu singen, und zwar ziemlich laut. Unter unseren Sitznachbarn machte sich Ärger bemerkbar. Einige machten unverschämte Bemerkungen über idiotische Eltern, die ihre dummen Kinder ins Theater mitnehmen. Da Renana auf diese Feindseligkeiten mit Tränen zu reagieren drohte, versuchte ich sie schnell abzulenken: „Siehst du, wie hoch die Puppe dort springt?" „Keine Puppe", widersprach Renana. „Schauspielmann. " „Das ist kein Schauspieler, Liebling. Das ist eine Marionette. Eine Puppe aus Holz und an Faden. " „Mann", beharrte Renana. „Aber du siehst doch, daß sie aus Holz geschnitzt ist. " „Holz? Wie ein Baum?" „Nein. Wie ein Tisch. " „Und die Fäden? Warum Fäden?" „Alle diese Puppen werden an Faden gezogen. " „Nicht Puppen. Schauspielmänner. "
Da sich Renana von mir allein nicht überzeugen ließ, rief ich den Platzanweiser zu Hilfe:
„Sagen Sie bitte, lieber Herr Oberplatzanweiser - sind das dort oben Schauspieler oder nur Puppen?" „Selbstverständlich Schauspieler", antwortete der Schwachkopf und zwinkerte mir zu. „Echte, lebendige Schauspieler. " „Siehst du", sagte Renana. Sie hat ohnehin keine sehr hohe Meinung von mir. Und jetzt wollte ich ihr gar noch einreden, daß Puppen tanzen und singen können... „Warum hab' ich keine Fäden?" begehrte sie zu wissen. „Weil du keine Puppe bist. "
„Doch, ich bin eine. Mami hat schon oft Puppe zu mir gesagt. " Und sie begann zu weinen.
„Du bist eine Puppe, du bist eine kleine, süße Puppe", beruhigte ich sie. Aber ihre Tränen versiegten erst, als auf der Bühne eine größere Anzahl von Tieren erschien.
„Wauwau", machte Renana. „Miau! Kikeriki! Was ist das dort, Papi?"
Sie deutete auf ein hölzernes Unding, das wie eine Mischung aus Eichhörnchen und Kalb aussah. „Ein schönes Tier, nicht wahr, Renana?" „Ja. Aber was für eines?" „Ein Gnu", sagte ich verzweifelt „Warum?" fragte Renana.
Ich verließ das Theater abgemagert und um mindestens ein Jahr gealtert. Renana hingegen hatte nichts von ihrer Munterkeit eingebüßt.
„Mein Papi sagt", erklärte sie der mit uns hinausströmenden Menge, „daß die Schauspielmänner mit Fäden angebunden sind, damit sie nicht davonlaufen können. " Die Menge maß mich mit verächtlichen Blicken, die ungefähr besagten: Es ist doch unglaublich, welchen Blödsinn manche Väter ihren Kindern erzählen. Und die Polizei steht daneben und tut nichts.
Amir gewinnt
Von einer Auslandsreise brachte ich meinem Sohn Amir ein Tischfußballfeld mit. Der Fußballtisch besteht aus einem hellgrün angestrichenen Spielfeld mit einem Tor an jedem Ende und einer Anzahl von Querstangen, an denen auf beiden Seiten gleichviel grüne und orangefarben bemalte Spielerfiguren befestigt sind. An beiden Enden jeder Querstange befindet sich ein Griff, durch dessen Drehung die Spielerfiguren so bewegt werden können, daß sie einen kleinen hölzernen Ball auf das gegnerische Tor zutreiben und womöglich ins Tor hinein. Es ist ein bezauberndes Spiel, und Amir fand an der Sache sofort Gefallen. Anfangs machte er mir den Eindruck einer gewissen Ungeschicktheit, aber es stellte sich bald heraus, daß er für das Mini-Fußballspiel überhaupt keine Begabung besaß. Nun, was soll's. Er kann sehr hübsch zeichnen und sehr gut kopfrechnen, also macht's nicht viel, daß er mit den Händen nicht so geschickt ist. Nicht, als wäre er außerstande, die Handgriffe an den Querstangen zu betätigen. Er betätigt sie. Nur gerät der Ball bei ihm niemals in die Richtung des fremden Tors. Ich mache mir deshalb keine übermäßigen Sorgen. Der Junge ist ansonsten recht gescheit und lebhaft.
Am lebhaftesten ist sein Ehrgeiz entwickelt. Amir will unbedingt Sieger bleiben. Wann immer er ein Tischfußballspiel gegen einen seiner Klassenkameraden verliert, wird sein Gesicht so rot wie seine Haare, und dicke Tränen rinnen ihm über die Wangen. Obendrein ist er, um das Unglück voll zu machen, ein leidenschaftlicher Tischfußballspieler. Er träumt von nichts anderem als von diesem Spiel; und natürlich davon, daß er gewinnt. Er hat den Holzpuppen, die seine Mannschaft bilden, sogar Namen gegeben. Die Stürmer heißen samt und sonders Pele, der Tormann heißt Sepp Maier, und alle übrigen heißen Bloch, nach dem besten Fußballspieler seiner Klasse. Infolge der zahlreichen Niederlagen, die er von seinen Freunden erdulden mußte, will Amir neuerdings nur noch gegen mich antreten. Dabei wirft er mir stumme Blicke zu, als wollte er mich beschwören: „Verlier, Papi! Bitte verlier!"
Ich muß gestehen, daß ich das als unfair empfinde. Warum soll ich verlieren? Auch ich gewinne lieber wie jeder normale Mensch. Wenn er siegen will, dann soll er eben besser spielen. Ich versuchte, ihm meine Haltung zu erklären: „Paß auf, Amir. Ich bin groß, und du bist klein, stimmt das?" „Ja. «
„Was würdest du von einem Papi halten, der sich von seinem kleinen Sohn besiegen läßt? Wäre ein solcher Papi in deinen Augen etwas wert?" „Nein. "
„Warum machst du dann so ein Theater, wenn du verlierst?" „Weil ich gewinnen will!" Und er begann heftig zu schluchzen. An dieser Stelle griff seine Mutter ein: „Laß ihn doch nur ein einziges Mal gewinnen, um Himmels willen", flüsterte sie mir zu. „Du muß Rücksicht nehmen. Wer weiß, was für seelischen Schaden du ihm zufügst, wenn du immer gewinnst... "
Ich unternahm eine übermenschliche Anstrengung, um Rücksicht zu nehmen. Immer wenn einer seiner Peles den Ball gegen mein Tor trieb, holte ich meinen Tormann höflich aus dem Weg, nur um Amir eine Chance zu geben, mir wenigstens einmal ein Tor zu schießen. Aber woher denn. Er kann sehr gut kopfrechnen, aber er wird wohl nie imstande sein, einen hölzernen Ball selbst in ein Tor zu treiben. Angesichts solcher Unfähigkeit verfiel ich auf den verzweifelten Ausweg, mir ein Eigentor zu schießen. Ich drehte die Kurbel meines Mittelstürmers... der Ball sprang an die Querstange... sprang zurück... und rollte langsam und unaufhaltsam in Amirs Tor. Neuerliches Geheul war die Folge und wurde von einem hemmungslosen Wutausbruch abgelöst. Amir packte das Tischfußballspiel, schleuderte es zu Boden, mitsamt allen Querstangen, Spielern und dem Holzball.
„Du willst mich nicht gewinnen lassen!" brüllte er. „Das machst du mit Absicht!"
Ich hob das verwüstete Spielfeld auf und baute es behutsam wieder zusammen. Dabei bemerkte ich, daß drei meiner Spieler ihre Köpfe verloren hatten und nur noch halb so groß waren wie zuvor. „Jetzt hast du mir die Mannschaft zerbrochen", sagte ich. „Wie soll ich mit diesen Stürmern weiterspielen? Sie kippen ja um und können den Ball nicht weitertreiben. " „Macht nichts. " Amir blieb ungerührt. „Spielen wir trotzdem weiter. "
Und in der Tat: Kaum hatten wir das Match wieder aufgenommen, drückte Amir aufs Tempo und gewann allmählich die Oberhand. Ich mochte meine verkürzten Spieler drehen und wenden, wie ich wollte - sie konnten den Ball einfach nicht mehr treffen. Auf Amirs Seite hingegen wanderte der Ball unbehindert von Bloch zu Pele, von Pele I zu Pele n - und endlich - endlich - ich ---" hob sicherheitshalber das eine Ende des Tisches ein wenig hoch -endlich landete der Ball in meinem Tor. „Hoho!" Amirs Siegesrufklang voller Triumph. „Tor! Tor! class="underline" 0 für mich! Ich hab' dich geschlagen! Hoho! Ich bin der Sieger... " Am nächsten Tag waren alle meine Spieler kopflos. Ich hatte sie geköpft. Damit mein Sohn gewinnt, ist mir nichts zu teuer. "