Выбрать главу

„Alle anderen Kinder sind im Wasser und spielen und schwimmen und lachen. Nur du stehst da und weinst. Warum weinst du?" „Weil ich Angst hab'. "

„Bist du denn schwächer oder dümmer als andere Kinder?" „ja.

„Wovor hast du Angst, Amirlein?" „Vor dem Ertrinken. "

„Wie kann man in diesem seichten Wasser ertrinken?" „Wenn man

Angst hat, kann man. "

„Nein, nicht einmal dann. " Ich versuche es ihm zu erklären: „Der menschliche Körper hat ein spezifisches Gewicht, weißt du, und schwimmt auf dem Wasser. Ich zeig's dir. " Papi legt sich auf den Rücken und bleibt gemächlich liegen. Das Wasser trägt ihn. Mitten in diesem lehrreichen und überzeugenden Beweis springt irgendein Idiot dicht neben mir ins Wasser. Die aufspritzenden Wellen überschwemmen mich, ich schlucke Wasser, mein spezifisches Gewicht zieht mich abwärts, und mein Sohn heult jetzt bereits im dritten Gang.

Nachdem ich nicht ohne Mühe wieder hochgekommen bin, wende ich mich an den Badewärter, der den Vorgang gleichmütig beobachtet hat.

„Bademeister, bitte sagen Sie meinem kleinen Jungen, ob hier im Kinderschwimmbecken jemand ertrinken kann. " „Selbstverständlich", antwortet der Bademeister. „Und wie!" So sieht die Unterstützung aus, die man von einem Bademeister bekommt, der doch helfen sollte, Kindern die Angst zu nehmen. Ich bin wieder einmal ganz auf mich selbst angewiesen. „Ich mach' dir einen Vorschlag, Amir. Du gehst ins Wasser, ohne daß ich dich anrühre. Du gehst so lange, bis dir das Wasser an die Knie reicht. Wenn du willst, gehst du weiter. Wenn du nicht weitergehen willst, bleibst du stehen. Wenn du nicht stehen bleiben willst, steigst du aus dem Wasser. Gut?" Amir nickt, heult und macht ein paar zögernde Schritte ins Wasser hinein. Noch ehe es ihm bis an die Knie reicht, dreht er sich um und steigt aus dem Wasser, um sein Geheul am Land wieder aufzunehmen. Dort heult sich's ja auch leichter. „Mami!" heult er. „Mami!"

Das macht er immer. Wenn ich ihn erziehen will, heult er nach Mami. Gleichgültig, ob sie ihn hören kann oder nicht. „Wenn du nicht sofort ins Wasser kommst, Amir, gibt's heute kein Fernsehen. "

War ich zu streng mit dem Kleinen ? Er heult und rührt sich nicht. Er rührt sich nicht und heult. Ich mache einen weiteren Versuch. „Es ist doch ganz einfach, Amir. Du streckst die Arme aus und zählst. Eins-zwei-drei. Schau, ich zeig's dir. Eins-zwei-dr... " Es ist klar, daß man nicht gleichzeitig schwimmen und zählen kann. Niemand hat mich das gelehrt. Außerdem bin ich kein Schwimmer, sondern ein Schriftsteller. Ich kann ja auch nicht gleichzeitig schwimmen und schreiben. Kein Mensch kann das, also bin ich untergegangen.

Mittlerweile hat sich Amir in die höchsten Töne gesteigert und röhrt drauflos, umringt von einer schaulustigen Menge, die mit Fingern auf seinen Vater weist. Ich springe aus dem Wasser und verfolge ihn rund um das Schwimmbecken. Endlich erwische ich ihn und zerre ihn ins Wasser. Dem Balg werde ich noch beibringen, wie man freiwillig schwimmen lernt! „Mami!" brüllt er. „Mami, ich hab' Angst!"

Das alles kommt mir irgendwie bekannt vor. Hat mich nicht auch mein eigener Vater ins Wasser gezerrt? Hab nicht auch ich verzweifelt nach meiner Mami gerufen? So ist das Leben. Alles wiederholt sich.

„Will nicht ins Wasser!" heult mein Sohn. „Will Mami!"

Ich halte ihn auf beiden Armen, etwa einen halben Meter über dem Wasser, und schenke seiner Behauptung, daß er ertrinkt, keinen Glauben.

„Eins-zwei-drei" kommandiere ich. „Schwimm!"

Er folgt meinen Anweisungen, wenn auch heulend. Ein Anfang ist gemacht. Aber da ich ihn nicht das Fliegen lehren will, sondern das Schwimmen, muß ich ihn wohl oder übel mit dem Wasser in Berührung bringen. Vorsichtig senke ich meine Arme abwärts. Amir beginnt zu strampeln und schlägt wild um sich. Von Schwimmbewegungen keine Spur.

„Schwimm!" höre ich mich brüllen. „Eins-zwei-drei!"

Jetzt hat er mich gebissen. Er beißt den eigenen Vater, der für ihn sorgt und ihm nichts als Liebe entgegenbringt. Zum Glück bin ich noch immer stärker als er. Ich zwänge seine Hüften in die eiserne Umklammerung meiner starken Schenkel, so daß sein Oberkörper auf der Wasserfläche liegt, und vollführe mit seinen Armen die vorgeschriebene Eins-zwei-drei-Bewegung. Eines Tags wird er's mir danken. Eines Tags wird er wissen, daß er ohne meine Fürsorge und meine engelsgleiche Geduld niemals die Wasser beherrscht hätte. Eines Tags wird er mich dafür lieben.

Vorläufig tut er nichts dergleichen. Im Gegenteil, er schlägt seine verhältnismäßig freien Fersen unablässig in meinen Rücken. Vorne heult er, hinten tritt er. Einst war auch mein Vater zwischen den starken Schenkeln meines Großvaters eingeklemmt und hat es überstanden. Auch du wirst es überstehen, mein Sohn, das verspreche ich dir.

Durch den Lautsprecher schallte die Stimme des Bademeisters: „Sie dort! Ja, Sie! Lassen Sie den Kleinen in Ruh! Sie bringen das Kind ja in Lebensgefahr!"

Ich steige mit Amir ans Ufer, lasse ihn brüllen und springe mit elegantem Schwung in die kühlen Wogen zurück, mit einem ganz besonders eleganten Schwung, der mich kühn über die aus dem Wasser herausragenden Köpfe hinwegträgt... weit hinaus in das Schwimmbecken... dorthin, wo es am seichtesten ist... Die Wiederbelebungsversuche des Badewärters hatten Erfolg. „Unglaublich", sagte er, indem er meine Arme sinken läßt. „Und Sie wollen einem Kind das Schwimmen beibringen."

Ein wirklicher Astronaut

„Ephraim", sagte die beste Ehefrau von allen, „unser Amir hat wieder einmal eine seiner Launen. "

Die Vorbereitungen für die Purim-Maskerade waren in vollem Gange. Rafi, unser Ältester, hatte das Kostüm eines Piraten mit leichtem Anhauch von Militärpolizei gewählt und war's zufrieden. Nicht so Amir. Er strich mit einem so saueren Gesicht durchs Haus, daß einem das Wisser im Mund zusammenlief wie beim Essen einer Zitrone. Ab und zu versetzte er dem in einer Ecke Hegenden Kostüm, das seine Mutti eigenhändig für ihn angefertigt hatte, im Vorübergehen einen wütenden Tritt. Die quergebügelten Hosen, die Stulpenstiefel, der mächtige, breitkrempige Texas-Hut, der Patronengürtel und die Revolver, kurzum: die komplette Ausstattung für den perfekten Cowboy - das alles stieß bei ihm auf finsterste Verachtung. „Was ist los mit dir, Amir?" fragte ich teilnahmsvoll. „Willst du kein Cowboy sein?" „Nein. Ich will ein Astronaut sein. " Das Unheil kam daher, daß er in seiner Kinder-Wochenzeitung etwas über den Mondflug von Apollo 13 gelesen hatte. "Immer mit der Ruhe", beruhigte ich ihn. „Wollen sehen, was sich machen läßt. " „Ganz richtig", stimmte seine Mutter zu. „Laß uns die Sache in Ruhe besprechen. "

Wir besprachen die Sache und kamen überein, daß der "Wunsch unseres Sohnes nichts Schlimmes war. Ein Astronaut zu sein, ist keineswegs das Schlechteste, was ein junger Mensch sich heutzutage wünschen kann. Also wollten wir ihm einen gerechten Vorschlag machen:

„Heuer wirst du noch ein Cowboy sein", wandte ich mich an Amir. „Und nächstes Jahr bist du ein Astronaut. " Die Antwort war ebenso lautstark wie ablehnend: „Nein! Nicht nächstes Jahr! Heuer! Heute! Jetzt! Sofort!" Ich mußte schweren Herzens nachgeben: „Schön, dann bist du also schon heuer ein Astronaut. Wir werden dir eine große Tafel umhängen und in ganz großen Buchstaben , Apollo 13' draufschreiben. " Amirs Entgegnung erfolgte abermals lautstark: „Damit bin ich noch kein Astronaut!" „So? Wie sieht ein Astronaut denn aus?" „Weiß ich nicht" schluchzte Amir. „Das müßt ihr wissen! Ihr seid die Erwachsenen!"

Die Lage wurde immer bedrohlicher. „Astro-", brüllte er,,, -naut, -naut, -naut! Astronaut!" Ich versuchte ihn zu beschwichtigen: „Gut, dann werden wir dir eben auch noch einen großen Schnurrbart ankleben. "