„Teuer" ist das richtige Wort. Ein Gespräch aus NewYork nach Tel Aviv kostet zum Beispiel acht saftige Dollar pro Minute. Sei's drum. Der Reisende holt tief Atem, greift nach dem Telefon. seines schäbigen Hotelzimmers, betätigt mit zitternder Hand die Drehscheibe und lauscht gespannt dem verheißungsvollen „biep-biep-biep", das ihm aus dem Apparat entgegentönt. Das erste Stadium der Fühlungnahme ist erreicht Ich werde mich kurz fassen. Mein Gespräch mit meiner Frau wird sich auf das Nötigste beschränken. Zu Hause alles in Ordnung? Die Kinder gesund? Ja, mir geht's gut. Ja, ich komme zurück, sobald ich kann. Wart noch mit den Rechnungen, die haben Zeit. Ich umarme dich, Liebste... Das wäre alles, und das kann höchstens drei Minuten dauern. „Hallo?" Ein süßes kleines Stimmchen klingt mir von jenseits des Ozeans ans Ohr. Es ist Renana, meine Jüngste, mein Augapfel. „Wer ist dort?"
„Hallo, Renana!" brülle ich in den Hörer. „Wie geht's dir?" „Wer dort?" sagt Renana. „Hallo!" „Hier ist Papi. " „Was?" „Papi spricht hier, Renana. Ist Mami zu Hause?*' „Wer spricht?" „Papi!" „Mein Papi?"
„Ja, dein Papi. Du sprichst mit deinem Papi. Und Papi will mit Mami sprechen. Bitte hol sie!" „Warte, warte. Papi? Hörst du mich, Papi?" Ja. «
„Wie geht's dir?"
„Fein. Mir geht's fein. Wo ist Mami?" „Bist du jetzt in Amerika, Papi? Nicht wahr, du bist in Amerika!" „Ja, in Amerika. Und ich hab' große Eile. " „Willst du mit Amir sprechen?"
„Ja. Schön. " (Ich kann nicht gut nein sagen, sonst kränkt er sich. ) „Hol ihn. Aber mach schnell. Auf Wiedersehen, Liebling. " „Was?"
„Auf Wiedersehen, hab' ich gesagt" „Wer spricht?" „Hol deinen Bruder!" „Auf Wiedersehen, Papi. " „Auf Wiedersehen, mein Kleines. Bussi. " „Was?" „Du sollst Amir rufen, zum Teufel!"
„Amir, wo bist du?" Renanas Stimme schrillt in eine andere Richtung. „Papi will mit dir sprechen. Amir! Aaa-miiir!" Bisher sind sieben Minuten vergangen, sieben Minuten zu je acht Dollar. Man sollte Kinder nicht ans Telefon heranlassen. Acht Minuten. Wo nur dieser rothaarige Bengel so lange bleibt? „Hallo, Papi!" „Hallo, mein Junge. Wie geht's dir?" „Danke gut Und dir?" „Auch gut. Alles in Ordnung, Amir?" „Ja. « «Fein. « Es tritt eine Pause ein. Aber die wichtigsten Dinge sind ja schon besprochen. „Papi?« „Ja. " „Renana will dir noch etwas sagen. "
Vor meinem geistigen Auge erscheint eine Art Zähluhr wie im Taxi, nur größer und mit alarmierend hohen Ziffern, welche ganz schnell laufen. Klick: zwölf Dollar... Klick: achtzehn... Klick: vierundzwanzig... Klick:... „Papi? Hörst du, Papi?" „Ja. "
„Gestern... Weißt du, gestern... " „Was - gestern?"
„Gestern... Amir, laß mich mit Papi sprechen! Papi, Amir will mich wegstoßen!"
„Hol Mami zum Telefon!" „Was?"
„Mami! Aber schnell!" „Warte... gestern... hörst du mich?"
„Ja, ich höre dich, gestern, was ist gestern geschehen, gestern, was, was war gestern?"
„Gestern war Moschik nicht im Kindergarten. "
„Wo ist Mami?"
„Wer?"
„M-a-m-i!"
„Mami ist nicht zu Hause. Hör zu, Papi!" „Ja?"
„Willst du mit Amir sprechen?"
„Nein. Auf Wiedersehen, Liebling. "
„Was?"
„Bussi. B-u-s-s-i!" „Gestern... "
An diesem Punkt wurde die Verbindung plötzlich unterbrochen. Möglich, daß ich eine unvorsichtige Bewegung gemacht habe und irgendwo angestoßen bin, wo sonst der Hörer aufliegt... Na schön, dann muß ich eben auflegen.
Aber da klingelt es schon wieder. Um Himmels willen, es wird doch nicht... ?
Nein, es ist die Telefonistin: „Das macht einhundertsechsundsechzig Dollar und siebzig Cent«
Rafi in der Tüte
Als vor Jahren in Tel Aviv der erste Supermarkt eröffnet wurde, kamen viele Leute.
Drei Tage lang vermieden meine Frau und ich es, ebenfalls hinzugehen. Dann konnten wir nicht mehr. Wir hatten gerade noch die Kraft zu einer Vorsichtsmaßregeclass="underline" Um dem Schicksal einiger unserer Nachbarn zu entgehen, die an einem einzigen Einkaufsnachmittag ihr ganzes Geld verloren, ließen wir unsere Brieftaschen zu Hause und nahmen statt dessen unseren Erstgeborenen Rafi in den Supermarkt mit.
Gleich am Eingang herrschte lebensgefährliches Gedränge. Wir wurden zusammengepreßt - und tatsächlich, da war es auch schon: „Sardinen!" rief meine Frau entzückt und machte einen Satz direkt an den Verkaufstisch, an dem sich bereits zahllose Frauen balgten. Man hätte an Hand der dort aufgestapelten Sardinenbüchsen eine kleine Weltreise zusammenstellen können: Es gab französische, spanische, portugiesische, italienische, jugoslawi- sehe, albanische und einheimische Sardinen, es gab Sardinen in Öl, in Tomatensauce und in Weinsauce.
Meine Frau entschied sich für norwegische Sardinen und nahm noch zwei Dosen von Ungewisser Herkunft dazu. „Hier ist alles so viel billiger", sagte sie. „Aber wir haben doch kein Geld mitgenommen?" „In meiner Handtasche habe ich zufällig noch eine Kleinigkeit gefunden. "
Mit diesen Worten bemächtigte sie sich eines Einkaufswagens, um die elf Sardinenbüchsen hineinzulegen. Nur aus Neugier, und um zu sehen, was das eigentlich sei, legte sie eine Dose mit der Aufschrift „Gold Syrup" dazu. Plötzlich wurde sie blaß und begann zu zittern: „Rafi!" brüllten wir beide aus vollem Hals. „Rafael! Liebling!" „Spielwarenabteilung zweiter Block links", informierte uns eine erfahrene Verkäuferin.
Im nächsten Augenblick zerriß ein betäubender, explosionsartiger Knall unser Trommelfell. Der Supermarkt erzitterte bis in die Grundfesten und neigte sich seitwärts. Wir seufzten erleichtert auf. Rafi hatte sich an einer kunstvoll aufgerichteten Pyramide von etwa fünfhundert Kompottkonserven zu schaffen gemacht und hatte die zentrale Stützkonserve aus der untersten Reihe herausgezogen. Um unseren kleinen Liebling für den erlittenen Schreck zu trösten, kauften wir ihm ein paar Süßigkeiten, Honig, Schweizer Schokolade, und holländischen Kakao. Während ich den Überfluß in unserem Einkaufswägelchen verstaute, sah ich noch eine Flasche Parfüm, ein Dutzend Notizbücher und zehn Kilo rote Rüben liegen. „Frau!" rief ich aus. „Das ist nicht unser Wagen!" „Nicht? Na wenn schon. "
Ich muß gestehen, daß sie recht hatte. Es war kein schlechter Tausch, den wir da gemacht hatten. Außer den bereits genannten Dingen enthielt unser neuer Wagen noch eine Anzahl verschiedener Käsesorten, Kompotte, Badetücher und einen Besen. „Können wir alles brauchen", erklärte meine Frau. „Fragt sich nur, womit wir es bezahlen sollen. "
„So ein Zufall. " Ich schüttelte verwundert den Kopf. „Eben habe ich in meiner Hosentasche die Pfundnote entdeckt, die ich neulich so lange gesucht habe. "
Gierig zogen wir weiter, wurden Zeugen eines Handgemenges dreier Damen, deren Laufkarren in voller Fahrt zusammengestoßen waren, und mußten dann aufs neue nach Rafis Verbleib forschen. Wir fanden ihn am ehemaligen Eierverkaufsstand. „Wem gehört dieser Balg?" schnaubte der Eierverkäufer, gelb vor Wut und Eidotter. „Wer ist für dieses Monstrum verantwortlich?" Wir schleppten unseren Sohn eilig mit uns, kauften noch einige Haushaltsdinge und kehrten zu unserem Wagen zurück, auf den irgend jemand in der Zwischenzeit ein paar Kisten griechischen Wein, eine Kiste Zucker und mehrere Kannen Öl aufgehäuft hatte. Um Rafi bei guter Laune zu halten, setzten wir ihn oben auf den Warenberg und kauften ihm ein japanisches Schaukelpferd, dem wir zwei Paar Hausschuhe unter den Sattel schoben. Dann angelten wir uns einen zweiten Wagen, stießen zur Abteilung „Fleisch und Geflügel" vor und kauften mehrere Hühner, Enten und Lämmer, verschiedene Wurstwaren, Frankfurter, Kalbsleberpastete, Karpfen, Krabben, Krebse und Lachs. Nach und nach kamen verschiedene Eierkuchen hinzu, Paprika, Zwiebeln, Kapern, eine Fahrkarte nach Capri, Zimt, Vanille, Äpfel, Nüsse, Pfefferkuchen, Feigen, Datteln, Langspielplatten, Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Blaubeeren, Haselnüsse, Kokosnüsse, Erdnüsse, Mandarinen, Mandolinen, Mandeln, Oliven, Birnen, elektrische Birnen (sechzig Watt), ein Aquarium, Brot, Schnittlauch, Leukoplast, ein Flohzirkus, ein Lippenstift, ein Korsett und noch ein paar kleinere Anschaffungen. Unseren aus sechs Wagen bestehenden Zug zur Kasse zu steuern, war nicht ganz einfach, weil das Kalb, das ich an den letzten Wagen angebunden hatte, immer zu seiner Mutter zurück wollte. Schließlich waren wir soweit, und der Kassier begann schwitzend die Rechnung zusammenzustellen. Sie belief sich auf nicht viel mehr als viertausend Mark. Was uns am meisten beeindruckte, war die Geschicklichkeit, mit der die Verkäufer unsere Warenbestände in große, braune Papiersäcke verpackten. Nach wenigen Minuten war alles fix und fertig. Nur Rafi fehlte. „Haben Sie nicht irgendwo einen ganz kleinen Buben gesehen?" fragten wir die Leute. Einer der Packer kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Augenblick... Einen blonden Jungen?" „Ja. Er beißt. " „Da haben Sie ihn. " Der Packer öffnete einen der großen Papiersäcke. Drinnen saß Rafi und kaute zufrieden an einer Tube Zahnpasta. „Entschuldigen Sie", sagte der Packer. „Ich dachte, Sie hätten den Kleinen hier gekauft. "