Bolitho fuhr fort:»Sie haben sehr geistesgegenwärtig gedacht, meine Dame.»
«Ich weiß über manche Dinge gut Bescheid, Kapitän! Ich sah Ihre Augen, als Sie mit Ihrem Leutnant und Sir James sprachen. Es ist noch Schlimmeres im Anzug, nicht wahr?»
Bolitho zuckte die Achseln.»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.»
Er hörte die Stimme des Generals, der einen Seemann anbrüllte, und fuhr fort:»Dieser Mann macht mir immer Schwierigkeiten.»
Sie lächelte und machte einen spöttischen Knicks.»Sir James kann recht schwierig sein, das gebe ich zu.»
«Kennen Sie ihn?»
Sie ging zu den anderen Frauen zurück.»Mein Onkel, Kapitän«, sagte sie lachend.»Sie müssen wirklich versuchen, Ihre Gefühlsausbrüche besser zu verbergen. Sonst werden Sie nie Admiral!»
Tyrell trat wieder heran.»Diese Frau unten in der Kajüte ist krank. Aber Dalkeith weiß gut genug Bescheid in solchen Dingen. «Er runzelte die Stirn.»Und wie sieht es mit Ihnen aus, Sir?»
Bolitho räusperte sich.»In Gottes Namen, hören Sie auf, mich so dumm zu fragen!«»Aye, Sir. «Er grinste, als er das Mädchen an der Reling und Bolithos Verwirrung bemerkte.»Ich verstehe, Sir.»
Ein dumpfer Knall erschütterte die Luft. Alle wandten sich um, und Bolitho sah ein Rauchwölkchen von einem der Backbordgeschütze der Sparrow wegtreiben.
Der General kam keuchend die Leiter herauf und schrie:»Was war das?»
«Das verabredete Signal, Sir«, antwortete Bolitho.»Mein Ausguck hat den Feind gesichtet.»
Er betrachtete weder den General noch die Leute um ihn herum. Seine Gedanken erfaßten diese eine wichtige Tatsache. In gewisser Hinsicht war es fast eine Erleichterung, nun die Entscheidung endgültig treffen zu müssen.
«Mr. Tyrell, die Bonaventure wird noch einige Stunden brauchen, bis sie hier ist und ihre Absichten zu erkennen geben kann. Dann dürfte es für ihren Kapitän zu spät zum Angriff sein. Warum sollte er auch? Er braucht nur die Morgendämmerung abzuwarten, um dann zuzuschlagen.»
Tyrell beobachtete ihn und war beeindruckt von seinem ruhigen Ton.
Bolitho fuhr fort:»Wenn der Wind uns keinen Strich durch die Rechnung macht, werden wir die Passagiere zur Sparrow übersetzen können. Ich möchte jedes Boot im Einsatz haben und verlange, daß alle Mann, die nicht verletzt oder krank sind, die Befehle mit aller Kraft ausführen.»
«Ich verstehe. «Tyrell musterte ihn ungerührt.»Etwas anderes können Sie nicht tun. Manch einer würde die Royal Anne mit allen Seeleuten und Passagieren ihrem Schicksal überlassen.»
Bolitho schüttelte seinen Kopf.»Sie haben nicht verstanden, Tyrell. Ich habe nicht vor, die Royal Anne im Stich zu lassen oder zu versenken, damit sie nicht in die Hände der Feinde fällt. «Er sah, wie sich Tyrells Kiefer zusammenpreßten, bemerkte die plötzliche Spannung in seinen Augen.
«Ich beabsichtige, mit sechzig Freiwilligen hier an Bord zu bleiben. Was später geschehen wird, hängt hauptsächlich vom Kapitän der Bonaventure ab.»
Er hatte nicht bemerkt, daß sich die anderen um ihn zusammengedrängt hatten, aber er drehte sich nun um, als der General aufschrie:»Das können Sie nicht! Wagen Sie es nicht, dieses Schiff mit seiner Ladung aufs Spiel zu setzen! Verdammt, hier habe ich auch ein Wörtchen mitzureden.»
An Bolithos Arm raschelte Seide. Er hörte die ruhige Stimme des Mädchens:»Sei still, Onkel. Der Kapitän hat mehr vor, als nur etwas zu wagen. «Sie schaute Blundell unverwandt an.»Er hat vor, für uns zu sterben. Ist das nicht genug — selbst für dich?»
Bolitho nickte kurz und ging davon. Hinter sich hörte er Stock-dales Stimme, der sich beeilte, seinen Rückzug zu decken. Er mußte jetzt nachdenken, jeden Augenblick bis zur endgültigen Sekunde des Todes vorplanen. Er blieb stehen und lehnte sich gegen die verzierte Reling. Der Tod. Sollte er so bald schon über ihn kommen?
Er wandte sich zornig um.»Geben Sie Befehl an die Boote, sofort mit dem Übersetzen anzufangen! Zuerst Frauen und Kinder, dann die Verletzten.»
Er blickte dem davoneilenden Steuermann Jennis nach und bemerkte, wie ihn das Mädchen anstarrte.»Und keine Einwände, von niemandem!»
Er schritt über das Deck und betrachtete sein eigenes Schiff. Wie großartig es aussah, da es sich vorsichtig näher an den Indienfahrer heranschob. Jetzt würde er bald die Segel des Feindes am Horizont auftauchen sehen. Er würde heransegeln und sich wie der Jäger auf seine Beute stürzen. Es gab noch so viel zu tun. Befehle, welche die Korvette nach Antigua zu bringen hatte. Vielleicht sogar noch ein kurzer Brief an seinen Vater. Aber nicht sofort! Jetzt mußte er erst noch ein paar Augenblicke still stehenbleiben, um sein Schiff zu bewundern. Er mußte sich seine schnittigen Umrisse einprägen, bevor es ihm genommen wurde.
Bolitho starrte immer noch über das Wasser, als Tyrell meldete, daß alle verfügbaren Boote eingesetzt seien, um Besatzung und Passagiere der Royal Anne zur Sparrow zu bringen.»Sie wird noch schlimmer vollgestopft werden als damals, da wir die Rotröcke retteten, Sir. «Er zögerte und fuhr dann fort:»Ich würde gern bei Ihnen bleiben, Sir.»
Bolitho schaute ihn nicht an.»Sind Sie sich darüber im klaren, was Sie sagen? Hier steht mehr auf dem Spiel als Ihr Leben.»
Tyrell versuchte zu grinsen.»Hector Graves wird einen besseren Kommandanten abgeben, Sir.»
Jetzt wandte sich Bolitho ihm zu.»Sie werden gegen einige Ihrer eigenen Leute kämpfen müssen.»
Tyrell lächelte.»Ich wußte, daß es das war, was Sie dachten. «Er deutete auf einige Seeleute der Sparrow, die eben eine ältere Frau zu den Booten trugen.»Das dort sind meine Leute, kann ich also bleiben?»
Bolitho nickte.»Gerne!«Er zog den Hut vom Kopf und fuhr mit den Fingern durch sein Haar.»Ich will jetzt gehen und die Befehle für Graves niederschreiben.»
«Wahrschau an Deck! Segel backbord querab!»
Sie sahen sich in die Augen. Dann sagte Bolitho leise.»Treiben Sie die Leute an. Ich möchte nicht, daß der Feind sieht, was wir vorhaben.»
Als er wegging, starrte ihm Tyrell nach und murmelte:»So sei's denn, Käptn!»
Er hörte ein plötzliches Geschrei und bemerkte, wie das Mädchen, das Bolitho so zornig gemacht hatte, mit Stoßen und Schlagen die Absperrkette der Seeleute zu durchbrechen suchte.
Ein Bootsmannsmaat brüllte:»Sie will nicht von Bord, Sir!«Das Mädchen hämmerte mit ihren Fäusten auf dem nackten Arm des Seemanns herum, doch er schien es gar nicht zu spüren.
«Lassen Sie mich bleiben, ich will hier sein«, rief sie Tyrell zu.
Er grinste auf sie herunter und deutete auf ein längsseits liegendes Boot. Strampelnd und protestierend wurde sie hochgehoben und zur Reling getragen, dann ohne jede Feierlichkeit wie ein gelbseidenes Paket ins Boot hinunterbefördert.
Der Himmel war bereits viel dunkler, als Bolitho das Deck wieder betrat. In der Hand trug er einen versiegelten Umschlag. Sein Boot wartete am Bug angehakt. Alle anderen Boote waren bereits an Deck gehievt, und das Schiff schien leer und still in der Dünung zu rollen. Er hob ein Teleskop und richtete es querab über die See. In etwa sechs Meilen Entfernung konnte er jetzt die Bonaventure sehen. Aber sie hatte bereits ihre Segel gerefft und wartete, wie er vermutet hatte, auf den nächsten Tag.
Tyrell tippte an seinen Hut.»Unsere Leute sind an Bord, Sir. «Er deutete auf das Hauptdeck, wo Fähnrich Heyward mit einem Unteroffizier sprach.»Ich habe sie selbst ausgesucht, aber Sie hätten noch viel mehr Freiwillige haben können.»
Bolitho übergab einem Seemann den Umschlag.»Geben Sie das an unser Beiboot weiter. «Dann sagte er langsam zu Tyrelclass="underline" »Gehen Sie unter Deck und ruhen Sie sich ein bißchen aus. Ich muß mir inzwischen verschiedenes durch den Kopf gehen lassen.»
Wenig später hatte sich Tyrell in einer verlassenen Kabine niedergelegt. Auf dem Fußboden lagen aufgebrochene Kisten und herausgerissene Kleidungsstücke. Über sich hörte er die ruhelosen Schritte Bolithos auf den Decksplanken. Hin und her, auf und ab. Vielleicht lag es an diesem gleichmäßigen Pochen, daß ihm die Augenlider herabsanken. Er fiel in tiefen, traumlosen Schlaf.