Выбрать главу

Bolitho stand mit gespreizten Beinen auf dem Achterdeck der Royal Anne. Soeben sah er zum ersten Mal an diesem Morgen seinen Schatten über das Schanzkleid fallen. Wie langsam war diese Nacht vergangen! Aber nun beim ersten Morgenschimmer schien alles gleichzeitig zu beginnen, wie bei einem schlecht einstudierten Drama. Backbord querab sah er die sich immer deutlicher abzeichnende Segelpyramide der Bonaventure, die sich zielbewußt vor dem Wind näherte. Sonderbarerweise war ihr Rumpf immer noch in Schatten gehüllt. Nur ein weißschimmernder Schaumstreifen vor dem Bug verriet ihre wachsende Geschwindigkeit. Sie war jetzt etwa drei Meilen entfernt. Er schwenkte sein Glas nach der anderen Seite zu einer kleinen Korvette hin. Die Sparrow lag viel näher, aber dennoch wirkte sie sehr viel kleiner als das Kaperschiff.

Tyrell trat an seine Seite.»Der Wind scheint ziemlich stetig zu sein, Sir. Nordwest zu Nord. «Er sprach mit verhaltener Stimme, als ob er fürchtete, die Schiffe in ihren bedächtigen Vorbereitungen zum Kampf zu stören. Bolitho nickte.»Wir werden Südost steuern. Genau das erwartet der Feind von uns.»

Er riß seine Augen von dem Kaperschiff los und blickte über das Deck des Indienfahrers hin. Das neue Focksegel zog gut, ebenso das Besansegel und der Klüver. Der Rest war wenig besser als Lappen, und der Versuch, den Kurs mehr als einen Strich zu ändern, wäre reine Zeitvergeudung.

Tyrell seufzte.»Ich habe die Kanonen selbst nachgesehen, Sir. Sie sind geladen, wie befohlen. «Er kratzte sich den Bauch.»Einige sind so alt, daß sie zerspringen würden, wenn wir sie doppelt laden.»

Bolitho schaute wieder zurück und beobachtete die anderen Schiffe. Langsam führte er sein Fernglas über das Deck der Sparrow, sah die Leute hinter dem Schanzkleid und einen einzelnen Seemann auf der Großmastsaling. Dann, als ein verspielter Windstoß das Unterliek des Großsegels wie eine Müllerschürze anhob, entdeckte er Graves. Er stand neben dem Ruderrad, hatte die Arme verschränkt und glich in jedem Zoll einem Kapitän. Bolitho atmete langsam aus. So viel hing von Graves ab. Wenn er den Kopf verlor oder seine sorgfältig abgefaßten Anweisungen falsch auslegte, dann könnte der Feind immer noch mit einem Schlag zwei Fliegen fangen. Aber Graves hatte den ersten Teil der Befehle richtig erfaßt. Er trug Bolithos neue Uniform. Die Goldlitzen waren trotz des schwachen Lichtes deutlich zu sehen. Sicher würde der feindliche Kapitän vorsichtig und wachsam sein. Nichts durfte jetzt falsch anlaufen. Gott allein wußte, wie die vielen Passagiere unter Deck außer Sicht zusammengepfercht worden waren. Das Schiff mußte ihnen wie ein verriegeltes Grab vorkommen. Für die Frauen und Kinder mußte es ein Alptraum sein, sobald das Geschützfeuer einsetzte.

Fähnrich Heyward kam aufs Achterdeck und meldete:»Unsere Entermannschaft ist bereit, Sir.»

Wie Bolitho und Tyrell hatte auch er seine Uniform abgelegt und wirkte nun in Kniehosen und offenem Hemd noch jugendlicher.

«Danke. «Bolitho bemerkte, daß er statt des kurzen Säbels eines Fähnrichs einen seiner kostbaren Degen trug.

Ein Schuß krachte dumpf, und er sah, wie ein Geschoß von den eilig ziehenden Wellenkämmen abprallte und dann eine weiße Gischtfahne zwischen ihm und dem Bug der Sparrow hochwarf. Ein Probeschuß, eine Absichtserklärung? — Wahrscheinlich beides, dachte er grimmig. Trotz des Flatterns zerrissenen Segeltuchs klang von der Sparrow her das Wirbeln der Trommeln über das Wasser. Bolitho stellte sich vor, wie dort nun die Leute auf ihre Gefechtsstationen rannten. Die zweite Phase! Er sah den scharlachroten Fleck der Flagge, die übermütig an der Gaffel hochsauste, und fühlte ein Würgen in seiner Kehle, als die Geschützpforten sich öffneten und die Reihen der Kanonen enthüllten.

Graves hatte weniger als die Hälfte der Besatzung zur Verfügung. Er mußte einige Leute des Indienfahrers zum Dienst gepreßt haben, da er die Geschütze so sauber ausrennen konnte. Aber es mußte alles vollkommen echt aussehen, so als ob sich die Korvette zum Widerstand vorbereitete und versuchen wollte, ihren schwerfälligen Genossen zu verteidigen.

Wieder ein Schuß! Die Kugel pflügte etwa eine Kabellänge vor der Sparrow durch die See.

Bolitho biß die Zähne aufeinander. Jetzt konnte es Graves gerade noch schaffen. Sollte der Wind in diesem Augenblick schralen, wäre es ihm nicht mehr möglich, rechtzeitig zu wenden. Er läge dann unter dem Geschoßhagel des Feindes, wenn er versuchte, abzufallen und das Manöver noch einmal einzuleiten.

«Jetzt!«zischte Tyrell heiser.

Die Rahen der Korvette schwangen herum. Ihre Leereling tauchte schwer in die Dünung ein, und sie begann mit dichtgeholten Segeln auf den Backbordbug zu wenden. Jetzt passierte sie das Heck der Royal Anne wie ein kleiner Wachhund. Signalflaggen sausten an der Rah hoch, und Bolitho stellte sich vor, wie Bethune seinen Leuten zurief, sich zu beeilen und das sinnlose Signal aufzuhissen. Der Feind mußte glauben, daß sich die Sparrow auf ihren Todeskampf vorbereitete und dem Kompanieschiff befahl, Reißaus zu nehmen.

Geschützfeuer blitzte entlang der vordersten Batterie derBona-venture auf, und die Einschläge tasteten sich immer näher an die stark überliegende Sparrow heran. Graves ließ jetzt die hinderlichen Segel über den Geschützen aufgeien, obwohl er kaum den vierten Teil der Kanonen bemannt haben konnte.

Zwischen zusammengebissenen Zähnen preßte Tyrell die Worte heraus:»Hector, das ist jetzt nahe genug! Um Himmels willen, laß dich nicht auffressen!»

Ein schwerer Schuß rollte über das haiblaue Wasser, und obwohl das Mündungsfeuer hinter dem Rumpf der Sparrow verborgen war, wußte Bolitho, daß eines der Buggeschütze abgefeuert worden war. Er sah, wie die Kugel kurz vor der Back des Feindes in den Gischt platschte und dann das Vorschnellen orangefarbener Zungen, als die Bonaventure augenblicklich zurückfeuerte.

Auf der Sparrow bebte die Vorbramstenge, dann knickte sie ab und stürzte in den braunen Rauch hinunter. Das Segel verfing sich mehrmals im Tauwerk des Riggs, bevor es in die See eintauchte. In einigen Segeln zeigten sich jetzt Löcher, und Bolitho hielt den Atem an, als einige Wanten über dem Achterschiff in einem schweren Treffer ruckten und brachen.

Der Feind war jetzt schon sehr nahe. Sein Vormarssegel wölbte sich, und genau vorm Wind segelnd griff er die Sparrow an, die weniger als zwei Kabellängen von seinem Steuerbordbug entfernt lag.

«Er hat's geschafft«, rief Tyrell.»Verdammt, jetzt geht er über Stag!»

Die Sparrow wendete. Ihre Masten richteten sich auf, als sie gewaltsam herumkam. Das zunehmende Sonnenlicht ließ ihre Segel aufleuchten, die unter der Beanspruchung flappten und rüttelten.

Das Geschützfeuer hatte aufgehört, denn die Korvette bot nun, da sie ihr Heck gegen den Feind drehte, kein gutes Ziel. Jetzt wurde auf der Sparrow das Focksegel losgemacht, und während ihre Geschwindigkeit zunahm, sah Bolitho die Toppsgasten wie schwarze Insekten über die Rahen laufen. Immer mehr Segel blähten sich im Wind. Deutlich konnte er Buckle an der Achterdecksreling ausmachen. Seine Aufgabe hielt ihn so sehr in Spannung, daß er sich im Vorbeisegeln gar nicht um den schwerfälligen Kauffahrer kümmerte. Schon lag die Sparrow querab, und nach wenigen Minuten hatte sie bereits den Bug der Royal Anne passiert. Sie fuhr den ersten Sonnenstrahlen entgegen, die über den weiten Horizont tauchten.

Bolithos Mund fühlte sich trocken an. Seine Arme und Beine erschienen ihm unsicher, als ob sie zu jemand anderem gehörten. Auf der Bonaventure wurde jetzt die Fock aufgegeit und enthüllte die ganze Breite des Achterdecks, die vielen Menschen, die an der Reling standen und der fliehenden Korvette nachdeuteten und winkten. Zweifellos stießen sie jetzt ein Freudengebrüll aus. Die ganze Wildheit des bevorstehenden Gefechts verlor sich jetzt in den verblüfften Reaktionen auf einen nicht erkämpften Sieg.