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Manchmal sagte sie: »Den, den ich will, werde ich nie finden, einen andern will ich aber nicht!«

»Und wenn du ihn doch findest?« fragte Anna.

»Wenn ich ihn finde, so nehme ich ihn mir.«

»Und wenn er sich nicht hergibt?«

»Dann... dann nehme ich mir das Leben. Dann tauge ich also nicht.«

Klaras Vater (der seine Frau zuweilen im Rausche fragte: »Von wem hast du diese schwarze Hexe? Von mir ist sie sicher nicht!«) wollte sie möglichst schnell loswerden und verlobte sie mit einem reichen jungen, furchtbar dummen Kaufmann, einem von den »Gebildeten«. Zwei Wochen vor der Hochzeit (sie war erst sechzehn) ging sie mit gekreuzten Armen, mit den Fingern auf den Ellenbogen spielend (das war ihre liebste Stellung), auf ihren Bräutigam zu und versetzte ihm plötzlich mit ihrer großen kräftigen Hand einen Schlag auf seine rosige Wange! Er sprang auf und riß nur das Maul auf – es ist zu bemerken, daß er maßlos in sie verliebt war.

Er fragte sie: »Wofür?«

Sie lachte nur auf und ging.

»Ich war im gleichen Zimmer«, erzählte Anna, »und war Zeugin. Ich lief ihr nach und fragte: ›Katja, was fällt dir ein?‹ Sie aber antwortete: ›Wenn er ein Mann wäre, so hätte er mich verprügelt, er ist aber eine nasse Henne! Und er fragt noch: Wofür? Wenn du mich liebst und mich nicht strafen willst, so mußt du eben dulden und darfst nicht fragen, wofür! Er kriegt mich nicht, solange er lebt!‹ Sie nahm ihn auch wirklich nicht. Bald darauf lernte sie jene Schauspielerin kennen und verließ unser Haus. Mütterchen weinte, Vater aber sagte: ›Die widerspenstige Ziege muß aus der Herde hinaus!‹ Und er tat nichts, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Der Vater verstand Klara nicht. Am Tag vor ihrer Flucht erwürgte sie mich beinahe in ihren Armen«, fügte Anna hinzu, »und sagte dabei immer: ›Ich kann nicht anders! Das Herz bricht mir entzwei, ich kann aber nicht anders! Zu eng ist mir euer Käfig... meine Flügel finden keinen Platz darin! Niemand kann seinem Schicksal entgehen.‹ «

»Später sahen wir uns nur sehr selten«, bemerkte Anna. »Als der Vater starb, kam sie für zwei Tage nach Hause, wollte nichts von der Erbschaft nehmen und verschwand wieder. Es war ihr schwer, bei uns zu leben. Ich sah es. Dann kam sie als Schauspielerin nach Kasan.«

Aratow begann Anna über das Theater auszufragen, über die Rollen, in denen Klara auftrat, und über ihre Erfolge.

Anna antwortete ausführlich mit dem gleichen traurigen Ausdruck, wenn auch mit großem Feuer. Sie zeigte Aratow sogar eine Photographie, auf der Klara in einer ihrer Rollen dargestellt war. Auf dem Bild blickte sie zur Seite, wie wenn sie sich von den Zuschauern abwenden wollte; der mit einem Band durchflochtene dicke Zopf fiel wie eine Schlange auf den entblößten Arm herab. Aratow betrachtete die Photographie lange, fand sie ähnlich, erkundigte sich, ob Klara auch in Rezitationsabenden aufgetreten sei, und erfuhr von Anna, daß sie nur in Bühnenrollen aufgetreten war, weil sie die Aufregung des Theaters und der Bühne brauchte... Aber eine andere Frage brannte ihm auf den Lippen.

»Anna Ssemjonowna!« rief er schließlich aus, nicht laut, doch mit besonderer Kraft: »Sagen Sie mir, ich flehe Sie an, sagen Sie mir, warum sie... warum sie sich zu dieser schrecklichen Tat entschlossen hat!«

Anna senkte die Augen. »Ich weiß es nicht!« sagte sie nach einer Weile. »Bei Gott, ich weiß es nicht!« fuhr sie in fieberhafter Hast fort, als sie sah, daß Aratow ungläubig die Arme spreizte. »Vom Tag ihrer Ankunft an war sie nachdenklich und finster. Sie hatte in Moskau zweifellos irgend etwas erlebt, was ich unmöglich erraten kann. Aber an jenem verhängnisvollen Tag schien sie, ich will nicht sagen, lustiger, doch ruhiger als sonst. Ich hatte sogar keine Vorahnung«, fügte Anna mit bitterem Lächeln hinzu, als ob sie sich etwas vorzuwerfen hätte.

»Sehen Sie«, fing sie wieder an, »es war ihr wohl schon vom Schicksal beschieden, unglücklich zu sein. Von ihrer frühesten Kindheit an war sie davon überzeugt. Zuweilen stützte sie den Kopf in die Hand und sagte nachdenklich: ›Ich werde nicht lange leben!‹ Sie hatte Vorahnungen. Denken Sie sich nur: Sie sah schon vorher im Traume und manchmal auch im Wachen, was ihr bevorstand. ›Wenn ich nicht so leben kann, wie ich will, so will ich gar nicht leben‹, pflegte sie oft zu sagen. ›Unser Leben ist ja in unserer Hand!‹ Und sie bewies es auch!«

Anna bedeckte das Gesicht mit den Händen und verstummte.

»Anna Ssemjonowna«, begann Aratow nach einer Pause. »Sie haben vielleicht gehört, was in den Zeitungen stand...«

»Das von der unglücklichen Liebe?« unterbrach ihn Anna, und nahm die Hände vom Gesicht. »Das ist eine Verleumdung, eine Verleumdung, eine Erfindung! Meine unberührte, meine unzugängliche Katja... Katja!... Und sie sollte eine unglückliche, eine unerwiderte Liebe haben?! Und ich habe nichts davon gewußt? Alle, alle verliebten sich in sie und sie... Wen hätte sie hier auch lieben können? Wer von allen Menschen war ihrer wert? Wer hatte jenes Ideal der Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit, Reinheit, ja, vor allem Reinheit, das ihr trotz aller ihrer Fehler immer vorschwebte, erreicht? Wer hat ihre Liebe zurückweisen können, ihre Liebe...«

Annas Stimme versagte. Ihre Finger zitterten. Sie war plötzlich über und über rot geworden, rot vor Empörung, und in diesem Augenblick, in diesem einen Augenblick sah sie der Schwester ähnlich.

Aratow stammelte irgendeine Entschuldigung.

»Hören Sie einmal«, unterbrach ihn Anna wieder. »Ich will, daß Sie an diese Verleumdung nicht glauben, daß Sie sie nach Möglichkeit zerstreuen! Sie wollen ja einen Aufsatz schreiben: Da haben Sie also die Gelegenheit, ihr Andenken zu verteidigen! Darum spreche ich auch mit Ihnen so aufrichtig. Hören Sie einmaclass="underline" Katja hat ein Tagebuch hinterlassen.«

Aratow zuckte zusammen. »Ein Tagebuch«, flüsterte er.

»Ja, ein Tagebuch, das heißt nur einige Seiten. Katja mochte das Schreiben nicht und trug monatelang nichts ein; auch ihre Briefe waren kurz. Sie war aber immer aufrichtig und log niemals. Wie sollte sie auch bei ihrem Stolz lügen! Ich... ich will Ihnen das Tagebuch zeigen. Sie werden sich selbst überzeugen, daß darin nicht einmal eine Andeutung von unglücklicher Liebe zu finden ist!«

Anna holte aus der Schublade hastig ein dünnes Heftchen von höchstens zehn Seiten und reichte es Aratow. Er ergriff es mit Gier, erkannte sofort die unregelmäßige, weitläufige Schrift jenes anonymen Briefes und schlug es aufs Geratewohl auf. Sein Blick fiel auf folgende Zeilen: »Moskau. Dienstag, den *. Juni. Ich rezitierte und sang in einer literarischen Matinee. Heute war für mich ein bedeutsamer Tag. Er muß mein Schicksal entscheiden. (Dieser Satz war zweimal unterstrichen.) Ich sah wieder«, hier folgten einige sorgfältig durchgestrichene Zeilen. Weiter hieß es: »Nein, nein, nein! Ich muß wieder von vorne anfangen, wenn nur...«