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»Wie die Kasaner sie liebgewonnen haben, ist einfach nicht zu sagen! Bei jeder Vorstellung Blumen und Geschenke! Blumen und Geschenke! Ein Getreidehändler, der reichste Mann im Gouvernement, hat ihr sogar einmal ein goldenes Tintenfaß überreicht!« – Kupfer erzählte das alles sehr lebhaft, ohne übrigens besondere Empfindsamkeit zu zeigen und seine Rede immer mit Fragen wie: »Warum interessiert dich das?« »Was brauchst du das zu wissen?« unterbrechend, während Aratow ihm mit verzehrender Spannung zuhörte und immer mehr Einzelheiten forderte. Als Kupfer endlich alles, was er wußte, berichtet hatte, verstummte er und belohnte sich für seine Mühe mit einer Zigarre.

»Und warum hat sie sich vergiftet?« fragte Aratow. »In der Zeitung hieß es –;«

Kupfer warf beide Arme empor. »Ja, das kann ich wirklich nicht sagen. Ich weiß es nicht. Was in der Zeitung steht, ist Unsinn. Klaras Lebenswandel war tadellos –; sie hatte gar keine Liebesaffären –; Wie käme sie auch dazu mit ihrem Stolz?! Stolz war sie wie der Satan und unzugänglich! Ein Tollkopf! Hart wie Stein! Du kannst es mir glauben: Ich kannte sie doch gewiß gut, habe aber niemals Tränen in ihren Augen gesehen!«

Ich habe aber welche gesehen, dachte Aratow.

»Aber in der letzten Zeit«, fuhr Kupfer fort, »hatte ich an ihr eine große Veränderung wahrgenommen: Sie war auf einmal so trübsinnig und schweigsam geworden, stundenlang konnte man von ihr kein Wort zu hören bekommen. Wie oft habe ich sie gefragt: ›Hat Sie vielleicht jemand beleidigt, Katerina Ssemjonowna?‹ Ich kannte ja ihren Charakter: Sie konnte keine Beleidigung ertragen! Sie schweigt aber, und es ist aus ihr nichts herauszubekommen. Selbst die Erfolge auf der Bühne machten ihr keine Freude mehr; die Blumen regnen auf sie nur so nieder, und sie lächelt nicht einmal! Das goldene Tintenfaß sah sie nur einmal an und stellte es gleich weg. Sie beklagte sich, daß noch niemand für sie die richtige Rolle, wie sie sie verstehe, geschrieben hätte. Das Singen gab sie aber ganz auf. Ich muß es dir beichten, mein Lieber! Ich hatte ihr damals erzählt, daß du an ihrem Gesang die Schule vermißtest. Und doch ist es ganz unbegreiflich, warum sie sich vergiftet hat! Und wie sie sich vergiftet hat!«

»In welcher Rolle hatte sie den größten Erfolg?« Aratow wollte eigentlich fragen, in welcher Rolle sie zum letzten Male aufgetreten war, fragte aber aus irgendeinem Grunde etwas ganz anderes.

»Wenn ich nicht irre, in Ostrowskijs ›Grunja‹. Ich muß es aber noch einmal sagen: gar keine Liebesaffären! Urteile doch selbst. Sie lebte im Hause ihrer Mutter –; Du kennst wohl solche Kaufmannshäuser: In jeder Ecke hängt ein Heiligenbild mit einem brennenden Lämpchen davor, die Luft ist zum Sterben dumpf, ein widerlicher, säuerlicher Geruch in allen Zimmern, im Salon stehen längs der Wände Stühle und sonst keine Möbel, und auf allen Fensterbänken Geranien; und wenn ein Gast ins Haus kommt, fängt die Hausfrau zu stöhnen an, wie wenn ein Feind sie überfallen hätte. Wie kann man da an irgendwelche Liebesaffären denken? Es kam vor, daß man selbst mich nicht einließ. Ihre Dienstmagd, ein kräftiges Frauenzimmer in rotem Sarafan mit Hängebrüsten, tritt mir im Vorzimmer in den Weg und knurrt: ›Wo wollen Sie hin?‹ – Nein, ich kann unmöglich begreifen, warum sie sich vergiftet hat. Das Leben machte ihr offenbar keine Freude mehr!« Kupfer schloß mit dieser philosophischen Betrachtung seinen Bericht.

Aratow saß mit gesenktem Kopf. »Kannst du mir vielleicht die Adresse des Hauses in Kasan geben?« sagte er nach einer Pause.

»Gewiß, was brauchst du sie? Willst du vielleicht hinschreiben?«

»Vielleicht.«

»Wie du willst. Die Alte wird dir aber nicht antworten, weil sie weder zu lesen noch zu schreiben versteht. Höchstens die Schwester –; Ja, die Schwester ist ein ungewöhnlich kluges Mädchen! Aber ich muß doch über dich staunen, mein Bester: früher diese Gleichgültigkeit, und jetzt dieses Interesse! Das kommt alles von deiner einsamen Lebensweise!«

Aratow entgegnete nichts auf diese Bemerkung, schrieb sich die Kasaner Adresse auf und ging.

Als er vorhin zu Kupfer fuhr, drückte sein Gesicht Erregung, Erstaunen und Erwartung aus. Jetzt ging er mit gleichmäßigen Schritten, die Augen gesenkt, den Hut tief in die Stirn gedrückt, nach Hause. Fast jeder Vorbeigehende sah ihm mit forschenden Blicken nach. Er gab aber auf die Vorbeigehenden nicht acht: ganz anders als damals auf dem Boulevard.

»Unselige Klara! Wahnsinnige Klara!« klang es in seiner Seele.

X

Den folgenden Tag fühlte sich Aratow verhältnismäßig ruhig. Er konnte sogar seinen gewohnten Beschäftigungen nachgehen. Dabei dachte er aber unausgesetzt an Klara und an alles, was Kupfer ihm gestern gesagt hatte. Seine Gedanken waren allerdings recht friedlicher Natur. Es schien ihm, daß jenes seltsame Mädchen ihn nur vom psychologischen Standpunkt aus interessiere, wie eine Art Rätsel, dessen Lösung wohl einiges Kopfzerbrechen wert sei. Sie ist mit einer ausgehaltenen Schauspielerin durchgebrannt, dachte er sich, hat sich in den Schutz der Fürstin begeben, bei der sie wohl auch wohnte – und soll keine Liebesaffären gehabt haben? Das klingt zu unwahrscheinlich! Kupfer sagt zwar, sie sei zu stolz gewesen. Erstens wissen wir aber (Aratow meinte: Wir haben es in Büchern gelesen)... wir wissen, daß Stolz sich wohl mit Leichtsinn vereinbaren läßt; zweitens, wie brachte sie es bei ihrem Stolz fertig, einen Menschen zum Stelldichein einzuladen, der sie mit Verachtung behandeln könnte?... Und sie auch tatsächlich so behandelt hat, und das auf einem öffentlichen Boulevard! Aratow fiel wieder die Szene auf dem Boulevard ein, und er fragte sich, ob er sie tatsächlich mit Verachtung behandelt hätte. Nein! sagte er sich zuletzt. Es war ein anderes Gefühl. Ein Nichtverstehen... vielleicht auch Mißtrauen!

Unselige Klara! klang es ihm wieder im Kopfe. Ja, sie ist wohl unselig, das ist der richtige Ausdruck. – Und wenn dem so ist, so war ich ungerecht. Sie hatte recht, als sie sagte, ich hätte sie nicht verstanden. Schade! Ein vielleicht ganz außerordentliches Geschöpf ging so nahe an mir vorbei, und ich machte keinen Gebrauch davon und stieß sie zurück... Nun, das macht doch nichts! Das ganze Leben liegt noch vor mir. Vielleicht stehen mir noch ganz andere Begegnungen bevor!

Warum hat sie aber gerade mich erwählt? Er warf einen Blick auf den Spiegel, an dem er eben vorbeiging. Was ist denn an mir Besonderes? Bin ich denn besonders hübsch? Ein Gesicht wie jedes andere... Übrigens war auch sie keine Schönheit.

Keine Schönheit, aber welch ein ausdrucksvolles Gesicht! Unbeweglich, und doch so ausdrucksvoll! So ein Gesicht habe ich doch noch nie gesehen. Sie hat auch Talent – sie hatte es vielmehr. Ein wildes, unentwickeltes, sogar rohes, aber doch ein zweifelloses Talent... Auch darin war ich ungerecht gegen sie. Aratow dachte an jenen literarisch-musikalischen Nachmittag zurück und merkte, daß er sich eines jeden von ihr gesprochenen oder gesungenen Wortes, jeder Tonänderung mit außerordentlicher Schärfe erinnerte... Das wäre doch unmöglich, wenn sie gar kein Talent gehabt hätte.

Und jetzt ruht das alles im Grabe, in das sie sich selbst gestürzt hat. Ich bin dabei unbeteiligt. Mich trifft keine Schuld! Es wäre sogar lächerlich zu glauben, daß ich daran irgendwie schuldig sei. Aratow ging wieder der Gedanke durch den Kopf, daß sein Benehmen beim Stelldichein unbedingt habe enttäuschen müssen. Darum hatte sie ja auch beim Abschiednehmen so grausam aufgelacht. Wo sind auch die Beweise dafür, daß sie sich aus Liebesgram vergiftet hat? Diese Zeitungskorrespondenten schreiben ja jeden Selbstmord unglücklicher Liebe zu! Solchen Naturen wie Klara erscheint das Leben oft unerträglich und langweilig. Ja, langweilig. Kupfer hat recht: Das Leben machte ihr einfach keine Freude mehr.