So schrie der Kammerdiener, in heller Verzweiflung durch die Zimmer rennend. Aber keine Antwort, kein Laut, nur der spottende Widerhall tönte von den Marmorwänden. Zinnober schien spurlos, tonlos verschwunden. — Draußen war es ruhiger geworden, der Kammerdiener vernahm die tiefe klangvolle Stimme eines Frauenzimmers, die zum Volke sprach, und gewahrte, durchs Fenster blickend, wie die Menschen nach und nach, leise miteinander murmelnd, das Haus verließen, bedenkliche Blicke hinaufwerfend nach den Fenstern.
"Die Rebellion scheint vorüber," sprach der Kammerdiener, "nun wird die gnädige Exzellenz wohl hervorkommen aus ihrem Schlupfwinkel."
Er ging nach dem Schlafkabinett zurück, vermutend, dort werde der Minister sich doch wohl am Ende befinden.
Er warf spähende Blicke rings umher, da wurde er gewahr, wie aus einem schönen silbernen Henkelgefäß, das immer dicht neben der Toilette zu stehen pflegte, weil es der Minister als ein teures Geschenk des Fürsten sehr wert hielt, ganz kleine dünne Beinchen hervorstarrten.
"Gott — Gott," schrie der Kammerdiener entsetzt, "Gott! — Gott! — täuscht mich nicht alles, so gehören die Beinchen dort Sr. Exzellenz dem Herrn Minister Zinnober, meinem gnädigen Herrn!" — Er trat hinan, er rief, durchbebt von allen Schauern des Schrecks, indem er herabschaute: "Exzellenz — Exzellenz — um Gott, was machen Sie — was treiben Sie da unten in der Tiefe!"
Da aber Zinnober still blieb, sah der Kammerdiener wohl die Gefahr ein, in der die Exzellenz schwebte, und daß es an der Zeit sei, allen Respekt beiseite zu setzen. Er packte den Zinnober bei den Beinchen — zog ihn heraus! — Ach tot — tot war die kleine Exzellenz! Der Kammerdiener brach aus in lautes Jammern; der Jäger, die Dienerschaft eilte herbei, man rannte nach dem Leibarzt des Fürsten. Indessen trocknete der Kammerdiener seinen armen unglücklichen Herrn ab mit saubern Handtüchern, legte ihn ins Bett, bedeckte ihn mit seidenen Kissen, so daß nur das kleine verschrumpfte Gesichtchen sichtbar blieb.
Hinein trat nun das Fräulein von Rosenschön. Sie hatte erst, der Himmel weiß, auf welche Art, das Volk beruhigt. Nun schritt sie zu auf den entseelten Zinnober, ihr folgte die alte Liese, des kleinen Zaches leibliche Mutter. — Zinnober sah in der Tat hübscher aus im Tode, als er jemals in seinem ganzen Leben ausgesehen. Die kleinen Äugelein waren geschlossen, das Näschen sehr weiß, der Mund zum sanften Lächeln ein wenig verzogen, aber vor allen Dingen wallte das dunkelbraune Haar in den schönsten Locken herab. Über das Haupt hin strich das Fräulein den Kleinen, und in dem Augenblick blitzte in mattem Schimmer ein roter Streif hervor.
"Ha," rief das Fräulein, indem ihr die Augen vor Freude glänzten, "ha, Prosper Alpanus! — hoher Meister, du hältst Wort! — Verbüßt ist sein Verhängnis und mit ihm alle Schmach!"
"Ach," sprach die alte Liese, "ach du lieber Gott, das ist ja doch wohl nicht mein kleiner Zaches, so hübsch hat der niemals ausgesehen. Da bin ich doch nun ganz umsonst nach der Stadt gegangen, und Ihr habt mir gar nicht gut geraten, mein gnädiges Fräulein!" — "Murrt nur nicht, Alte," erwiderte das Fräulein, "hättet Ihr nur meinen Rat ordentlich befolgt, und wäret Ihr nicht früher, als ich hier war, in dies Haus gedrungen, alles stünde für Euch besser. — Ich wiederhole es, der Kleine, der dort tot im Bette liegt, ist gewiß und wahrhaftig Euer Sohn, Klein Zaches!"
"Nun," rief die Frau mit leuchtenden Augen, "nun wenn die kleine Exzellenz dort wirklich mein Kind ist, so erb' ich ja wohl all die schönen Sachen, die hier rings umherstehen, das ganze Haus mit allem, was drinnen ist?"
"Nein," sprach das Fräulein, "das ist nun ganz und gar vorbei, Ihr habt den rechten Augenblick verfehlt, Geld und Gut zu gewinnen. — Euch ist, ich habe es gleich gesagt, Euch ist nun einmal Reichtum nicht beschieden." — "So darf ich," fuhr die Frau fort, indem ihr die Tränen in die Augen traten, "so darf ich denn nicht wenigstens mein armes kleines Männlein in die Schürze nehmen und nach Hause tragen? — Unser Herr Pfarrer hat so viel hübsche ausgestopfte Vögelein und Eichkätzchen, der soll mir meinen Klein Zaches ausstopfen lassen, und ich will ihn auf meinen Schrank stellen, wie er da ist im roten Rock mit dem breiten Bande und dem großen Stern auf der Brust, zum ewigen Andenken!" — "Das ist," rief das Fräulein beinahe unwillig, "das ist ein ganz einfältiger Gedanke, das geht ganz und gar nicht an!" — Da fing das Weib an zu schluchzen, zu klagen, zu lamentieren. "Was hab' ich," sprach sie, "nun davon, daß mein Klein Zaches zu hohen Würden, zu großem Reichtum gelangt ist! — Wär' er nur bei mir geblieben, hätt' ich ihn nur aufgezogen in meiner Armut, niemals wär' er in jenes verdammte silberne Ding gefallen, er lebte noch, und ich hätt' vielleicht Freude und Segen von ihm gehabt. Trug ich ihn so herum in meinem Holzkorb, Mitleiden hätten die Leute gefühlt und mir manches schöne Stücklein Geld zugeworfen, aber nun" — Es ließen sich Tritte im Vorsaal vernehmen, das Fräulein trieb die Alte hinaus, mit der Weisung, sie solle unten vor der Türe warten, im Wegfahren wolle sie ihr ein untrügliches Mittel vertrauen, wie sie all ihre Not, all ihr Elend mit einemmal enden könne.
Nun trat Rosabelverde noch einmal dicht an den Kleinen heran und sprach mit der weichen bebenden Stimme des tiefen Mitleids:
"Armer Zaches! — Stiefkind der Natur! — ich hatt' es gut mit dir gemeint! — Wohl mocht' es Torheit sein, daß ich glaubte, die äußere schöne Gabe, womit ich dich beschenkt, würde hineinstrahlen in dein Inneres und eine Stimme erwecken, die dir sagen müßte: 'Du bist nicht der, für den man dich hält, aber strebe doch nur an, es dem gleichzutun, auf dessen Fittichen du Lahmer, Unbefiederter dich aufschwingst!' — Doch keine innere Stimme erwachte. Dein träger toter Geist vermochte sich nicht emporzurichten, du ließest nicht nach in deiner Dummheit, Grobheit, Ungebärdigkeit — Ach! — wärst du nur ein geringes Etwas weniger, ein kleiner ungeschlachter Rüpel geblieben, du entgingst dem schmachvollen Tode! — Prosper Alpanus hat dafür gesorgt, daß man dich jetzt im Tode wieder dafür hält, was du im Leben durch meine Macht zu sein schienst. Sollt' ich dich vielleicht gar noch wiederschauen als kleiner Käfer — flinke Maus oder behende Eichkatze, so soll es mich freuen! — Schlafe wohl, Klein Zaches!" — Indem Rosabelverde das Zimmer verließ, trat der Leibarzt des Fürsten mit dem Kammerdiener hinein.
"Um Gott," rief der Arzt, als er den toten Zinnober erblickte und sich überzeugte, daß alle Mittel, ihn ins Leben zu rufen, vergeblich bleiben würden, "um Gott, wie ist das zugegangen, Herr Kämmerer?"
"Ach," erwiderte dieser, "ach, lieber Herr Doktor, die Rebellion oder die Revolution, es ist all eins, wie Sie es nennen wollen, tobte und hantierte draußen auf dem Vorsaale ganz fürchterlich. Se. Exzellenz, besorgt um ihr teures Leben, wollten gewiß in die Toilette hineinflüchten, glitschten aus und" — "So ist," sprach der Doktor feierlich und bewegt, "so ist er aus Furcht zu sterben gar gestorben!"
Die Türe sprang auf, und hinein stürzte Fürst Barsanuph mit verbleichtem Antlitz, hinter ihm her sieben noch bleichere Kammerherrn.
"Ist es wahr, ist es wahr?" rief der Fürst; aber sowie er des Kleinen Leichnam erblickte, prallte er zurück und sprach, die Augen gen Himmel gerichtet, mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes: "O Zinnober!" — Und die sieben Kammerherrn riefen dem Fürsten nach: "O Zinnober!" und holten, wie es der Fürst tat, die Schnupftücher aus der Tasche und hielten sie sich vor die Augen.
"Welch ein Verlust," begann nach einer Weile des lautlosen Jammers der Fürst, "welch ein unersetzlicher Verlust für den Staat! — Wo einen Mann finden, der den Orden des grüngefleckten Tigers mit zwanzig Knöpfen mit der Würde trägt, als mein Zinnober! — Leibarzt, und Sie konnten mir den Mann sterben lassen! — Sagen Sie — wie ging das zu, wie mochte das geschehen — was war die Ursache — woran starb der Vortreffliche?" -