Kochend vor Wut blieb er einen Schritt hinter mir zurück, folgte mir aber bis zu den Außenboxen und drehte nicht zu seinem Wagen ab. Indigos Box lag neben der von Moonrock, und er stand mit Sattel und Zaumzeug geduldig da, hatte sein Gewicht auf ein Bein verlagert und sah träge zu, wie ich seine Tür entriegelte.
Alessandros Blick überflog ihn von vorn bis achtern, bevor er sich mit unverhohlenem Ärger zu mir umdrehte.
«Ich reite keine alten Klepper. Ich wünsche Archangel zu reiten.«
«Niemand läßt einen Diamantschleiferlehrling mit dem Kohinoor anfangen«, sagte ich.
«Ich kann jedes Rennpferd auf der Welt reiten. Ich reite außerordentlich gut.«
«Dann beweisen Sie’s auf Indigo, und ich gebe Ihnen etwas Besseres fürs zweite Lot.«
Er kniff die Lippen zusammen. Ich betrachtete ihn mit dem vollkommenen Mangel an Gefühl, der bei Geschäftsverhandlun-gen immer die Wogen glättet; und nach ein oder zwei Sekunden funktionierte es bei ihm genauso. Sein Blick löste sich von meinem Gesicht, er zuckte mit den Schultern, ich nahm Indigo das Stallhalfter ab und führte ihn aus seiner Box. Alessandro sprang mühelos in den Sattel, ließ seine Füße in die Steigbügel gleiten und griff nach den Zügeln. Seine Bewegungen waren präzise und ungeziert, und er ließ sich auf dem Rücken des alten Indigo nieder, als wäre er da zu Hause. Ohne ein weiteres Wort ritt er den Hof hinunter und schnallte währenddessen die Bügelriemen kürzer, denn Etty ritt lang.
Den Blick auf seine Kehrseite geheftet, folgte ich ihm auf dem Fuß, während die Pfleger aus allen Stallgassen die Pferde zum ersten Lot herausbrachten. Unten im Trabring kreisten sie auf der äußeren Aschenbahn, während Etty auf dem Grasfleck in der Mitte stand und sich der zehnminütigen Aufgabe unterzog, einige der Reiter auszutauschen. Die Pfleger, die die Pferde versorgten, ritten beim Training nicht notwendigerweise ihre eigenen Schützlinge; jedes Pferd mußte von einem Reiter geritten werden, der es zumindest unter Kontrolle hatte und im besten Falle weiterbringen konnte. Die bescheidensten Reiter bekamen für gewöhnlich die Aufgabe, alle Pferde, die nicht in Form waren, zu Hause im Ring Schritt gehen zu lassen; Etty ließ sie nur selten auf die Galoppbahnen auf der Heide los.
Ich trat zu ihr in die Mitte, während sie ihre Liste konsultierte. Sie trug einen hellgelben Südwester, über den im Augenblick beständiger Nieselregen rann. Sie sah aus wie eine Miniaturausgabe eines amerikanischen Feuerwehrmannes. Die flüchtig hingekritzelte Liste in ihrer Hand löste sich langsam in Brei auf.
«Ginge, du nimmst Pullitzer«, sagte sie.
Ginge tat schmollend wie geheißen. Zwischen Pullitzer und Lucky Lindsay lagen Welten, und er hatte das Gefühl, sein Gesicht verloren zu haben.
Etty sah kurz zu Alessandro hinüber, der auf Indigo um die
Bahn zockelte, und registrierte mit einem beiläufigen Blick, daß er zumindest mit ihm problemlos fertig wurde. Sie sah mich verdutzt und fragend an, aber ich lenkte sie von ihm ab, indem ich fragte, wen sie auf unseren Problemhengst Traffic setzen wolle.
Sie schüttelte frustriert den Kopf.»Es muß wohl wieder Andy sein… Ein richtiger kleiner Teufel, dieser Traffic. Die ganze Rasse ist so, man kann keinem einzigen von ihnen trauen. «Sie drehte sich um und rief nach ihm:»Andy… geh du auf Traffic.«
Andy, in mittleren Jahren, winzig, faltig, konnte den allerschönsten Trainingsgalopp reiten. Als er aber vor Jahren seine Chance bei den Rennen bekommen hatte, wußte er nicht mehr, was oben und unten war, und sein Verständnis für Taktik war gleich null. Nun ließ er sich auf den reizbaren dunklen Zweijährigen werfen, der unruhig hin und her zappelte und gnadenlos Bocksprünge unter ihm vollführte.
Etty selbst war auf Lucky Lindsay umgestiegen, der eine Kappe über dem verletzten Knie trug und, obwohl er wieder frei ging, nicht kantern würde. Mit Cloud Cuckoo-land hatte sie mir das nächstbeste nach einem Hack gegeben, einen starken, fünfjährigen Handikapper, dem das Gewicht eines ausgewachsenen Mannes keine Mühe bereitete. Nachdem alle aufgestiegen waren, wurden die Tore zur Heide geöffnet, und das ganze Lot schlängelte sich auf die Schrittbahn hinaus… die Hengste wie immer an der Spitze, die Stuten dahinter.
Um zu den Southfields-Galoppbahnen neben der eigentlichen Rennbahn zu gelangen, bogen wir hinter dem Tor nach rechts ab und ritten hinter den anderen Ställen entlang, die an der Bury Road verstreut lagen. Kamen vorbei an der Anschlagtafel des Jockey Clubs, der zu entnehmen war, welche Trainingsbereiche an diesem Tag benutzt werden durften. Überquerten die A II und hielten schwere Lastwagen mit ungeduldig zuckenden Scheibenwischern auf. Schlängelten uns durch die Severals, den Watercourse entlang über den St. Mary’s Square, durch die
Rows bis in die Southfields. Keine andere Stadt in England verfügte über eine gesonderte Folge von Straßen, auf denen der einzig zulässige Verkehr Pferde waren; man konnte von einem Ende Newmarkets zum anderen gelangen, nur wenige Meter an seiner überfüllten High Street vorbei, und nur einen Bruchteil des Wegs auf öffentlichen Straßen zurücklegen.
Wir waren an diesem Morgen das einzige Lot auf der Southfields-Bahn, und Etty verschwendete keine Zeit, sondern ließ die Pferde sofort kantern. Oben an der Straße, die zur Rennbahn führte, sahen wir die beiden unvermeidlichen Wagen und die beiden Männer, die in den Nieselschwaden standen und uns unverkennbar durch Ferngläser beobachteten.
«Sie lassen keinen Tag aus«, sagte Etty säuerlich.»Und wenn sie glauben, wir hätten Archangel mitgebracht, steht ihnen eine Enttäuschung bevor.«
Die Turfspione beobachteten uns standhaft, aber was sie aus einer halben Meile Entfernung durch anhaltenden Nieselregen sehen konnten, das wußten nur die Götter. Sie arbeiteten nicht für Buchmacher, sondern für Rennsportkolumnisten, die sich auf ihre Berichte stützten, um ihre Seiten zu füllen. Ich dachte, es könnte eine sehr gute Sache sein, so lange wie möglich dafür zu sorgen, daß ihre Aufmerksamkeit nicht auf Alessandro fiel.
Er kam mit Indigo bestens zurecht, aber der Wallach war ja auch ein anspruchsloser alter Bursche, der nicht einmal die Fähigkeit des Pony Clubs überstrapaziert hätte. Immerhin hielt er sich gut im Sattel und hatte eine ruhige Hand.»He, du«, sagte Etty und zeigte mit der Peitsche auf ihn.»Komm hier herüber.«
Zu mir sagte sie, während sie sich von Lucky Lindsay heruntergleiten ließ:»Wie war noch sein Name?«
«Alessandro.«
«Aless.? Viel zu lang.«
Indigo wurde neben ihr zum Stehen gebracht.»Du da, Alex«, sagte sie.»Spring runter und halte dieses Pferd.«
Ich dachte, er würde explodieren. Sein wütendes Gesicht sagte deutlich, daß niemand das Recht hatte, ihn Alex zu nennen, und daß niemand, aber auch gar niemand, ihn herumzukommandieren hatte. Vor allem keine Frau.
Er sah, daß ich ihn beobachtete, und plötzlich war aller Ausdruck aus seinem Gesicht verschwunden, wie von einem Schwamm weggewischt. Er schüttelte seine Füße aus den Bügeln, schwang ein Bein behende nach vorn über Indigos Widerrist und ließ sich mit dem Gesicht zu uns gewandt zu Boden gleiten. Dann ergriff er die Zügel von Lucky Lindsay, die Etty ihm hinhielt, und gab ihr die von Indigo. Sie verlängerte die Bügelriemen, stieg in den Sattel und ritt kommentarlos davon, um die sechs Zweijährigen, die wir mitgebracht hatten, zu führen.
Wie ein Vulkan vor dem Ausbruch sagte Alessandro nun:»Ich werde keine Befehle mehr von dieser Frau entgegennehmen.«
«Stellen Sie sich nicht so verdammt blöd an«, sagte ich.
Er blickte zu mir auf. Der feine Regen hatte sein schwarzes Haar durchnäßt, so daß die Locken jetzt in Wellen an seinem Kopf klebten. Mit der arroganten Nase, dem zurückgelegten Schädel und dem dichten Haar sah er aus wie eine zum Leben erweckte römische Statue.
«Sprechen Sie nicht so mit mir. Niemand spricht so mit mir.«
Cloud Cuckoo-land stand mit aufgestellten Ohren geduldig da und sah einigen Möwen zu, die über die Heide flogen.