«Ich weiß, Etty«, pflichtete ich ihr bei.»Ich weiß, daß es sich nicht gehört, aber Alessandro ist kein gewöhnlicher Lehrling, und es wäre alles in allem vielleicht einfacher, wenn du die anderen Pfleger wissen ließest, daß sein Vater dafür bezahlt, daß er hier ist, und daß er ein romantisches Hirngespinst im Kopf hat und Jockey werden will, etwas, das er sich schnell genug aus dem Kopf schlagen wird, und wenn er weg ist, können wir hier alle zur Normalität zurückkehren.«
Sie sah mich unsicher an.»Es ist keine richtige Lehre, wenn er sich nicht um seine Pferde kümmert.«
«Die Einzelheiten eines Lehrvertrags sind eine von den beiden Vertragspartnern zu verhandelnde Angelegenheit«, sagte ich bedauernd.»Wenn ich damit einverstanden bin, daß er sich nicht um seine zwei Pferde kümmern muß, dann muß er nicht. Und ich bin wirklich nicht glücklich damit, daß er das nicht tut, aber so ist es eben, und der Stall wird reicher sein, wenn er hier keinen Finger rührt.«
Etty hatte sich beruhigt.»Ich finde, Sie hätten mit mir sprechen müssen, bevor Sie all dem zugestimmt haben.«
«Ja, Etty. Tut mir leid.«
«Und weiß Ihr Vater davon?«
«Natürlich«, sagte ich.
«Na ja dann. «Sie zuckte mit den Schultern.»Wenn Ihr Vater es so will, müssen wir wohl das Beste daraus machen. Aber für die Disziplin ist es ganz bestimmt nicht gut.«
«Die anderen werden sich in einer Woche an ihn gewöhnt haben.«
«Es wird ihnen nicht gefallen, wenn es so aussieht, als könne er bei Rennen mitmachen, von denen sie meinen, daß sie ihnen zustünden.«
«Es dauert noch einen ganzen Monat, bis die Saison beginnt«, sagte ich beschwichtigend.»Laß uns sehen, wie er sich macht, ja?«
Und ich verdrängte den Gedanken an den Tag, an dem er, wie schlecht er auch sein mochte, seine Chance bekam, wieviel mehr ein anderer sie auch verdient haben mochte.
Etty setzte ihn auf eine ruhige vierjährige Stute, die ihm nicht gefiel, die aber ein entscheidender Fortschritt gegenüber dem alten Indigo war. Er hatte meine Bitte, Etty nicht mehr so beunruhigend anzustarren, mit unnachgiebiger Verachtung quittiert und meinen Vorschlag, durchblicken zu lassen, daß sein Vater für sein Hiersein bezahlte, mit Hohn.
«Das entspricht nicht der Wahrheit«, sagte er hochfahrend.
«Glauben Sie mir«, erwiderte ich aus vollem Herzen,»wenn es das täte, wären Sie morgen nicht mehr hier. Nicht mal, wenn er ein Pfund die Minute bezahlte.«
«Warum nicht?«
«Weil Sie Miss Craig aufregen, und weil Sie die anderen Pfleger aufregen, und weil ein Stall, in dem es vor Ärger nur so schäumt, nicht sein Bestes für die Pferde tut. Und wo wir schon mal beim Thema sind: Wenn Sie wollen, daß die Pferde hier Rennen für Sie gewinnen, dann sollten Sie Ihr Bestes tun, um mit den anderen zurechtzukommen, ohne Mißstimmigkeiten zu verursachen.«
Er hatte mir den mittlerweile bekannten, finsteren Blick zugeworfen und nicht geantwortet, aber ich bemerkte, daß er standhaft zu Boden blickte, als Etty ihn zu der Stute abkommandierte. Er ritt sie ruhig zum Ende des Lots und brachte den ihm zugewiesenen halbschnellen AchthundertMeter-Galopp ohne Zwischenfall hinter sich. Bei unserer Rückkehr auf den Hof kam George ihm entgegen und führte die Stute in die Box, und Alessandro ging, ohne sich auch nur einmal umzudrehen, zu seinem Mercedes und wurde davonkutschiert.
Der Waffenstillstand währte noch zwei weitere Vormittage. Alessandro kam jedesmal pünktlich zur ersten Arbeit, verzog sich dann, wahrscheinlich zum Frühstück, kehrte zum zweiten Lot zurück und verschwand für den Rest des Tages endgültig. Etty gab ihm mittelschwere Pferde zu reiten, mit denen er durchweg gut genug zurechtkam, um ihr den widerwilligen Kommentar abzuringen:»Wenn er uns nicht mehr
Schwierigkeiten macht, könnte es wohl schlimmer sein.«
Aber an seinem vierten Tag, einem Samstag, war sein Trotz nicht nur wieder da, sondern schlimmer als zuvor. Wir überstanden nur deshalb beide Lots ohne einen direkten Zusammenstoß zwischen ihm und Etty, weil ich sie bewußt auseinander hielt. Beim zweiten Lot bestand ich sogar darauf, ihn mit einer Gruppe Zweijähriger zu der speziellen Trainingsbahn für Zweijährige mitzunehmen, während Etty den Großteil des Lots zum Warren Hill führte.
Wir kehrten vor Etty zurück, so daß er eigentlich schon weg gewesen wäre, als sie wiederkam, aber statt zu seinem Mercedes zu stolzieren, folgte er mir zur Bürotür.
«Griffon«, sagte er hinter mir.
Ich drehte mich um; betrachtete ihn. Arroganz stand ihm überdeutlich im Gesicht geschrieben. Seine Augen waren schwärzer als das Weltall.
«Ich habe mit meinem Vater gesprochen«, eröffnete er mir.»Er sagt, Sie sollen mich mit Respekt behandeln. Er sagt, ich soll keine Befehle von einer Frau entgegennehmen und daß Sie dafür sorgen müssen, daß ich es nicht muß. Wenn nötig, muß Miss Craig gehen. Er sagt, ich muß bessere Pferde bekommen, vor allem Archangel. Er sagt, wenn Sie nicht auf der Stelle diese Dinge in Ordnung bringen, wird er Ihnen zeigen, daß er ernst meint, was er gesagt hat. Und er hat mir gesagt, ich soll Ihnen dies hier geben. Er sagte, es sei ein Versprechen dessen, was er tun könne.«
Er zog ein flaches Blechkästchen aus einer Innentasche seines Anoraks und hielt es mir hin.
Ich nahm es an.»Wissen Sie, was es enthält?«fragte ich.
Er schüttelte den Kopf, aber ich war sicher, daß er es wußte.
«Alessandro«, sagte ich.»Was auch immer Ihr Vater mir androht oder was er auch tut, Ihre einzige Chance auf Erfolg besteht darin, den Stall unversehrt zu lassen. Wenn Ihr Vater ihn zerstört, wird es nichts mehr geben, was Sie reiten können.«
«Er wird einen anderen Trainer dazu bringen, mich zu nehmen«, versicherte er.
«Wird er nicht«, sagte ich unumwunden,»denn wenn er diesen Stall zerstört, werde ich dem Jockey Club die Fakten unterbreiten, und der wird Ihnen Ihre Lizenz wegnehmen und dafür sorgen, daß Sie niemals mehr an irgendeinem Rennen teilnehmen werden.«
«Er würde Sie töten«, sagte er sachlich. Der Gedanke schien ihn weder zu überraschen noch zu entsetzen.
«Ich habe bei meinem Rechtsanwalt bereits einen vollen Bericht über mein Gespräch mit Ihrem Vater hinterlegt. Sollte er mich töten, wird man diesen Brief öffnen. Danach dürfte er in ziemlichen Schwierigkeiten sein. Und Sie würden natürlich lebenslänglich für alle Rennen auf der Welt gesperrt werden.«
Weniger hart, dafür um so verunsicherter sagte er:»Er wird selbst mit Ihnen reden müssen. Sie benehmen sich nicht so, wie Sie es seiner Meinung nach tun müßten. Sie verwirren mich… Er muß selbst mit Ihnen reden.«
Er drehte sich auf dem Absatz um und entfernte sich steif zu dem bereitstehenden Mercedes. Er stieg in den Fond, und der geduldige Chauffeur, der grundsätzlich die ganze Zeit, während sein Passagier mit den Pferden beschäftigt war, im Wagen blieb, ließ den Motor schnurrend an und fuhr ihn mit knirschenden Reifen davon.
Ich nahm die flache Blechdose mit ins Haus, ging bis in das eichenvertäfelte Zimmer und öffnete sie auf dem Schreibtisch.
Zwischen mehreren Schichten Baumwolle enthielt sie ein kleines, geschnitztes Holzpferd. Um seinen Hals hing ein kleines Schild, und auf dem Schild stand genau ein Wort: Moonrock.
Ich hob das kleine Pferd aus der Dose. Man mußte es in zwei Teilen herausnehmen, denn das rechte Hinterbein war am Gelenk gebrochen.
6
Ich saß ziemlich lange einfach nur da, hielt das kleine Modell in Händen, führte mir seine Bedeutung vor Augen und fragte mich, ob Enzo Rivera Moonrocks Beinbruch möglicherweise tatsächlich arrangiert haben konnte oder ob er lediglich so tat, als sei ein echter Unfall in Wahrheit sein Werk gewesen.
Im Prinzip glaubte ich nicht, daß er Moonrock» zerstört «hatte. Was mir jedoch plötzlich in seiner ganzen verhängnisvollen Tragweite klar wurde, war die Bedeutung des wiederholt aufgetauchten Wortes: Zerstören.