«Wissen Sie denn diesmal, was in der Dose ist?«
Er zögerte.»Nein«, sagte er. Und diesmal glaubte ich ihm, denn seine Unwissenheit schien ihn zu ärgern. Die Dose war mit einem Klebestreifen umwickelt. Alessandro sah mich mit unverändert überlegenem Grinsen an, während ich den Streifen abriß. Ich rollte ihn mit den Fingern zu einem kleinen, klebrigen Ball zusammen und steckte ihn in die Tasche; dann öffnete ich vorsichtig die Dose.
Zwischen zwei dünnen Baumwollschichten lag wieder ein kleines Holzpferd.
Es hatte ein Schild um den Hals.
Es hatte ein gebrochenes Bein.
Ich wußte nicht, was genau in meinem Gesicht zu lesen war, als ich zu Alessandro aufblickte, aber das Grinsen war zu einer halb ängstlichen Maske erstarrt.
«Er sagte, es würde Ihnen nicht gefallen«, bemerkte er trotzig.
«Na, dann kommen Sie mal mit«, erwiderte ich abrupt.»Wollen mal sehen, ob es Ihnen gefällt. «Ich ging den Hof hinauf, auf die Einfahrt zu, aber er folgte mir nicht. Und bevor ich meinen Bestimmungsort erreichte, trat mir George entgegen, der mit erschüttertem Gesicht und besorgten Augen auf mich zueilte.
«Mr. Neil… Indigo hat sich festgelegt und sich in seiner Box ein Bein gebrochen… Genau wie Moonrock… Man sollte es nicht für möglich halten, daß so etwas passiert, nicht bei zwei alten Hasen wie diesen beiden, nicht innerhalb von zehn Tagen.«
«Nein, das sollte man wirklich nicht für möglich halten«, sagte ich grimmig und ging, während ich die bösartige Botschaft in der kleinen Blechdose in meine Jackentasche stopfte, mit ihm zusammen zu Indigos Box.
Der gutmütige Wallach lag auf dem Stroh und machte klägliche Versuche, sich aufzurichten. Immer wieder hob er den Kopf und schlug mit einem seiner Vorderfüße auf den Boden, aber ihn schien jede Kraft verlassen zu haben. Der andere Vorderfuß lag nutzlos gekrümmt in einem unnatürlichen Winkel auf dem Boden, gebrochen direkt über der Fessel.
Ich hockte mich neben das arme alte Pferd und tätschelte seinen Hals. Indigo hob noch einmal den Kopf und schlug aus, um wieder auf die Beine zu kommen, ließ sich dann jedoch schlaff zurück ins Stroh fallen. Seine Augen blickten glasig, und Speichel lief ihm aus dem Maul.
«Nichts zu machen, George«, sagte ich.»Ich rufe den Tierarzt an. «Ich legte nichts als Bedauern in meine Stimme und behielt meinen siedenden Zorn für mich. George nickte resigniert, aber ohne viel Gefühl zu zeigen. Wie jeder alte Pfleger hatte er schon viele Pferde sterben sehen.
Der junge, rundliche Dainsee war aus seiner Badewanne gestiegen, um ans Telefon zu kommen.»Nicht schon wieder!«rief er, als ich ihm erklärte, worum es ging.
«Ich fürchte doch. Und könnten Sie vielleicht alles mitbringen?«
«Aber wozu denn das?«
«Das sage ich Ihnen, wenn Sie hier sind.«
«Oh. «Er klang überrascht, war jedoch bereit mitzumachen.»Also gut, kleinen Moment, während ich das Badehandtuch gegen meinen schicken Anzug eintausche.«
Er kam in Jeans, mit seinem schmutzigen Landrover und zwanzig Minuten Verspätung. Sprang hinaus auf den Kies, nickte fröhlich und ging direkt auf Indigos Box zu. George war dort bei dem Pferd, der Rest des Hofs lag still und verlassen da. Etty, die der unmittelbar bevorstehende Verlust ihres Führpferdes sehr bekümmerte, hatte das Lot runter nach Southfields gebracht, auf die Seite, auf der auch die Rennbahn lag; Alessandro mußte mit ihr gegangen sein, da er nirgendwo sonst zu sehen war, und sein Chauffeur wartete wie gehabt im Wagen.
Indigo stand mittlerweile wieder auf den Beinen. George hielt ihn am Halfter und sagte, der alte Knabe hätte anscheinend ganz plötzlich seine Kraft wiedergefunden und sei aufgestanden, und seither habe er sogar etwas Heu gefressen, und es sei eine richtige Schande, daß er sich festgelegt habe, jawohl, das sei es. Ich nickte, nahm ihm das Halfter ab und erklärte ihm, daß ich mich um Indigo kümmern würde, damit er weiter Hafer für die Morgenfütterung mahlen könne.
«Ist ein guter Mann«, sagte Dainsee.»Der alte George, meine ich. Er war früher mal stellvertretender Obergärtner im Palast des Vizekönigs von Indien. Das erklärt auch all die gepflegten Blumenbeete und — kübel hier, die die Besitzer bei ihren Hofbesuchen so begeistern.«
Ich war überrascht.»Ich wußte gar nicht, daß.«
«Komische Welt. «Er beruhigte Indigo mit einer sanften Berührung und sah sich das gebrochene Bein genau an.»Was soll die Sache mit der Blutprobe?«fragte er, richtete sich auf und sah mich fragend an.
«Ist es auch bei Tierärzten Sitte, Schweigen zu wahren?«
Sein Blick verriet plötzlich unverhohlene Neugier.»Schweigepflicht wie bei Ärzten und Anwälten? Klar haben wir das. Solange es nicht darum geht, eine kleine Maul- und Klauenseuche geheimzuhalten.«
«Nichts in der Art. «Ich zögerte.»Ich möchte, daß Sie eine geheime Blutprobe machen… Geht so etwas?«
«Wie geheim? Sie muß auf jeden Fall an das Forschungslabor für Pferdemedizin gehen. Ich kann das nicht selbst machen, hab’ nicht die Ausrüstung dafür.«
«Nur eine Blutprobe, auf der der Name des Pferdes nicht vermerkt ist.«
«Na klar. Das kommt dauernd vor. Aber Sie können doch nicht wirklich annehmen, daß jemand das arme alte Pferd gedopt hat!«
«Ich glaube, es hat ein Narkosemittel bekommen«, sagte ich.»Und man hat ihm das Bein absichtlich gebrochen.«
«O Gott!«Sein Mund war zu einem O des Erstaunens gerundet, aber die Augen flackerten mit der Geschwindigkeit seiner Gedanken.»Ich habe nicht den Eindruck, daß Sie übergeschnappt sind«, sagte er schließlich,»also wollen wir uns die Sache mal näher ansehen.«
Er ging neben dem verletzten Bein in die Hocke und ließ seine Finger ganz vorsichtig über die Haut gleiten. Indigo erbebte unter seiner Berührung und warf heftig den Kopf hin und her.
«Ist ja gut, alter Knabe«, sagte Dainsee, der nun wieder aufstand und Indigo den Hals tätschelte. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er mich an:»Kann nicht sagen, daß Sie sich irren, kann nicht sagen, daß Sie recht haben. «Er hielt inne und dachte noch einmal darüber nach. Die Augenbrauen hoben und senkten sich mehrere Male.»Ich sag’ Ihnen was«, sagte er schließlich.»Ich habe ein tragbares Röntgengerät zu Hause. Ich hole es her, und wir machen eine Aufnahme. Wie wär’ das?«
«Gute Idee«, sagte ich erfreut.
«Also schön. «Er öffnete seine Tasche, die er direkt neben die Tür gestellt hatte.»Dann werde ich das Bein vereisen, damit er keine Schmerzen hat, bis ich wieder da bin. «Er zog eine Subkutanspritze hervor, hielt sie gegen das Licht und drückte langsam den Kolben herunter.
«Nehmen Sie zuerst die Blutprobe«, sagte ich.
«Hm?«Er blinzelte mich an.»O ja, natürlich. Donnerwetter, natürlich. Wie dumm von mir. «Er lachte freundlich, legte die erste Spritze weg und setzte eine deutlich größere, leere zusammen.
Er nahm die Blutprobe aus der Drosselvene, die er schon beim ersten Versuch traf.»Glück gehabt«, murmelte er voller Bescheidenheit und zog ein halbes Wasserglas voll Blut in die Spritze.»Muß dem Labor genug Material zum Arbeiten geben, wissen Sie«, bemerkte er, als er meine Überraschung sah.»Von einem Fingerhut voll bekommt man keine verläßlichen Resultate.«
«Nein, wahrscheinlich nicht.«
Er packte die Blutprobe in seine Tasche, spritzte das Mittel für die örtliche Betäubung in Indigos Vorderfuß, nickte und zwinkerte mir mit unverminderter Fröhlichkeit zu, bevor er sich wieder auf den Weg machte. Indigo, den das Ganze nicht weiter beunruhigt hatte, machte sich zufrieden wieder über sein Heunetz her, und ich ging mit meiner aufgestauten Wut ins Haus.